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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868.

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Cuviers Definition der Species.
an, und theilte seine Vorstellung von einer unabhängigen Erschaffung
der einzelnen Arten. Die Unveränderlichkeit derselben hielt Cu-
vier
für so wichtig, daß er sich bis zu dem thörichten Ausspruche ver-
stieg: "die Beständigkeit der Species ist eine nothwendige Bedingung
für die Existenz der wissenschaftlichen Naturgeschichte." Da Linne's
Definition der Species ihm nicht genügte, machte er den Versuch, eine
genauere und für die systematische Praxis mehr verwerthbare Be-
griffsbestimmung derselben zu geben, und zwar in folgender Defini-
tion: "Zu einer Art gehören alle diejenigen Jndividuen der Thiere
oder Pflanzen, welche entweder von einander oder von gemeinsamen
Stammeltern bewiesenermaßen abstammen, oder welche diesen so ähn-
lich sind, als die letzteren unter sich."

Cuvier dachte sich also in dieser Beziehung Folgendes: "Bei
denjenigen organischen Jndividuen, von denen wir wissen, sie stam-
men von einer und derselben Elternform ab, bei denen also ihre ge-
meinsame Abstammung empirisch erwiesen ist, leidet es keinen Zwei-
fel, daß sie zu einer Art gehören, mögen dieselben nun wenig oder
viel von einander abweichen, mögen sie fast gleich oder sehr ungleich
sein. Ebenso gehören dann aber zu dieser Art auch alle diejenigen
Jndividuen, welche von den letzteren (den aus gemeinsamem Stamm
empirisch abgeleiteten) nicht mehr verschieden sind, als diese unter
sich von einander abweichen. Bei näherer Betrachtung dieser Spe-
ciesdefinition Cuviers zeigt sich sofort, daß dieselbe weder theore-
tisch befriedigend, noch praktisch anwendbar ist. Cuvier fing mit
dieser Definition bereits an, sich in dem Kreise herum zu drehen, in
welchem fast alle folgenden Definitionen der Species im Sinne ihrer
Unveränderlichkeit sich bewegt haben.

Bei der außerordentlichen Bedeutung, welche George Cuvier
für die organische Naturwissenschaft gewonnen hat, angesichts der fast
unbeschränkten Alleinherrschaft, welche seine Ansichten während der
ersten Hälfte unsers Jahrhunderts in der Thierkunde ausübten, er-
scheint es an dieser Stelle angemessen, seinen Einfluß noch etwas
näher zu beleuchten. Es ist dies um so nöthiger, als wir in Cuvier

Cuviers Definition der Species.
an, und theilte ſeine Vorſtellung von einer unabhaͤngigen Erſchaffung
der einzelnen Arten. Die Unveraͤnderlichkeit derſelben hielt Cu-
vier
fuͤr ſo wichtig, daß er ſich bis zu dem thoͤrichten Ausſpruche ver-
ſtieg: „die Beſtaͤndigkeit der Species iſt eine nothwendige Bedingung
fuͤr die Exiſtenz der wiſſenſchaftlichen Naturgeſchichte.“ Da Linné’s
Definition der Species ihm nicht genuͤgte, machte er den Verſuch, eine
genauere und fuͤr die ſyſtematiſche Praxis mehr verwerthbare Be-
griffsbeſtimmung derſelben zu geben, und zwar in folgender Defini-
tion: „Zu einer Art gehoͤren alle diejenigen Jndividuen der Thiere
oder Pflanzen, welche entweder von einander oder von gemeinſamen
Stammeltern bewieſenermaßen abſtammen, oder welche dieſen ſo aͤhn-
lich ſind, als die letzteren unter ſich.“

Cuvier dachte ſich alſo in dieſer Beziehung Folgendes: „Bei
denjenigen organiſchen Jndividuen, von denen wir wiſſen, ſie ſtam-
men von einer und derſelben Elternform ab, bei denen alſo ihre ge-
meinſame Abſtammung empiriſch erwieſen iſt, leidet es keinen Zwei-
fel, daß ſie zu einer Art gehoͤren, moͤgen dieſelben nun wenig oder
viel von einander abweichen, moͤgen ſie faſt gleich oder ſehr ungleich
ſein. Ebenſo gehoͤren dann aber zu dieſer Art auch alle diejenigen
Jndividuen, welche von den letzteren (den aus gemeinſamem Stamm
empiriſch abgeleiteten) nicht mehr verſchieden ſind, als dieſe unter
ſich von einander abweichen. Bei naͤherer Betrachtung dieſer Spe-
ciesdefinition Cuviers zeigt ſich ſofort, daß dieſelbe weder theore-
tiſch befriedigend, noch praktiſch anwendbar iſt. Cuvier fing mit
dieſer Definition bereits an, ſich in dem Kreiſe herum zu drehen, in
welchem faſt alle folgenden Definitionen der Species im Sinne ihrer
Unveraͤnderlichkeit ſich bewegt haben.

Bei der außerordentlichen Bedeutung, welche George Cuvier
fuͤr die organiſche Naturwiſſenſchaft gewonnen hat, angeſichts der faſt
unbeſchraͤnkten Alleinherrſchaft, welche ſeine Anſichten waͤhrend der
erſten Haͤlfte unſers Jahrhunderts in der Thierkunde ausuͤbten, er-
ſcheint es an dieſer Stelle angemeſſen, ſeinen Einfluß noch etwas
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[41/0062] Cuviers Definition der Species. an, und theilte ſeine Vorſtellung von einer unabhaͤngigen Erſchaffung der einzelnen Arten. Die Unveraͤnderlichkeit derſelben hielt Cu- vier fuͤr ſo wichtig, daß er ſich bis zu dem thoͤrichten Ausſpruche ver- ſtieg: „die Beſtaͤndigkeit der Species iſt eine nothwendige Bedingung fuͤr die Exiſtenz der wiſſenſchaftlichen Naturgeſchichte.“ Da Linné’s Definition der Species ihm nicht genuͤgte, machte er den Verſuch, eine genauere und fuͤr die ſyſtematiſche Praxis mehr verwerthbare Be- griffsbeſtimmung derſelben zu geben, und zwar in folgender Defini- tion: „Zu einer Art gehoͤren alle diejenigen Jndividuen der Thiere oder Pflanzen, welche entweder von einander oder von gemeinſamen Stammeltern bewieſenermaßen abſtammen, oder welche dieſen ſo aͤhn- lich ſind, als die letzteren unter ſich.“ Cuvier dachte ſich alſo in dieſer Beziehung Folgendes: „Bei denjenigen organiſchen Jndividuen, von denen wir wiſſen, ſie ſtam- men von einer und derſelben Elternform ab, bei denen alſo ihre ge- meinſame Abſtammung empiriſch erwieſen iſt, leidet es keinen Zwei- fel, daß ſie zu einer Art gehoͤren, moͤgen dieſelben nun wenig oder viel von einander abweichen, moͤgen ſie faſt gleich oder ſehr ungleich ſein. Ebenſo gehoͤren dann aber zu dieſer Art auch alle diejenigen Jndividuen, welche von den letzteren (den aus gemeinſamem Stamm empiriſch abgeleiteten) nicht mehr verſchieden ſind, als dieſe unter ſich von einander abweichen. Bei naͤherer Betrachtung dieſer Spe- ciesdefinition Cuviers zeigt ſich ſofort, daß dieſelbe weder theore- tiſch befriedigend, noch praktiſch anwendbar iſt. Cuvier fing mit dieſer Definition bereits an, ſich in dem Kreiſe herum zu drehen, in welchem faſt alle folgenden Definitionen der Species im Sinne ihrer Unveraͤnderlichkeit ſich bewegt haben. Bei der außerordentlichen Bedeutung, welche George Cuvier fuͤr die organiſche Naturwiſſenſchaft gewonnen hat, angeſichts der faſt unbeſchraͤnkten Alleinherrſchaft, welche ſeine Anſichten waͤhrend der erſten Haͤlfte unſers Jahrhunderts in der Thierkunde ausuͤbten, er- ſcheint es an dieſer Stelle angemeſſen, ſeinen Einfluß noch etwas naͤher zu beleuchten. Es iſt dies um ſo noͤthiger, als wir in Cuvier

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/62>, abgerufen am 24.11.2024.