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Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866.

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V. Die Personen als Bionten.
V. B. Die Personen als virtuelle Bionten.

Wie die morphologischen Individuen fünfter Ordnung bei den
meisten Thieren als actuelle, so treten sie bei den meisten Pflanzen
als virtuelle Bionten auf. Wir nennen dieselben dann Sprosse oder
Blasti. Bei den allermeisten Phanerogamen erscheint der Embryo,
welcher die Eihüllen durchbricht, zunächst als eine einfache, gegliederte
Pflanze, d. h. als eine Person, welche fähig ist, durch laterale Knos-
pung Seitensprosse (ebenfalls Personen) zu treiben, und so einen
echten Stock (Cormus) zu bilden. Da also bei den meisten Phanero-
gamen der Cormus das actuelle Bion ist, so kann die Person oder
der Spross, aus deren Vielheit erstere besteht, nur das virtuelle Bion
sein, und also nicht das "eigentliche Individuum", wie oft behauptet
wurde. Die virtuelle Individualität der Pflanzen-Sprosse zeigt sich
auch darin, dass die geschlechtslosen Personen, d. h. die "Blattsprosse",
fast immer die Fähigkeit besitzen, abgelöst vom Stocke, sich wiederum
zu einem neuen Stocke zu entwickeln, indem sie durch laterale Knos-
pung neue gegliederte Sprosse treiben, die zu einem Cormus ver-
einigt bleiben. Diese virtuelle Individualität der Sprosse ist für die
künstliche Cultur der Pflanzen äusserst wichtig, weil auf derselben
die so allgemein benutzte Möglichkeit beruht, die Pflanzen willkürlich
auf ungeschlechtlichem Wege durch Ableger, Absenker etc. zu ver-
mehren und durch Pfropfen, Oculiren etc. zu veredeln.

Ganz in derselben Weise, wie bei den meisten Phanerogamen,
treten die Personen als virtuelle Bionten bei sehr vielen Coelenteraten
auf, nämlich bei fast allen denjenigen, welche echte Stöcke bilden,
d. h. Colonieen von gegliederten Personen. Auch hier sind, wie bei
den Pflanzen, gewöhnlich die einzelnen abgelösten Sprosse fähig, sich
durch Bildung von Seitensprossen alsbald wieder zu neuen Cormen
zu entwickeln.

In den allermeisten Fällen sind die Personen, welche als virtuelle
Bionten auftreten, Ketten-Personen. Aber auch Buschpersonen können
dieselbe Function übernehmen. Es ist dies z. B. bei vielen Tunicaten,
Bryozoen und diesen ähnlichen Coelenteraten-Colonieen der Fall, deren
Pseudo-Cormen oder Buschpersonen sich zur Bildung echter Stöcke zu
vervielfältigen vermögen, wie z. B. bei den Botrylliden. Bei diesen
zusammengesetzten Ascidien vermag jede Buschperson ("System von
Einzelthieren") sich zu einem zusammengesetzten Stocke zu entwickeln.
Auch bei Thallophyten kommt dieser Fall vor.

V. C. Die Personen als partielle Bionten.

Weit geringere Bedeutung als die actuelle und virtuelle, hat für
die Personen die partielle Individualität. Die Fälle, dass Personen
eines Stockes sich spontan von diesem ablösen und ihre selbstständige

V. Die Personen als Bionten.
V. B. Die Personen als virtuelle Bionten.

Wie die morphologischen Individuen fünfter Ordnung bei den
meisten Thieren als actuelle, so treten sie bei den meisten Pflanzen
als virtuelle Bionten auf. Wir nennen dieselben dann Sprosse oder
Blasti. Bei den allermeisten Phanerogamen erscheint der Embryo,
welcher die Eihüllen durchbricht, zunächst als eine einfache, gegliederte
Pflanze, d. h. als eine Person, welche fähig ist, durch laterale Knos-
pung Seitensprosse (ebenfalls Personen) zu treiben, und so einen
echten Stock (Cormus) zu bilden. Da also bei den meisten Phanero-
gamen der Cormus das actuelle Bion ist, so kann die Person oder
der Spross, aus deren Vielheit erstere besteht, nur das virtuelle Bion
sein, und also nicht das „eigentliche Individuum“, wie oft behauptet
wurde. Die virtuelle Individualität der Pflanzen-Sprosse zeigt sich
auch darin, dass die geschlechtslosen Personen, d. h. die „Blattsprosse“,
fast immer die Fähigkeit besitzen, abgelöst vom Stocke, sich wiederum
zu einem neuen Stocke zu entwickeln, indem sie durch laterale Knos-
pung neue gegliederte Sprosse treiben, die zu einem Cormus ver-
einigt bleiben. Diese virtuelle Individualität der Sprosse ist für die
künstliche Cultur der Pflanzen äusserst wichtig, weil auf derselben
die so allgemein benutzte Möglichkeit beruht, die Pflanzen willkürlich
auf ungeschlechtlichem Wege durch Ableger, Absenker etc. zu ver-
mehren und durch Pfropfen, Oculiren etc. zu veredeln.

Ganz in derselben Weise, wie bei den meisten Phanerogamen,
treten die Personen als virtuelle Bionten bei sehr vielen Coelenteraten
auf, nämlich bei fast allen denjenigen, welche echte Stöcke bilden,
d. h. Colonieen von gegliederten Personen. Auch hier sind, wie bei
den Pflanzen, gewöhnlich die einzelnen abgelösten Sprosse fähig, sich
durch Bildung von Seitensprossen alsbald wieder zu neuen Cormen
zu entwickeln.

In den allermeisten Fällen sind die Personen, welche als virtuelle
Bionten auftreten, Ketten-Personen. Aber auch Buschpersonen können
dieselbe Function übernehmen. Es ist dies z. B. bei vielen Tunicaten,
Bryozoen und diesen ähnlichen Coelenteraten-Colonieen der Fall, deren
Pseudo-Cormen oder Buschpersonen sich zur Bildung echter Stöcke zu
vervielfältigen vermögen, wie z. B. bei den Botrylliden. Bei diesen
zusammengesetzten Ascidien vermag jede Buschperson („System von
Einzelthieren“) sich zu einem zusammengesetzten Stocke zu entwickeln.
Auch bei Thallophyten kommt dieser Fall vor.

V. C. Die Personen als partielle Bionten.

Weit geringere Bedeutung als die actuelle und virtuelle, hat für
die Personen die partielle Individualität. Die Fälle, dass Personen
eines Stockes sich spontan von diesem ablösen und ihre selbstständige

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[359/0398] V. Die Personen als Bionten. V. B. Die Personen als virtuelle Bionten. Wie die morphologischen Individuen fünfter Ordnung bei den meisten Thieren als actuelle, so treten sie bei den meisten Pflanzen als virtuelle Bionten auf. Wir nennen dieselben dann Sprosse oder Blasti. Bei den allermeisten Phanerogamen erscheint der Embryo, welcher die Eihüllen durchbricht, zunächst als eine einfache, gegliederte Pflanze, d. h. als eine Person, welche fähig ist, durch laterale Knos- pung Seitensprosse (ebenfalls Personen) zu treiben, und so einen echten Stock (Cormus) zu bilden. Da also bei den meisten Phanero- gamen der Cormus das actuelle Bion ist, so kann die Person oder der Spross, aus deren Vielheit erstere besteht, nur das virtuelle Bion sein, und also nicht das „eigentliche Individuum“, wie oft behauptet wurde. Die virtuelle Individualität der Pflanzen-Sprosse zeigt sich auch darin, dass die geschlechtslosen Personen, d. h. die „Blattsprosse“, fast immer die Fähigkeit besitzen, abgelöst vom Stocke, sich wiederum zu einem neuen Stocke zu entwickeln, indem sie durch laterale Knos- pung neue gegliederte Sprosse treiben, die zu einem Cormus ver- einigt bleiben. Diese virtuelle Individualität der Sprosse ist für die künstliche Cultur der Pflanzen äusserst wichtig, weil auf derselben die so allgemein benutzte Möglichkeit beruht, die Pflanzen willkürlich auf ungeschlechtlichem Wege durch Ableger, Absenker etc. zu ver- mehren und durch Pfropfen, Oculiren etc. zu veredeln. Ganz in derselben Weise, wie bei den meisten Phanerogamen, treten die Personen als virtuelle Bionten bei sehr vielen Coelenteraten auf, nämlich bei fast allen denjenigen, welche echte Stöcke bilden, d. h. Colonieen von gegliederten Personen. Auch hier sind, wie bei den Pflanzen, gewöhnlich die einzelnen abgelösten Sprosse fähig, sich durch Bildung von Seitensprossen alsbald wieder zu neuen Cormen zu entwickeln. In den allermeisten Fällen sind die Personen, welche als virtuelle Bionten auftreten, Ketten-Personen. Aber auch Buschpersonen können dieselbe Function übernehmen. Es ist dies z. B. bei vielen Tunicaten, Bryozoen und diesen ähnlichen Coelenteraten-Colonieen der Fall, deren Pseudo-Cormen oder Buschpersonen sich zur Bildung echter Stöcke zu vervielfältigen vermögen, wie z. B. bei den Botrylliden. Bei diesen zusammengesetzten Ascidien vermag jede Buschperson („System von Einzelthieren“) sich zu einem zusammengesetzten Stocke zu entwickeln. Auch bei Thallophyten kommt dieser Fall vor. V. C. Die Personen als partielle Bionten. Weit geringere Bedeutung als die actuelle und virtuelle, hat für die Personen die partielle Individualität. Die Fälle, dass Personen eines Stockes sich spontan von diesem ablösen und ihre selbstständige

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Zitationshilfe: Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866, S. 359. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866/398>, abgerufen am 23.11.2024.