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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868.

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Praktische und theoretische Bedeutung der binären Nomenklatur.
Löwe Felis leo; alle sechs Raubthierarten sind verschiedene Species
eines und desselben Genus: Felis. Oder, um ein Beispiel aus der
Pflanzenwelt hinzuzufügen, so heißt nach Linne's Benennung die
Fichte Pinus abies, die Tanne Pinus picea, die Lärche Pinus la-
rix,
die Pinie Pinus pinea, die Zirbelkiefer Pinus cembra, das
Knieholz Pinus mughus, die gewöhnliche Kiefer Pinus silvestris;
alle sieben Nadelholzarten sind verschiedene Species eines und dessel-
ben Genus: Pinus.

Vielleicht scheint Jhnen dieser von Linne herbeigeführte Fort-
schritt in der praktischen Unterscheidung und Benennung der vielgestal-
tigen Organismen nur von untergeordneter Wichtigkeit zu sein. Al-
lein in Wirklichkeit war er von der allergrößten Bedeutung, und zwar
sowohl in praktischer als in theoretischer Beziehung. Denn es wurde
nun erst möglich, die Unmasse der verschiedenartigen organischen For-
men nach dem größeren oder geringeren Grade ihrer Aehnlichkeit zu-
sammenzustellen und übersichtlich in das Fachwerk des Systems zu
ordnen. Die Registratur dieses Fachwerks machte Linne dadurch noch
übersichtlicher, daß er die nächstähnlichen Gattungen (Genera) in so-
genannte Ordnungen (Ordines) zusammenstellte, und daß er die nächst-
ähnlichen Ordnungen in noch umfassenderen Hauptabtheilungen, den
Klassen (Classes) vereinigte. Es zerfiel also zunächst jedes der beiden
organischen Reiche nach Linne in eine geringe Anzahl von Klassen;
das Pflanzenreich in 24 Klassen, das Thierreich in 6 Klassen. Jede
Klasse enthielt wieder mehrere Ordnungen. Jede einzelne Ordnung
konnte eine Mehrzahl von Gattungen und jede einzelne Gattung wie-
derum mehrere Arten enthalten.

Nicht minder bedeutend aber, als der unschätzbare praktische
Nutzen, welcher Linne's binäre Nomenclatur sofort für eine über-
sichtliche systematische Unterscheidung, Benennung, Anordnung und
Eintheilung der organischen Formenwelt hatte, war der unberechen-
bare theoretische Einfluß, welchen dieselbe alsbald auf die gesammte
allgemeine Beurtheilung der organischen Formen, und ganz besonders
auf die Schöpfungsgeschichte gewann. Noch heute drehen sich alle

Haeckel, Natürliche Schöpfungsgeschichte. 3

Praktiſche und theoretiſche Bedeutung der binaͤren Nomenklatur.
Loͤwe Felis leo; alle ſechs Raubthierarten ſind verſchiedene Species
eines und deſſelben Genus: Felis. Oder, um ein Beiſpiel aus der
Pflanzenwelt hinzuzufuͤgen, ſo heißt nach Linné’s Benennung die
Fichte Pinus abies, die Tanne Pinus picea, die Laͤrche Pinus la-
rix,
die Pinie Pinus pinea, die Zirbelkiefer Pinus cembra, das
Knieholz Pinus mughus, die gewoͤhnliche Kiefer Pinus silvestris;
alle ſieben Nadelholzarten ſind verſchiedene Species eines und deſſel-
ben Genus: Pinus.

Vielleicht ſcheint Jhnen dieſer von Linné herbeigefuͤhrte Fort-
ſchritt in der praktiſchen Unterſcheidung und Benennung der vielgeſtal-
tigen Organismen nur von untergeordneter Wichtigkeit zu ſein. Al-
lein in Wirklichkeit war er von der allergroͤßten Bedeutung, und zwar
ſowohl in praktiſcher als in theoretiſcher Beziehung. Denn es wurde
nun erſt moͤglich, die Unmaſſe der verſchiedenartigen organiſchen For-
men nach dem groͤßeren oder geringeren Grade ihrer Aehnlichkeit zu-
ſammenzuſtellen und uͤberſichtlich in das Fachwerk des Syſtems zu
ordnen. Die Regiſtratur dieſes Fachwerks machte Linné dadurch noch
uͤberſichtlicher, daß er die naͤchſtaͤhnlichen Gattungen (Genera) in ſo-
genannte Ordnungen (Ordines) zuſammenſtellte, und daß er die naͤchſt-
aͤhnlichen Ordnungen in noch umfaſſenderen Hauptabtheilungen, den
Klaſſen (Classes) vereinigte. Es zerfiel alſo zunaͤchſt jedes der beiden
organiſchen Reiche nach Linné in eine geringe Anzahl von Klaſſen;
das Pflanzenreich in 24 Klaſſen, das Thierreich in 6 Klaſſen. Jede
Klaſſe enthielt wieder mehrere Ordnungen. Jede einzelne Ordnung
konnte eine Mehrzahl von Gattungen und jede einzelne Gattung wie-
derum mehrere Arten enthalten.

Nicht minder bedeutend aber, als der unſchaͤtzbare praktiſche
Nutzen, welcher Linné’s binaͤre Nomenclatur ſofort fuͤr eine uͤber-
ſichtliche ſyſtematiſche Unterſcheidung, Benennung, Anordnung und
Eintheilung der organiſchen Formenwelt hatte, war der unberechen-
bare theoretiſche Einfluß, welchen dieſelbe alsbald auf die geſammte
allgemeine Beurtheilung der organiſchen Formen, und ganz beſonders
auf die Schoͤpfungsgeſchichte gewann. Noch heute drehen ſich alle

Haeckel, Natuͤrliche Schoͤpfungsgeſchichte. 3
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[33/0054] Praktiſche und theoretiſche Bedeutung der binaͤren Nomenklatur. Loͤwe Felis leo; alle ſechs Raubthierarten ſind verſchiedene Species eines und deſſelben Genus: Felis. Oder, um ein Beiſpiel aus der Pflanzenwelt hinzuzufuͤgen, ſo heißt nach Linné’s Benennung die Fichte Pinus abies, die Tanne Pinus picea, die Laͤrche Pinus la- rix, die Pinie Pinus pinea, die Zirbelkiefer Pinus cembra, das Knieholz Pinus mughus, die gewoͤhnliche Kiefer Pinus silvestris; alle ſieben Nadelholzarten ſind verſchiedene Species eines und deſſel- ben Genus: Pinus. Vielleicht ſcheint Jhnen dieſer von Linné herbeigefuͤhrte Fort- ſchritt in der praktiſchen Unterſcheidung und Benennung der vielgeſtal- tigen Organismen nur von untergeordneter Wichtigkeit zu ſein. Al- lein in Wirklichkeit war er von der allergroͤßten Bedeutung, und zwar ſowohl in praktiſcher als in theoretiſcher Beziehung. Denn es wurde nun erſt moͤglich, die Unmaſſe der verſchiedenartigen organiſchen For- men nach dem groͤßeren oder geringeren Grade ihrer Aehnlichkeit zu- ſammenzuſtellen und uͤberſichtlich in das Fachwerk des Syſtems zu ordnen. Die Regiſtratur dieſes Fachwerks machte Linné dadurch noch uͤberſichtlicher, daß er die naͤchſtaͤhnlichen Gattungen (Genera) in ſo- genannte Ordnungen (Ordines) zuſammenſtellte, und daß er die naͤchſt- aͤhnlichen Ordnungen in noch umfaſſenderen Hauptabtheilungen, den Klaſſen (Classes) vereinigte. Es zerfiel alſo zunaͤchſt jedes der beiden organiſchen Reiche nach Linné in eine geringe Anzahl von Klaſſen; das Pflanzenreich in 24 Klaſſen, das Thierreich in 6 Klaſſen. Jede Klaſſe enthielt wieder mehrere Ordnungen. Jede einzelne Ordnung konnte eine Mehrzahl von Gattungen und jede einzelne Gattung wie- derum mehrere Arten enthalten. Nicht minder bedeutend aber, als der unſchaͤtzbare praktiſche Nutzen, welcher Linné’s binaͤre Nomenclatur ſofort fuͤr eine uͤber- ſichtliche ſyſtematiſche Unterſcheidung, Benennung, Anordnung und Eintheilung der organiſchen Formenwelt hatte, war der unberechen- bare theoretiſche Einfluß, welchen dieſelbe alsbald auf die geſammte allgemeine Beurtheilung der organiſchen Formen, und ganz beſonders auf die Schoͤpfungsgeſchichte gewann. Noch heute drehen ſich alle Haeckel, Natuͤrliche Schoͤpfungsgeſchichte. 3

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/54>, abgerufen am 21.11.2024.