Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.manche Einzelstehende, wirklich poetische Erscheinungen; wir hatten im vorigen Jahrhundert hier und da treffliche Persönlichkeiten in Schweden, Schottland, Ungarn und in Corsika. Der ganze behagliche Eklektizismus, der jezt in der Literatur herrscht, herrschte im vorigen Jahrhundert in der Politik. Trifft diese Parallele von der einen Seite zu, so ist sie noch schlagender von der andern. Die Literatur des vorigen Jahrhunderts ging zu Anfang von den Franzosen aus, wurde dann von den Engländern erobert und von den Deutschen auf eine Höhe gebracht, die Frankreich und England nur noch immer ahnen, und freilich an uns, die wir von jener Höhe längst herabgestiegen sind, nicht begreifen können. Racine, Boileau, Voltaire hatten über alle Literaturen des beginnenden und mittleren vorigen Jahrhunderts das Prinzipat errungen. England sogar hatte Shakespeare vergessen und zog die Poesie Johnsohns und seiner Schule, die drei Einheiten der bunten Mannigfaltigkeit ihrer ältern Heroen vor. Allmälig aber gewann in England der bessere Geschmack die Oberhand. Wenn man auch den Werth der Natur in der Poesie noch nicht zu schätzen wußte, so machte doch das sentimentale Genre, welchem man sich hingab, ohnehin, daß sich allmälig die Jndividualität, das unmittelbare Gefühl als das einzig Natürliche und Schöne auch prinzipienmäßig feststellte. Man hatte noch nicht Sinn genug, die Schönheit Shakespeares wieder zu manche Einzelstehende, wirklich poetische Erscheinungen; wir hatten im vorigen Jahrhundert hier und da treffliche Persönlichkeiten in Schweden, Schottland, Ungarn und in Corsika. Der ganze behagliche Eklektizismus, der jezt in der Literatur herrscht, herrschte im vorigen Jahrhundert in der Politik. Trifft diese Parallele von der einen Seite zu, so ist sie noch schlagender von der andern. Die Literatur des vorigen Jahrhunderts ging zu Anfang von den Franzosen aus, wurde dann von den Engländern erobert und von den Deutschen auf eine Höhe gebracht, die Frankreich und England nur noch immer ahnen, und freilich an uns, die wir von jener Höhe längst herabgestiegen sind, nicht begreifen können. Racine, Boileau, Voltaire hatten über alle Literaturen des beginnenden und mittleren vorigen Jahrhunderts das Prinzipat errungen. England sogar hatte Shakespeare vergessen und zog die Poesie Johnsohns und seiner Schule, die drei Einheiten der bunten Mannigfaltigkeit ihrer ältern Heroen vor. Allmälig aber gewann in England der bessere Geschmack die Oberhand. Wenn man auch den Werth der Natur in der Poesie noch nicht zu schätzen wußte, so machte doch das sentimentale Genre, welchem man sich hingab, ohnehin, daß sich allmälig die Jndividualität, das unmittelbare Gefühl als das einzig Natürliche und Schöne auch prinzipienmäßig feststellte. Man hatte noch nicht Sinn genug, die Schönheit Shakespeares wieder zu <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0406" n="404"/> manche Einzelstehende, wirklich poetische Erscheinungen; wir hatten im vorigen Jahrhundert hier und da treffliche Persönlichkeiten in Schweden, Schottland, Ungarn und in Corsika. Der ganze behagliche Eklektizismus, der jezt in der Literatur herrscht, herrschte im vorigen Jahrhundert in der Politik. Trifft diese Parallele von der einen Seite zu, so ist sie noch schlagender von der andern. Die Literatur des vorigen Jahrhunderts ging zu Anfang von den Franzosen aus, wurde dann von den Engländern erobert und von den Deutschen auf eine Höhe gebracht, die Frankreich und England nur noch immer ahnen, und freilich an uns, die wir von jener Höhe längst herabgestiegen sind, nicht begreifen können. <hi rendition="#g">Racine</hi>, <hi rendition="#g">Boileau</hi>, <hi rendition="#g">Voltaire</hi> hatten über alle Literaturen des beginnenden und mittleren vorigen Jahrhunderts das Prinzipat errungen. England sogar hatte <hi rendition="#g">Shakespeare</hi> vergessen und zog die Poesie <hi rendition="#g">Johnsohns</hi> und seiner Schule, die drei Einheiten der bunten Mannigfaltigkeit ihrer ältern Heroen vor. Allmälig aber gewann in England der bessere Geschmack die Oberhand. Wenn man auch den Werth der Natur in der Poesie noch nicht zu schätzen wußte, so machte doch das sentimentale Genre, welchem man sich hingab, ohnehin, daß sich allmälig die Jndividualität, das unmittelbare Gefühl als das einzig Natürliche und Schöne auch prinzipienmäßig feststellte. Man hatte noch nicht Sinn genug, die Schönheit <hi rendition="#g">Shakespeares</hi> wieder zu </p> </div> </body> </text> </TEI> [404/0406]
manche Einzelstehende, wirklich poetische Erscheinungen; wir hatten im vorigen Jahrhundert hier und da treffliche Persönlichkeiten in Schweden, Schottland, Ungarn und in Corsika. Der ganze behagliche Eklektizismus, der jezt in der Literatur herrscht, herrschte im vorigen Jahrhundert in der Politik. Trifft diese Parallele von der einen Seite zu, so ist sie noch schlagender von der andern. Die Literatur des vorigen Jahrhunderts ging zu Anfang von den Franzosen aus, wurde dann von den Engländern erobert und von den Deutschen auf eine Höhe gebracht, die Frankreich und England nur noch immer ahnen, und freilich an uns, die wir von jener Höhe längst herabgestiegen sind, nicht begreifen können. Racine, Boileau, Voltaire hatten über alle Literaturen des beginnenden und mittleren vorigen Jahrhunderts das Prinzipat errungen. England sogar hatte Shakespeare vergessen und zog die Poesie Johnsohns und seiner Schule, die drei Einheiten der bunten Mannigfaltigkeit ihrer ältern Heroen vor. Allmälig aber gewann in England der bessere Geschmack die Oberhand. Wenn man auch den Werth der Natur in der Poesie noch nicht zu schätzen wußte, so machte doch das sentimentale Genre, welchem man sich hingab, ohnehin, daß sich allmälig die Jndividualität, das unmittelbare Gefühl als das einzig Natürliche und Schöne auch prinzipienmäßig feststellte. Man hatte noch nicht Sinn genug, die Schönheit Shakespeares wieder zu
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