Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868.Gemeinsame Abstammung aller Tanbenrassen. musikalischen Leistungen, die Brieftauben in ihrem topographischenJnstinct. Die Purzeltauben haben die seltsame Gewohnheit, nach- dem sie in großer Schaar in die Luft gestiegen sind, sich zu über- schlagen und aus der Luft wie todt herabzufallen. Die Sitten und Gewohnheiten dieser unendlich verschiedenen Taubenrassen, die Form, Größe und Färbung der einzelnen Körpertheile, die Proportionen der- selben unter einander, sind in erstaunlich hohem Maaße von einander verschieden, in viel höherem Maaße, als es bei sogenannten guten Arten oder selbst bei ganz verschiedenen Gattungen unter den wilden Tauben der Fall ist. Und, was das Wichtigste ist, es beschränken sich jene Unterschiede nicht bloß auf die Bildung der äußerlichen Form, son- dern erstrecken sich selbst auf die wichtigsten innerlichen Theile; es kommen selbst sehr bedeutende Abänderungen des Skelets und der Muskulatur vor. So finden sich z. B. große Verschiedenheiten in der Zahl der Wirbel und Rippen, in der Größe und Form der Lücken im Brustbein, in der Form und Größe des Gabelbeins, des Unterkiefers, der Gesichtsknochen u. s. w. Kurz das knöcherne Skelet, das die Morphologen für einen sehr beständigen Körpertheil halten, welcher niemals in dem Grade, wie die äußeren Theile, variire, zeigt sich so sehr verändert, daß man viele Taubenrassen als besondere Gattungen oder Familien im Vögelsysteme aufführen könnte. Zweifelsohne würde dies geschehen, wenn man alle diese verschiedenen Formen in wildem Naturzustande auffände. Wie weit die Verschiedenheit der Taubenrassen geht, zeigt am 8 *
Gemeinſame Abſtammung aller Tanbenraſſen. muſikaliſchen Leiſtungen, die Brieftauben in ihrem topographiſchenJnſtinct. Die Purzeltauben haben die ſeltſame Gewohnheit, nach- dem ſie in großer Schaar in die Luft geſtiegen ſind, ſich zu uͤber- ſchlagen und aus der Luft wie todt herabzufallen. Die Sitten und Gewohnheiten dieſer unendlich verſchiedenen Taubenraſſen, die Form, Groͤße und Faͤrbung der einzelnen Koͤrpertheile, die Proportionen der- ſelben unter einander, ſind in erſtaunlich hohem Maaße von einander verſchieden, in viel hoͤherem Maaße, als es bei ſogenannten guten Arten oder ſelbſt bei ganz verſchiedenen Gattungen unter den wilden Tauben der Fall iſt. Und, was das Wichtigſte iſt, es beſchraͤnken ſich jene Unterſchiede nicht bloß auf die Bildung der aͤußerlichen Form, ſon- dern erſtrecken ſich ſelbſt auf die wichtigſten innerlichen Theile; es kommen ſelbſt ſehr bedeutende Abaͤnderungen des Skelets und der Muskulatur vor. So finden ſich z. B. große Verſchiedenheiten in der Zahl der Wirbel und Rippen, in der Groͤße und Form der Luͤcken im Bruſtbein, in der Form und Groͤße des Gabelbeins, des Unterkiefers, der Geſichtsknochen u. ſ. w. Kurz das knoͤcherne Skelet, das die Morphologen fuͤr einen ſehr beſtaͤndigen Koͤrpertheil halten, welcher niemals in dem Grade, wie die aͤußeren Theile, variire, zeigt ſich ſo ſehr veraͤndert, daß man viele Taubenraſſen als beſondere Gattungen oder Familien im Voͤgelſyſteme auffuͤhren koͤnnte. Zweifelsohne wuͤrde dies geſchehen, wenn man alle dieſe verſchiedenen Formen in wildem Naturzuſtande auffaͤnde. Wie weit die Verſchiedenheit der Taubenraſſen geht, zeigt am 8 *
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Gemeinſame Abſtammung aller Tanbenraſſen.
muſikaliſchen Leiſtungen, die Brieftauben in ihrem topographiſchen
Jnſtinct. Die Purzeltauben haben die ſeltſame Gewohnheit, nach-
dem ſie in großer Schaar in die Luft geſtiegen ſind, ſich zu uͤber-
ſchlagen und aus der Luft wie todt herabzufallen. Die Sitten und
Gewohnheiten dieſer unendlich verſchiedenen Taubenraſſen, die Form,
Groͤße und Faͤrbung der einzelnen Koͤrpertheile, die Proportionen der-
ſelben unter einander, ſind in erſtaunlich hohem Maaße von einander
verſchieden, in viel hoͤherem Maaße, als es bei ſogenannten guten
Arten oder ſelbſt bei ganz verſchiedenen Gattungen unter den wilden
Tauben der Fall iſt. Und, was das Wichtigſte iſt, es beſchraͤnken ſich
jene Unterſchiede nicht bloß auf die Bildung der aͤußerlichen Form, ſon-
dern erſtrecken ſich ſelbſt auf die wichtigſten innerlichen Theile; es
kommen ſelbſt ſehr bedeutende Abaͤnderungen des Skelets und der
Muskulatur vor. So finden ſich z. B. große Verſchiedenheiten in der
Zahl der Wirbel und Rippen, in der Groͤße und Form der Luͤcken im
Bruſtbein, in der Form und Groͤße des Gabelbeins, des Unterkiefers,
der Geſichtsknochen u. ſ. w. Kurz das knoͤcherne Skelet, das die
Morphologen fuͤr einen ſehr beſtaͤndigen Koͤrpertheil halten, welcher
niemals in dem Grade, wie die aͤußeren Theile, variire, zeigt ſich ſo
ſehr veraͤndert, daß man viele Taubenraſſen als beſondere Gattungen
oder Familien im Voͤgelſyſteme auffuͤhren koͤnnte. Zweifelsohne wuͤrde
dies geſchehen, wenn man alle dieſe verſchiedenen Formen in wildem
Naturzuſtande auffaͤnde.
Wie weit die Verſchiedenheit der Taubenraſſen geht, zeigt am
Beſten der Umſtand, daß alle Taubenzuͤchter einſtimmig der Anſicht
ſind, jede eigenthuͤmliche oder beſonders ausgezeichnete Taubenraſſe
muͤſſe von einer beſonderen wilden Stammart abſtammen. Freilich
nimmt Jeder eine verſchiedene Zahl von Stammarten an. Und
dennoch hat Darwin mit uͤberzeugendem Scharfſinn den ſchwierigen
Beweis gefuͤhrt, daß dieſelben ohne Ausnahme ſaͤmmtlich von einer
einzigen wilden Stammart, der blauen Felstaube (Columba livia)
abſtammen muͤſſen. Jn gleicher Weiſe laͤßt ſich bei den meiſten uͤbri-
gen Hausthieren und bei den meiſten Culturpflanzen der Beweis
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