Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.machen. Wenn man erst so weit gekommen ist, daß man die Aufopferung nicht mehr in leidender Entsagung, sondern im handelnden Enthusiasmus erblicken will, wenn man von der Tugend keine Zurückgezogenheit, sondern eine muthige Schaustellung ihrer kühnen Motive verlangt, dann dürfen wir uns auch nicht wundern, wenn wir Sitte und Sitten in solche Schwankungen treten sehen, wie sie jezt vor unsern Augen auf und nieder wogen. Beginnen wir jedoch beim Einfachsten, zuerst bei der Tracht. Hier scheinen wir in Formeln festgerannt zu seyn, die keine weitern Beschränkungen zulassen. Alles Weite, Wallende haben wir verbannt; die Civilisation der Völker wird damit eingeleitet, daß sich die Frauen an die Schnürbrust und die Männer an den knapp anliegenden Frack gewöhnen. Die Mode gibt dann und wann Veränderungen an, allein in der Hauptsache bleibt jener enge Zuschnitt, von dem man fürchten muß, daß er bei den Männern noch enger und kürzer wird, so daß diesen sogar noch hinten die Schöße des Fracks abgeschnitten werden und sie dastehen, wie die Kellner in den Gasthäusern. Nationaltrachten werden, wenn nicht abgeschafft, doch an die pariser und englische Mode angepaßt. Wenn nicht in Schottland, Spanien, Ungarn die Nationalbewaffnung, also das soldatische Kostüm, der Volkstracht noch einen Anknüpfungspunkt darböte, so würden auch hier die Plaids, die nackten Knie oder die braunen machen. Wenn man erst so weit gekommen ist, daß man die Aufopferung nicht mehr in leidender Entsagung, sondern im handelnden Enthusiasmus erblicken will, wenn man von der Tugend keine Zurückgezogenheit, sondern eine muthige Schaustellung ihrer kühnen Motive verlangt, dann dürfen wir uns auch nicht wundern, wenn wir Sitte und Sitten in solche Schwankungen treten sehen, wie sie jezt vor unsern Augen auf und nieder wogen. Beginnen wir jedoch beim Einfachsten, zuerst bei der Tracht. Hier scheinen wir in Formeln festgerannt zu seyn, die keine weitern Beschränkungen zulassen. Alles Weite, Wallende haben wir verbannt; die Civilisation der Völker wird damit eingeleitet, daß sich die Frauen an die Schnürbrust und die Männer an den knapp anliegenden Frack gewöhnen. Die Mode gibt dann und wann Veränderungen an, allein in der Hauptsache bleibt jener enge Zuschnitt, von dem man fürchten muß, daß er bei den Männern noch enger und kürzer wird, so daß diesen sogar noch hinten die Schöße des Fracks abgeschnitten werden und sie dastehen, wie die Kellner in den Gasthäusern. Nationaltrachten werden, wenn nicht abgeschafft, doch an die pariser und englische Mode angepaßt. Wenn nicht in Schottland, Spanien, Ungarn die Nationalbewaffnung, also das soldatische Kostüm, der Volkstracht noch einen Anknüpfungspunkt darböte, so würden auch hier die Plaids, die nackten Knie oder die braunen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0028" n="26"/> machen. Wenn man erst so weit gekommen ist, daß man die Aufopferung nicht mehr in leidender Entsagung, sondern im handelnden Enthusiasmus erblicken will, wenn man von der Tugend keine Zurückgezogenheit, sondern eine muthige Schaustellung ihrer kühnen Motive verlangt, dann dürfen wir uns auch nicht wundern, wenn wir Sitte und Sitten in solche Schwankungen treten sehen, wie sie jezt vor unsern Augen auf und nieder wogen.</p> <p>Beginnen wir jedoch beim Einfachsten, zuerst bei der Tracht. Hier scheinen wir in Formeln festgerannt zu seyn, die keine weitern Beschränkungen zulassen. Alles Weite, Wallende haben wir verbannt; die Civilisation der Völker wird damit eingeleitet, daß sich die Frauen an die Schnürbrust und die Männer an den knapp anliegenden Frack gewöhnen. Die Mode gibt dann und wann Veränderungen an, allein in der Hauptsache bleibt jener enge Zuschnitt, von dem man fürchten muß, daß er bei den Männern noch enger und kürzer wird, so daß diesen sogar noch hinten die Schöße des Fracks abgeschnitten werden und sie dastehen, wie die Kellner in den Gasthäusern. Nationaltrachten werden, wenn nicht abgeschafft, doch an die pariser und englische Mode angepaßt. Wenn nicht in Schottland, Spanien, Ungarn die Nationalbewaffnung, also das soldatische Kostüm, der Volkstracht noch einen Anknüpfungspunkt darböte, so würden auch hier die Plaids, die nackten Knie oder die braunen </p> </div> </body> </text> </TEI> [26/0028]
machen. Wenn man erst so weit gekommen ist, daß man die Aufopferung nicht mehr in leidender Entsagung, sondern im handelnden Enthusiasmus erblicken will, wenn man von der Tugend keine Zurückgezogenheit, sondern eine muthige Schaustellung ihrer kühnen Motive verlangt, dann dürfen wir uns auch nicht wundern, wenn wir Sitte und Sitten in solche Schwankungen treten sehen, wie sie jezt vor unsern Augen auf und nieder wogen.
Beginnen wir jedoch beim Einfachsten, zuerst bei der Tracht. Hier scheinen wir in Formeln festgerannt zu seyn, die keine weitern Beschränkungen zulassen. Alles Weite, Wallende haben wir verbannt; die Civilisation der Völker wird damit eingeleitet, daß sich die Frauen an die Schnürbrust und die Männer an den knapp anliegenden Frack gewöhnen. Die Mode gibt dann und wann Veränderungen an, allein in der Hauptsache bleibt jener enge Zuschnitt, von dem man fürchten muß, daß er bei den Männern noch enger und kürzer wird, so daß diesen sogar noch hinten die Schöße des Fracks abgeschnitten werden und sie dastehen, wie die Kellner in den Gasthäusern. Nationaltrachten werden, wenn nicht abgeschafft, doch an die pariser und englische Mode angepaßt. Wenn nicht in Schottland, Spanien, Ungarn die Nationalbewaffnung, also das soldatische Kostüm, der Volkstracht noch einen Anknüpfungspunkt darböte, so würden auch hier die Plaids, die nackten Knie oder die braunen
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