sequenz der Abstammungslehre, sprach sich Schaffhausen (1857) schon mit Bestimmtheit aus.
Endlich ist von deutschen Naturphilosophen noch Louis Büch- ner hervorzuheben, welcher in seinem weitverbreiteten, allgemein ver- ständlichen Buche "Kraft und Stoff" 1855 ebenfalls die Grundzüge der Descendenztheorie selbstständig entwickelte, und zwar vorzüglich auf Grund der unwiderleglichen empirischen Zeugnisse, welche uns die pa- läontologische und die individuelle Entwickelung der Organismen, so- wie ihre vergleichende Anatomie, und der Parallelismus dieser Ent- wickelungsreihen liefert. Büchner zeigte sehr einleuchtend, daß schon hieraus eine Entstehung der verschiedenen organischen Species aus gemeinsamen Stammformen nothwendig folge, und daß die Entste- hung dieser ursprünglichen Stammformen nur durch Urzeugung denk- bar sei 10).
Von den deutschen Naturphilosophen wenden wir uns nun zu den französischen, welche ebenfalls seit dem Beginne unseres Jahrhun- derts die Entwickelungstheorie vertraten.
An der Spitze der französischen Naturphilosophie steht Jean Lamarck, welcher in der Geschichte der Abstammungslehre neben Darwin und Goethe den ersten Platz einnimmt. Jhm wird der unsterbliche Ruhm bleiben, zum ersten Male die Descendenztheo- rie als selbstständige wissenschaftliche Theorie ersten Ranges durchge- führt und als die naturphilosophische Grundlage der ganzen Biologie festgestellt zu haben. Obwohl Lamarck bereits 1744 geboren wur- de, begann er doch mit Veröffentlichung seiner Theorie erst im Beginn unseres Jahrhunderts, im Jahre 1801, und begründete dieselbe erst ausführlicher 1809, in seiner klassischen "Philosophie zoologique"2). Dieses bewunderungswürdige Werk ist die erste zusammenhängende und streng bis zu allen Consequenzen durchgeführte Darstellung der Abstammungslehre. Durch die rein mechanische Betrachtungsweise der organischen Natur und die streng philosophische Begründung von de- ren Nothwendigkeit erhebt sich Lamarck's Werk weit über die vor- herrschend dualistischen Anschauungen seiner Zeit, und bis auf Dar-
Genealogiſche Anſichten von Louis Buͤchner.
ſequenz der Abſtammungslehre, ſprach ſich Schaffhauſen (1857) ſchon mit Beſtimmtheit aus.
Endlich iſt von deutſchen Naturphiloſophen noch Louis Buͤch- ner hervorzuheben, welcher in ſeinem weitverbreiteten, allgemein ver- ſtaͤndlichen Buche „Kraft und Stoff“ 1855 ebenfalls die Grundzuͤge der Deſcendenztheorie ſelbſtſtaͤndig entwickelte, und zwar vorzuͤglich auf Grund der unwiderleglichen empiriſchen Zeugniſſe, welche uns die pa- laͤontologiſche und die individuelle Entwickelung der Organismen, ſo- wie ihre vergleichende Anatomie, und der Parallelismus dieſer Ent- wickelungsreihen liefert. Buͤchner zeigte ſehr einleuchtend, daß ſchon hieraus eine Entſtehung der verſchiedenen organiſchen Species aus gemeinſamen Stammformen nothwendig folge, und daß die Entſte- hung dieſer urſpruͤnglichen Stammformen nur durch Urzeugung denk- bar ſei 10).
Von den deutſchen Naturphiloſophen wenden wir uns nun zu den franzoͤſiſchen, welche ebenfalls ſeit dem Beginne unſeres Jahrhun- derts die Entwickelungstheorie vertraten.
An der Spitze der franzoͤſiſchen Naturphiloſophie ſteht Jean Lamarck, welcher in der Geſchichte der Abſtammungslehre neben Darwin und Goethe den erſten Platz einnimmt. Jhm wird der unſterbliche Ruhm bleiben, zum erſten Male die Deſcendenztheo- rie als ſelbſtſtaͤndige wiſſenſchaftliche Theorie erſten Ranges durchge- fuͤhrt und als die naturphiloſophiſche Grundlage der ganzen Biologie feſtgeſtellt zu haben. Obwohl Lamarck bereits 1744 geboren wur- de, begann er doch mit Veroͤffentlichung ſeiner Theorie erſt im Beginn unſeres Jahrhunderts, im Jahre 1801, und begruͤndete dieſelbe erſt ausfuͤhrlicher 1809, in ſeiner klaſſiſchen „Philosophie zoologique“2). Dieſes bewunderungswuͤrdige Werk iſt die erſte zuſammenhaͤngende und ſtreng bis zu allen Conſequenzen durchgefuͤhrte Darſtellung der Abſtammungslehre. Durch die rein mechaniſche Betrachtungsweiſe der organiſchen Natur und die ſtreng philoſophiſche Begruͤndung von de- ren Nothwendigkeit erhebt ſich Lamarck’s Werk weit uͤber die vor- herrſchend dualiſtiſchen Anſchauungen ſeiner Zeit, und bis auf Dar-
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Genealogiſche Anſichten von Louis Buͤchner.
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Endlich iſt von deutſchen Naturphiloſophen noch Louis Buͤch-
ner hervorzuheben, welcher in ſeinem weitverbreiteten, allgemein ver-
ſtaͤndlichen Buche „Kraft und Stoff“ 1855 ebenfalls die Grundzuͤge
der Deſcendenztheorie ſelbſtſtaͤndig entwickelte, und zwar vorzuͤglich auf
Grund der unwiderleglichen empiriſchen Zeugniſſe, welche uns die pa-
laͤontologiſche und die individuelle Entwickelung der Organismen, ſo-
wie ihre vergleichende Anatomie, und der Parallelismus dieſer Ent-
wickelungsreihen liefert. Buͤchner zeigte ſehr einleuchtend, daß ſchon
hieraus eine Entſtehung der verſchiedenen organiſchen Species aus
gemeinſamen Stammformen nothwendig folge, und daß die Entſte-
hung dieſer urſpruͤnglichen Stammformen nur durch Urzeugung denk-
bar ſei 10).
Von den deutſchen Naturphiloſophen wenden wir uns nun zu
den franzoͤſiſchen, welche ebenfalls ſeit dem Beginne unſeres Jahrhun-
derts die Entwickelungstheorie vertraten.
An der Spitze der franzoͤſiſchen Naturphiloſophie ſteht
Jean Lamarck, welcher in der Geſchichte der Abſtammungslehre
neben Darwin und Goethe den erſten Platz einnimmt. Jhm wird
der unſterbliche Ruhm bleiben, zum erſten Male die Deſcendenztheo-
rie als ſelbſtſtaͤndige wiſſenſchaftliche Theorie erſten Ranges durchge-
fuͤhrt und als die naturphiloſophiſche Grundlage der ganzen Biologie
feſtgeſtellt zu haben. Obwohl Lamarck bereits 1744 geboren wur-
de, begann er doch mit Veroͤffentlichung ſeiner Theorie erſt im Beginn
unſeres Jahrhunderts, im Jahre 1801, und begruͤndete dieſelbe erſt
ausfuͤhrlicher 1809, in ſeiner klaſſiſchen „Philosophie zoologique“ 2).
Dieſes bewunderungswuͤrdige Werk iſt die erſte zuſammenhaͤngende
und ſtreng bis zu allen Conſequenzen durchgefuͤhrte Darſtellung der
Abſtammungslehre. Durch die rein mechaniſche Betrachtungsweiſe der
organiſchen Natur und die ſtreng philoſophiſche Begruͤndung von de-
ren Nothwendigkeit erhebt ſich Lamarck’s Werk weit uͤber die vor-
herrſchend dualiſtiſchen Anſchauungen ſeiner Zeit, und bis auf Dar-
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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/110>, abgerufen am 21.11.2024.
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