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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868.

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Abstammung der Zellen von Moneren.
wesen der denkbar einfachsten Art, gleich den noch jetzt lebenden Prota-
moeben, Protomyxen, Protogenes u. s. w. (S. 144, Fig. 1). Nur solche
structurlose Schleimkörperchen, deren ganzer eiweißartiger Leib so homogen
wie ein anorganischer Krystall ist, und die dennoch die beiden organischen
Grundfunctionen der Ernährung und Fortpflanzung vollziehen, konnten
unmittelbar im Beginn der antelaurentischen Zeit aus anorganischer Ma-
terie durch Autogenie entstehen. Während einige Moneren auf der ur-
sprünglichen einfachen Bildungsstufe verharrten, bildeten sich andere all-
mählich zu Zellen um, indem der innere Kern des Eiweißleibes sich von
dem äußeren Zellstoff sonderte. Andrerseits bildete sich durch Differenzi-
rung der äußersten Zellstoffschicht sowohl um einfache (kernlose) Cyto-
den, als um nackte (aber kernhaltige) Zellen eine äußere Hülle (Mem-
bran oder Schale). Durch diese beiden Sonderungsvorgänge in dem
einfachen Urschleim des Monerenleibes, durch die Bildung eines Kerns
im Jnneren, einer Hülle an der äußeren Oberfläche des Plasmakörpers,
entstanden aus den ursprünglichen einfachsten Cytoden, den Mone-
ren, jene vier verschiedenen Arten von Plastiden oder Jndividuen
erster Ordnung, aus denen weiterhin alle übrigen Organismen durch
Differenzirung und Zusammensetzung sich entwickeln konnten. (Vergl.
oben S. 286).

Hier wird sich Jhnen nun zunächst die Frage aufdrängen: Stam-
men alle organischen Cytoden und Zellen, und mithin auch jene
Stammzellen, welche wir vorher als die Stammeltern der wenigen
großen Hauptgruppen des Thier- und Pflanzenreichs betrachtet haben,
von einer einzigen ursprünglichen Monerenform ab, oder giebt es
mehrere verschiedene organische Stämme, deren jeder von einer eigen-
thümlichen, selbstständig durch Urzeugung entstandenen Monerenart
abzuleiten ist. Mit anderen Worten: Jst die ganze organische
Welt gemeinsamen Ursprungs, oder verdankt sie mehr-
fachen Urzeugungsakten ihre Entstehung?
Diese genealo-
gische Grundfrage scheint auf den ersten Blick ein außerordentliches Ge-
wicht zu haben. Jndessen werden Sie bei näherer Betrachtung bald

Haeckel, Natürliche Schöpfungsgeschichte. 21

Abſtammung der Zellen von Moneren.
weſen der denkbar einfachſten Art, gleich den noch jetzt lebenden Prota-
moeben, Protomyxen, Protogenes u. ſ. w. (S. 144, Fig. 1). Nur ſolche
ſtructurloſe Schleimkoͤrperchen, deren ganzer eiweißartiger Leib ſo homogen
wie ein anorganiſcher Kryſtall iſt, und die dennoch die beiden organiſchen
Grundfunctionen der Ernaͤhrung und Fortpflanzung vollziehen, konnten
unmittelbar im Beginn der antelaurentiſchen Zeit aus anorganiſcher Ma-
terie durch Autogenie entſtehen. Waͤhrend einige Moneren auf der ur-
ſpruͤnglichen einfachen Bildungsſtufe verharrten, bildeten ſich andere all-
maͤhlich zu Zellen um, indem der innere Kern des Eiweißleibes ſich von
dem aͤußeren Zellſtoff ſonderte. Andrerſeits bildete ſich durch Differenzi-
rung der aͤußerſten Zellſtoffſchicht ſowohl um einfache (kernloſe) Cyto-
den, als um nackte (aber kernhaltige) Zellen eine aͤußere Huͤlle (Mem-
bran oder Schale). Durch dieſe beiden Sonderungsvorgaͤnge in dem
einfachen Urſchleim des Monerenleibes, durch die Bildung eines Kerns
im Jnneren, einer Huͤlle an der aͤußeren Oberflaͤche des Plasmakoͤrpers,
entſtanden aus den urſpruͤnglichen einfachſten Cytoden, den Mone-
ren, jene vier verſchiedenen Arten von Plaſtiden oder Jndividuen
erſter Ordnung, aus denen weiterhin alle uͤbrigen Organismen durch
Differenzirung und Zuſammenſetzung ſich entwickeln konnten. (Vergl.
oben S. 286).

Hier wird ſich Jhnen nun zunaͤchſt die Frage aufdraͤngen: Stam-
men alle organiſchen Cytoden und Zellen, und mithin auch jene
Stammzellen, welche wir vorher als die Stammeltern der wenigen
großen Hauptgruppen des Thier- und Pflanzenreichs betrachtet haben,
von einer einzigen urſpruͤnglichen Monerenform ab, oder giebt es
mehrere verſchiedene organiſche Staͤmme, deren jeder von einer eigen-
thuͤmlichen, ſelbſtſtaͤndig durch Urzeugung entſtandenen Monerenart
abzuleiten iſt. Mit anderen Worten: Jſt die ganze organiſche
Welt gemeinſamen Urſprungs, oder verdankt ſie mehr-
fachen Urzeugungsakten ihre Entſtehung?
Dieſe genealo-
giſche Grundfrage ſcheint auf den erſten Blick ein außerordentliches Ge-
wicht zu haben. Jndeſſen werden Sie bei naͤherer Betrachtung bald

Haeckel, Natuͤrliche Schoͤpfungsgeſchichte. 21
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[321/0346] Abſtammung der Zellen von Moneren. weſen der denkbar einfachſten Art, gleich den noch jetzt lebenden Prota- moeben, Protomyxen, Protogenes u. ſ. w. (S. 144, Fig. 1). Nur ſolche ſtructurloſe Schleimkoͤrperchen, deren ganzer eiweißartiger Leib ſo homogen wie ein anorganiſcher Kryſtall iſt, und die dennoch die beiden organiſchen Grundfunctionen der Ernaͤhrung und Fortpflanzung vollziehen, konnten unmittelbar im Beginn der antelaurentiſchen Zeit aus anorganiſcher Ma- terie durch Autogenie entſtehen. Waͤhrend einige Moneren auf der ur- ſpruͤnglichen einfachen Bildungsſtufe verharrten, bildeten ſich andere all- maͤhlich zu Zellen um, indem der innere Kern des Eiweißleibes ſich von dem aͤußeren Zellſtoff ſonderte. Andrerſeits bildete ſich durch Differenzi- rung der aͤußerſten Zellſtoffſchicht ſowohl um einfache (kernloſe) Cyto- den, als um nackte (aber kernhaltige) Zellen eine aͤußere Huͤlle (Mem- bran oder Schale). Durch dieſe beiden Sonderungsvorgaͤnge in dem einfachen Urſchleim des Monerenleibes, durch die Bildung eines Kerns im Jnneren, einer Huͤlle an der aͤußeren Oberflaͤche des Plasmakoͤrpers, entſtanden aus den urſpruͤnglichen einfachſten Cytoden, den Mone- ren, jene vier verſchiedenen Arten von Plaſtiden oder Jndividuen erſter Ordnung, aus denen weiterhin alle uͤbrigen Organismen durch Differenzirung und Zuſammenſetzung ſich entwickeln konnten. (Vergl. oben S. 286). Hier wird ſich Jhnen nun zunaͤchſt die Frage aufdraͤngen: Stam- men alle organiſchen Cytoden und Zellen, und mithin auch jene Stammzellen, welche wir vorher als die Stammeltern der wenigen großen Hauptgruppen des Thier- und Pflanzenreichs betrachtet haben, von einer einzigen urſpruͤnglichen Monerenform ab, oder giebt es mehrere verſchiedene organiſche Staͤmme, deren jeder von einer eigen- thuͤmlichen, ſelbſtſtaͤndig durch Urzeugung entſtandenen Monerenart abzuleiten iſt. Mit anderen Worten: Jſt die ganze organiſche Welt gemeinſamen Urſprungs, oder verdankt ſie mehr- fachen Urzeugungsakten ihre Entſtehung? Dieſe genealo- giſche Grundfrage ſcheint auf den erſten Blick ein außerordentliches Ge- wicht zu haben. Jndeſſen werden Sie bei naͤherer Betrachtung bald Haeckel, Natuͤrliche Schoͤpfungsgeſchichte. 21

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 321. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/346>, abgerufen am 28.11.2024.