Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868.Schöpfungsgeschichte des Moses. fenbarung aufgehoben wurde, erhielt sich dieselbe dennoch bis auf denheutigen Tag in solchem Ansehen, daß sie in weiten Kreisen das Haupt- hinderniß für die Annahme einer natürlichen Entwickelungstheorie bil- det. Bekanntlich haben selbst viele Naturforscher noch in unserem Jahrhundert versucht, dieselbe mit den Ergebnissen der neueren Na- turwissenschaft, insbesondere der Geologie, in Einklang zu bringen, und z. B. die sieben Schöpfungstage des Moses als sieben große geologische Perioden gedeutet. Jndessen sind alle diese künstlichen Deu- tungsversuche so vollkommen verfehlt, daß sie hier keiner Widerlegung bedürfen. Die Bibel ist kein naturwissenschaftliches Werk, sondern eine Geschichts-, Gesetzes- und Religionsurkunde des jüdischen Vol- kes, deren außerordentlich hoher Werth dadurch nicht geschmälert wird, daß sie in allen naturwissenschaftlichen Fragen ohne maßgebende Be- deutung und voll von Jrrthümern ist. Wir können nun einen großen Sprung von mehr als drei Jahr- Der außerordentliche Fortschritt, welchen Karl Linne in den Schoͤpfungsgeſchichte des Moſes. fenbarung aufgehoben wurde, erhielt ſich dieſelbe dennoch bis auf denheutigen Tag in ſolchem Anſehen, daß ſie in weiten Kreiſen das Haupt- hinderniß fuͤr die Annahme einer natuͤrlichen Entwickelungstheorie bil- det. Bekanntlich haben ſelbſt viele Naturforſcher noch in unſerem Jahrhundert verſucht, dieſelbe mit den Ergebniſſen der neueren Na- turwiſſenſchaft, insbeſondere der Geologie, in Einklang zu bringen, und z. B. die ſieben Schoͤpfungstage des Moſes als ſieben große geologiſche Perioden gedeutet. Jndeſſen ſind alle dieſe kuͤnſtlichen Deu- tungsverſuche ſo vollkommen verfehlt, daß ſie hier keiner Widerlegung beduͤrfen. Die Bibel iſt kein naturwiſſenſchaftliches Werk, ſondern eine Geſchichts-, Geſetzes- und Religionsurkunde des juͤdiſchen Vol- kes, deren außerordentlich hoher Werth dadurch nicht geſchmaͤlert wird, daß ſie in allen naturwiſſenſchaftlichen Fragen ohne maßgebende Be- deutung und voll von Jrrthuͤmern iſt. Wir koͤnnen nun einen großen Sprung von mehr als drei Jahr- Der außerordentliche Fortſchritt, welchen Karl Linné in den <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0052" n="31"/><fw place="top" type="header">Schoͤpfungsgeſchichte des Moſes.</fw><lb/> fenbarung aufgehoben wurde, erhielt ſich dieſelbe dennoch bis auf den<lb/> heutigen Tag in ſolchem Anſehen, daß ſie in weiten Kreiſen das Haupt-<lb/> hinderniß fuͤr die Annahme einer natuͤrlichen Entwickelungstheorie bil-<lb/> det. Bekanntlich haben ſelbſt viele Naturforſcher noch in unſerem<lb/> Jahrhundert verſucht, dieſelbe mit den Ergebniſſen der neueren Na-<lb/> turwiſſenſchaft, insbeſondere der Geologie, in Einklang zu bringen,<lb/> und z. B. die ſieben Schoͤpfungstage des <hi rendition="#g">Moſes</hi> als ſieben große<lb/> geologiſche Perioden gedeutet. Jndeſſen ſind alle dieſe kuͤnſtlichen Deu-<lb/> tungsverſuche ſo vollkommen verfehlt, daß ſie hier keiner Widerlegung<lb/> beduͤrfen. Die Bibel iſt kein naturwiſſenſchaftliches Werk, ſondern<lb/> eine Geſchichts-, Geſetzes- und Religionsurkunde des juͤdiſchen Vol-<lb/> kes, deren außerordentlich hoher Werth dadurch nicht geſchmaͤlert wird,<lb/> daß ſie in allen naturwiſſenſchaftlichen Fragen ohne maßgebende Be-<lb/> deutung und voll von Jrrthuͤmern iſt.</p><lb/> <p>Wir koͤnnen nun einen großen Sprung von mehr als drei Jahr-<lb/> tauſenden machen, von <hi rendition="#g">Moſes,</hi> welcher ungefaͤhr um das Jahr<lb/> 1480 vor Chriſtus ſtarb, bis auf Linn<hi rendition="#aq">é</hi>, welcher 1707 nach Chriſtus<lb/> geboren wurde. Waͤhrend dieſes ganzen Zeitraums wurde keine Schoͤ-<lb/> pfungsgeſchichte aufgeſtellt, welche eine bleibende Bedeutung gewann,<lb/> oder deren naͤhere Betrachtung an dieſem Orte von Jntereſſe waͤre.<lb/> Jnsbeſondere waͤhrend der letzten 1500 Jahre, als das Chriſtenthum<lb/> die Weltherrſchaft gewann, blieb die mit deſſen Glaubenslehren ver-<lb/> knuͤpfte moſaiſche Schoͤpfungsgeſchichte ſo allgemein herrſchend, daß<lb/> erſt das neunzehnte Jahrhundert ſich entſchieden dagegen aufzulehnen<lb/> wagte. Selbſt der große ſchwediſche Naturforſcher Linn<hi rendition="#aq">é</hi>, der Be-<lb/> gruͤnder der neueren Naturgeſchichte, ſchloß ſich in ſeinem Naturſyſtem<lb/> auf das Engſte an die Schoͤpfungsgeſchichte des <hi rendition="#g">Moſes</hi> an.</p><lb/> <p>Der außerordentliche Fortſchritt, welchen <hi rendition="#g">Karl Linn<hi rendition="#aq">é</hi></hi> in den<lb/> ſogenannten beſchreibenden Naturwiſſenſchaften that, beſteht bekannt-<lb/> lich in der Aufſtellung eines <hi rendition="#g">Syſtems</hi> der Thier- und Pflanzenar-<lb/> ten, welches er in ſo folgerichtiger und logiſch vollendeter Form durch-<lb/> fuͤhrte, daß es bis auf den heutigen Tag in vielen Beziehungen die<lb/> Richtſchnur fuͤr alle folgenden, mit den Formen der Thiere und Pflan-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [31/0052]
Schoͤpfungsgeſchichte des Moſes.
fenbarung aufgehoben wurde, erhielt ſich dieſelbe dennoch bis auf den
heutigen Tag in ſolchem Anſehen, daß ſie in weiten Kreiſen das Haupt-
hinderniß fuͤr die Annahme einer natuͤrlichen Entwickelungstheorie bil-
det. Bekanntlich haben ſelbſt viele Naturforſcher noch in unſerem
Jahrhundert verſucht, dieſelbe mit den Ergebniſſen der neueren Na-
turwiſſenſchaft, insbeſondere der Geologie, in Einklang zu bringen,
und z. B. die ſieben Schoͤpfungstage des Moſes als ſieben große
geologiſche Perioden gedeutet. Jndeſſen ſind alle dieſe kuͤnſtlichen Deu-
tungsverſuche ſo vollkommen verfehlt, daß ſie hier keiner Widerlegung
beduͤrfen. Die Bibel iſt kein naturwiſſenſchaftliches Werk, ſondern
eine Geſchichts-, Geſetzes- und Religionsurkunde des juͤdiſchen Vol-
kes, deren außerordentlich hoher Werth dadurch nicht geſchmaͤlert wird,
daß ſie in allen naturwiſſenſchaftlichen Fragen ohne maßgebende Be-
deutung und voll von Jrrthuͤmern iſt.
Wir koͤnnen nun einen großen Sprung von mehr als drei Jahr-
tauſenden machen, von Moſes, welcher ungefaͤhr um das Jahr
1480 vor Chriſtus ſtarb, bis auf Linné, welcher 1707 nach Chriſtus
geboren wurde. Waͤhrend dieſes ganzen Zeitraums wurde keine Schoͤ-
pfungsgeſchichte aufgeſtellt, welche eine bleibende Bedeutung gewann,
oder deren naͤhere Betrachtung an dieſem Orte von Jntereſſe waͤre.
Jnsbeſondere waͤhrend der letzten 1500 Jahre, als das Chriſtenthum
die Weltherrſchaft gewann, blieb die mit deſſen Glaubenslehren ver-
knuͤpfte moſaiſche Schoͤpfungsgeſchichte ſo allgemein herrſchend, daß
erſt das neunzehnte Jahrhundert ſich entſchieden dagegen aufzulehnen
wagte. Selbſt der große ſchwediſche Naturforſcher Linné, der Be-
gruͤnder der neueren Naturgeſchichte, ſchloß ſich in ſeinem Naturſyſtem
auf das Engſte an die Schoͤpfungsgeſchichte des Moſes an.
Der außerordentliche Fortſchritt, welchen Karl Linné in den
ſogenannten beſchreibenden Naturwiſſenſchaften that, beſteht bekannt-
lich in der Aufſtellung eines Syſtems der Thier- und Pflanzenar-
ten, welches er in ſo folgerichtiger und logiſch vollendeter Form durch-
fuͤhrte, daß es bis auf den heutigen Tag in vielen Beziehungen die
Richtſchnur fuͤr alle folgenden, mit den Formen der Thiere und Pflan-
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