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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868.

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Bildung und Bedeutung der fünf Hirnblasen der Wirbelthiere.
(Vergl. S. 240 c, Fig. C--F.) Die zweite Blase, das Zwischen-
hirn
(z) bildet besonders denjenigen Gehirntheil, welchen man
Sehhügel nennt, und steht in der nächsten Beziehung zu den Au-
gen (a), welche als zwei Blasen rechts und links aus dem Vorderhirn
hervorwachsen und später am Boden des Zwischenhirns liegen. Die
dritte Blase, das Mittelhirn (m) geht größtentheils in der Bildung
der sogenannten Vierhügel auf, eines hochgewölbten Gehirn-
theiles, welcher besonders bei den Reptilien (Fig. E, S. 240 c) und
bei den Vögeln (Fig. F) stark ausgebildet ist, während er bei den
Säugethieren (C, D) viel mehr zurücktritt. Die vierte Blase, das
Hinterhirn (h) bildet die sogenannten kleinen Hemisphären
oder die Halbkugeln nebst dem Mitteltheil des kleinen Gehirns (Cere-
bellum), ein Gehirntheil, über dessen Bedeutung man die widerspre-
chendsten Vermuthungen hegt, der aber vorzugsweise die Coordina-
tion der Bewegungen zu regeln scheint. Endlich die fünfte Blase,
das Nachhirn (n), bildet sich zu demjenigen sehr wichtigen Theil des
Centralnervensystems aus, welchen man das verlängerte Mark
(Medulla oblongata) nennt. Es ist das Centralorgan der Athem-
bewegungen und anderer wichtiger Functionen, und seine Verletzung
führt sofort den Tod herbei, während man die großen Hemisphären
des Vorderhirns (oder die "Seele" im engeren Sinne) stückweise ab-
tragen und zuletzt ganz vernichten kann, ohne daß das Wirbelthier
deßhalb stirbt; nur seine höheren Geistesthätigkeiten schwinden dadurch.

Diese fünf Hirnblasen sind ursprünglich bei allen Wirbelthieren,
die überhaupt ein Gehirn besitzen, gleichmäßig angelegt, und bilden
sich erst allmählich bei den verschiedenen Gruppen so verschiedenartig
aus, daß es nachher sehr schwierig ist, in den ganz entwickelten Ge-
hirnen die gleichen Theile wieder zu erkennen. Wenn Sie die jungen
Embryonen des Hundes, des Huhns und der Schildkröte in Fig. 9, 10
und 11 vergleichen, werden Sie nicht im Stande sein, einen Unter-
schied wahrzunehmen. Wenn Sie dagegen die viel weiter entwickelten
Embryonen in Fig. C--F mit einander vergleichen, werden Sie schon
deutlich die ungleichartige Ausbildung erkennen, und namentlich wahr-

Bildung und Bedeutung der fuͤnf Hirnblaſen der Wirbelthiere.
(Vergl. S. 240 c, Fig. C—F.) Die zweite Blaſe, das Zwiſchen-
hirn
(z) bildet beſonders denjenigen Gehirntheil, welchen man
Sehhuͤgel nennt, und ſteht in der naͤchſten Beziehung zu den Au-
gen (a), welche als zwei Blaſen rechts und links aus dem Vorderhirn
hervorwachſen und ſpaͤter am Boden des Zwiſchenhirns liegen. Die
dritte Blaſe, das Mittelhirn (m) geht groͤßtentheils in der Bildung
der ſogenannten Vierhuͤgel auf, eines hochgewoͤlbten Gehirn-
theiles, welcher beſonders bei den Reptilien (Fig. E, S. 240 c) und
bei den Voͤgeln (Fig. F) ſtark ausgebildet iſt, waͤhrend er bei den
Saͤugethieren (C, D) viel mehr zuruͤcktritt. Die vierte Blaſe, das
Hinterhirn (h) bildet die ſogenannten kleinen Hemiſphaͤren
oder die Halbkugeln nebſt dem Mitteltheil des kleinen Gehirns (Cere-
bellum), ein Gehirntheil, uͤber deſſen Bedeutung man die widerſpre-
chendſten Vermuthungen hegt, der aber vorzugsweiſe die Coordina-
tion der Bewegungen zu regeln ſcheint. Endlich die fuͤnfte Blaſe,
das Nachhirn (n), bildet ſich zu demjenigen ſehr wichtigen Theil des
Centralnervenſyſtems aus, welchen man das verlaͤngerte Mark
(Medulla oblongata) nennt. Es iſt das Centralorgan der Athem-
bewegungen und anderer wichtiger Functionen, und ſeine Verletzung
fuͤhrt ſofort den Tod herbei, waͤhrend man die großen Hemiſphaͤren
des Vorderhirns (oder die „Seele“ im engeren Sinne) ſtuͤckweiſe ab-
tragen und zuletzt ganz vernichten kann, ohne daß das Wirbelthier
deßhalb ſtirbt; nur ſeine hoͤheren Geiſtesthaͤtigkeiten ſchwinden dadurch.

Dieſe fuͤnf Hirnblaſen ſind urſpruͤnglich bei allen Wirbelthieren,
die uͤberhaupt ein Gehirn beſitzen, gleichmaͤßig angelegt, und bilden
ſich erſt allmaͤhlich bei den verſchiedenen Gruppen ſo verſchiedenartig
aus, daß es nachher ſehr ſchwierig iſt, in den ganz entwickelten Ge-
hirnen die gleichen Theile wieder zu erkennen. Wenn Sie die jungen
Embryonen des Hundes, des Huhns und der Schildkroͤte in Fig. 9, 10
und 11 vergleichen, werden Sie nicht im Stande ſein, einen Unter-
ſchied wahrzunehmen. Wenn Sie dagegen die viel weiter entwickelten
Embryonen in Fig. C—F mit einander vergleichen, werden Sie ſchon
deutlich die ungleichartige Ausbildung erkennen, und namentlich wahr-

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[249/0274] Bildung und Bedeutung der fuͤnf Hirnblaſen der Wirbelthiere. (Vergl. S. 240 c, Fig. C—F.) Die zweite Blaſe, das Zwiſchen- hirn (z) bildet beſonders denjenigen Gehirntheil, welchen man Sehhuͤgel nennt, und ſteht in der naͤchſten Beziehung zu den Au- gen (a), welche als zwei Blaſen rechts und links aus dem Vorderhirn hervorwachſen und ſpaͤter am Boden des Zwiſchenhirns liegen. Die dritte Blaſe, das Mittelhirn (m) geht groͤßtentheils in der Bildung der ſogenannten Vierhuͤgel auf, eines hochgewoͤlbten Gehirn- theiles, welcher beſonders bei den Reptilien (Fig. E, S. 240 c) und bei den Voͤgeln (Fig. F) ſtark ausgebildet iſt, waͤhrend er bei den Saͤugethieren (C, D) viel mehr zuruͤcktritt. Die vierte Blaſe, das Hinterhirn (h) bildet die ſogenannten kleinen Hemiſphaͤren oder die Halbkugeln nebſt dem Mitteltheil des kleinen Gehirns (Cere- bellum), ein Gehirntheil, uͤber deſſen Bedeutung man die widerſpre- chendſten Vermuthungen hegt, der aber vorzugsweiſe die Coordina- tion der Bewegungen zu regeln ſcheint. Endlich die fuͤnfte Blaſe, das Nachhirn (n), bildet ſich zu demjenigen ſehr wichtigen Theil des Centralnervenſyſtems aus, welchen man das verlaͤngerte Mark (Medulla oblongata) nennt. Es iſt das Centralorgan der Athem- bewegungen und anderer wichtiger Functionen, und ſeine Verletzung fuͤhrt ſofort den Tod herbei, waͤhrend man die großen Hemiſphaͤren des Vorderhirns (oder die „Seele“ im engeren Sinne) ſtuͤckweiſe ab- tragen und zuletzt ganz vernichten kann, ohne daß das Wirbelthier deßhalb ſtirbt; nur ſeine hoͤheren Geiſtesthaͤtigkeiten ſchwinden dadurch. Dieſe fuͤnf Hirnblaſen ſind urſpruͤnglich bei allen Wirbelthieren, die uͤberhaupt ein Gehirn beſitzen, gleichmaͤßig angelegt, und bilden ſich erſt allmaͤhlich bei den verſchiedenen Gruppen ſo verſchiedenartig aus, daß es nachher ſehr ſchwierig iſt, in den ganz entwickelten Ge- hirnen die gleichen Theile wieder zu erkennen. Wenn Sie die jungen Embryonen des Hundes, des Huhns und der Schildkroͤte in Fig. 9, 10 und 11 vergleichen, werden Sie nicht im Stande ſein, einen Unter- ſchied wahrzunehmen. Wenn Sie dagegen die viel weiter entwickelten Embryonen in Fig. C—F mit einander vergleichen, werden Sie ſchon deutlich die ungleichartige Ausbildung erkennen, und namentlich wahr-

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 249. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/274>, abgerufen am 24.11.2024.