die wichtigen Grundfragen, welche wir vorher kurz erörterten, zuletzt um die Entscheidung der scheinbar sehr abgelegenen und unwichtigen Vorfrage, was denn eigentlich die Art oder Species ist? Noch heute kann der Begriff der organischen Species als der Angelpunkt der ganzen Schöpfungsfrage bezeichnet werden, als der streitige Mittelpunkt, um dessen verschiedene Auffassung sich alle Darwinisten und Antidarwinisten herumschlagen.
Nach der Meinung Darwins und seiner Anhänger sind die ver- schiedenen Species einer und derselben Gattung von Thieren und Pflanzen weiter nichts, als verschiedenartig entwickelte Abkömmlinge einer und derselben ursprünglichen Stammform. Die verschiedenen vorhin genannten Nadelholzarten würden demnach von einer einzigen ursprünglichen Pinusform abstammen. Ebenso würden alle oben an- geführten Katzenarten aus einer einzigen gemeinsamen Felisform ih- ren Ursprung ableiten, dem Stammvater der ganzen Gattung. Wei- terhin müßten dann aber, der Abstammungslehre entsprechend, auch alle verschiedenen Gattungen einer und derselben Ordnung von einer einzigen gemeinschaftlichen Urform abstammen, und ebenso endlich alle Ordnungen einer Klasse von einer einzigen Stammform.
Nach der entgegengesetzten Vorstellung der Gegner Darwins sind dagegen alle Thier- und Pflanzenspezies ganz unabhängig von einander, und nur die Einzelwesen oder Jndividuen einer jeden Spe- cies stammen von einer einzigen gemeinsamen Stammform ab. Fra- gen wir sie nun aber, wie sie sich denn diese ursprünglichen Stamm- formen der einzelnen Arten entstanden denken, so antworten sie uns mit einem Sprung in das Unbegreifliche: "sie sind als solche geschaf- fen worden."
Linne selbst bestimmte den Begriff der Species bereits in dieser Weise, indem er sagte: "Es gibt soviel verschiedene Arten, als im Anfang verschiedene Formen von dem unendlichen Wesen erschaffen worden sind." ("Species tot sunt diversae, quot diversas for- mas ab initio creavit infinitum ens.") Er schloß sich also in die- ser Beziehung aufs Engste an die mosaische Schöpfungsgeschichte an,
Bedeutung des Speciesbegriffs bei Linné.
die wichtigen Grundfragen, welche wir vorher kurz eroͤrterten, zuletzt um die Entſcheidung der ſcheinbar ſehr abgelegenen und unwichtigen Vorfrage, was denn eigentlich die Art oder Species iſt? Noch heute kann der Begriff der organiſchen Species als der Angelpunkt der ganzen Schoͤpfungsfrage bezeichnet werden, als der ſtreitige Mittelpunkt, um deſſen verſchiedene Auffaſſung ſich alle Darwiniſten und Antidarwiniſten herumſchlagen.
Nach der Meinung Darwins und ſeiner Anhaͤnger ſind die ver- ſchiedenen Species einer und derſelben Gattung von Thieren und Pflanzen weiter nichts, als verſchiedenartig entwickelte Abkoͤmmlinge einer und derſelben urſpruͤnglichen Stammform. Die verſchiedenen vorhin genannten Nadelholzarten wuͤrden demnach von einer einzigen urſpruͤnglichen Pinusform abſtammen. Ebenſo wuͤrden alle oben an- gefuͤhrten Katzenarten aus einer einzigen gemeinſamen Felisform ih- ren Urſprung ableiten, dem Stammvater der ganzen Gattung. Wei- terhin muͤßten dann aber, der Abſtammungslehre entſprechend, auch alle verſchiedenen Gattungen einer und derſelben Ordnung von einer einzigen gemeinſchaftlichen Urform abſtammen, und ebenſo endlich alle Ordnungen einer Klaſſe von einer einzigen Stammform.
Nach der entgegengeſetzten Vorſtellung der Gegner Darwins ſind dagegen alle Thier- und Pflanzenſpezies ganz unabhaͤngig von einander, und nur die Einzelweſen oder Jndividuen einer jeden Spe- cies ſtammen von einer einzigen gemeinſamen Stammform ab. Fra- gen wir ſie nun aber, wie ſie ſich denn dieſe urſpruͤnglichen Stamm- formen der einzelnen Arten entſtanden denken, ſo antworten ſie uns mit einem Sprung in das Unbegreifliche: „ſie ſind als ſolche geſchaf- fen worden.“
Linné ſelbſt beſtimmte den Begriff der Species bereits in dieſer Weiſe, indem er ſagte: „Es gibt ſoviel verſchiedene Arten, als im Anfang verſchiedene Formen von dem unendlichen Weſen erſchaffen worden ſind.“ („Species tot sunt diversae, quot diversas for- mas ab initio creavit infinitum ens.“) Er ſchloß ſich alſo in die- ſer Beziehung aufs Engſte an die moſaiſche Schoͤpfungsgeſchichte an,
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Bedeutung des Speciesbegriffs bei Linné.
die wichtigen Grundfragen, welche wir vorher kurz eroͤrterten, zuletzt
um die Entſcheidung der ſcheinbar ſehr abgelegenen und unwichtigen
Vorfrage, was denn eigentlich die Art oder Species iſt?
Noch heute kann der Begriff der organiſchen Species als
der Angelpunkt der ganzen Schoͤpfungsfrage bezeichnet werden, als
der ſtreitige Mittelpunkt, um deſſen verſchiedene Auffaſſung ſich alle
Darwiniſten und Antidarwiniſten herumſchlagen.
Nach der Meinung Darwins und ſeiner Anhaͤnger ſind die ver-
ſchiedenen Species einer und derſelben Gattung von Thieren und
Pflanzen weiter nichts, als verſchiedenartig entwickelte Abkoͤmmlinge
einer und derſelben urſpruͤnglichen Stammform. Die verſchiedenen
vorhin genannten Nadelholzarten wuͤrden demnach von einer einzigen
urſpruͤnglichen Pinusform abſtammen. Ebenſo wuͤrden alle oben an-
gefuͤhrten Katzenarten aus einer einzigen gemeinſamen Felisform ih-
ren Urſprung ableiten, dem Stammvater der ganzen Gattung. Wei-
terhin muͤßten dann aber, der Abſtammungslehre entſprechend, auch
alle verſchiedenen Gattungen einer und derſelben Ordnung von einer
einzigen gemeinſchaftlichen Urform abſtammen, und ebenſo endlich
alle Ordnungen einer Klaſſe von einer einzigen Stammform.
Nach der entgegengeſetzten Vorſtellung der Gegner Darwins
ſind dagegen alle Thier- und Pflanzenſpezies ganz unabhaͤngig von
einander, und nur die Einzelweſen oder Jndividuen einer jeden Spe-
cies ſtammen von einer einzigen gemeinſamen Stammform ab. Fra-
gen wir ſie nun aber, wie ſie ſich denn dieſe urſpruͤnglichen Stamm-
formen der einzelnen Arten entſtanden denken, ſo antworten ſie uns
mit einem Sprung in das Unbegreifliche: „ſie ſind als ſolche geſchaf-
fen worden.“
Linné ſelbſt beſtimmte den Begriff der Species bereits in dieſer
Weiſe, indem er ſagte: „Es gibt ſoviel verſchiedene Arten, als im
Anfang verſchiedene Formen von dem unendlichen Weſen erſchaffen
worden ſind.“ („Species tot sunt diversae, quot diversas for-
mas ab initio creavit infinitum ens.“) Er ſchloß ſich alſo in die-
ſer Beziehung aufs Engſte an die moſaiſche Schoͤpfungsgeſchichte an,
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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/55>, abgerufen am 24.11.2024.
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