mütterlichen Fruchtbehälters (Uterus) geschützt, sondern auch durch die besonderen Fruchthüllen (Embryolemmen), welche allen drei höheren Wirbelthier-Klassen gemeinsam zukommen, den Rep- tilien, Vögeln und Säugethieren. Bei allen drei Amnioten- Klassen entwickeln sich diese Fruchthüllen (Amnion oder Wasser- haut und Serolemma oder seröse Haut) genau in derselben Weise. Es sind das Schutz-Einrichtungen, welche von den ältesten Rep- tilien (Proreptilien), den gemeinsamen Stammformen aller Am- nioten, erst in der Perm-Periode (gegen Ende des paläozoischen Zeitalters) erworben wurden, als diese höheren Wirbelthiere sich an das beständige Landleben und die Luftathmung gewöhnten. Ihre vorhergehenden Ahnen, die Amphibien der Steinkohlen- Periode, lebten und athmeten noch im Wasser, wie ihre älteren Vorfahren, die Fische.
Bei diesen älteren und niederen wasserbewohnenden Wirbel- thieren besaß die Keimesgeschichte noch in viel höherem Grade den palingenetischen Charakter, wie es auch noch bei den meisten Fischen und Amphibien der Gegenwart der Fall ist. Die be- kannten Kaulquappen, die Larven der Salamander und Frösche, bewahren noch heute in der ersten Zeit des freien Wasserlebens den Körperbau ihrer Fisch-Ahnen; sie gleichen ihnen auch in der Lebensweise, in der Kiemenathmung, in der Funktion ihrer Sinnes-Organe und ihrer anderen Seelen-Organe. Erst wenn die interessante Metamorphose der schwimmenden Kaulquappen eintritt, und wenn sie sich an das Landleben gewöhnen, ver- wandelt sich ihr fischähnlicher Körper in das vierfüßige, kriechende Amphibium; an die Stelle der Kiemen-Athmung im Wasser tritt die ausschließliche Luftathmung durch Lungen, und mit der ver- änderten Lebensweise erlangt auch der Seelen-Apparat, Nerven- system und Sinnes-Organe, einen höheren Grad der Ausbildung. Wenn wir die Psychogenie der Kaulquappen von Anfang bis zu Ende vollständig verfolgen könnten, würden wir das biogenetische
Verwandlung der Seele. VIII.
mütterlichen Fruchtbehälters (Uteruſ) geſchützt, ſondern auch durch die beſonderen Fruchthüllen (Embryolemmen), welche allen drei höheren Wirbelthier-Klaſſen gemeinſam zukommen, den Rep- tilien, Vögeln und Säugethieren. Bei allen drei Amnioten- Klaſſen entwickeln ſich dieſe Fruchthüllen (Amnion oder Waſſer- haut und Serolemma oder ſeröſe Haut) genau in derſelben Weiſe. Es ſind das Schutz-Einrichtungen, welche von den älteſten Rep- tilien (Proreptilien), den gemeinſamen Stammformen aller Am- nioten, erſt in der Perm-Periode (gegen Ende des paläozoiſchen Zeitalters) erworben wurden, als dieſe höheren Wirbelthiere ſich an das beſtändige Landleben und die Luftathmung gewöhnten. Ihre vorhergehenden Ahnen, die Amphibien der Steinkohlen- Periode, lebten und athmeten noch im Waſſer, wie ihre älteren Vorfahren, die Fiſche.
Bei dieſen älteren und niederen waſſerbewohnenden Wirbel- thieren beſaß die Keimesgeſchichte noch in viel höherem Grade den palingenetiſchen Charakter, wie es auch noch bei den meiſten Fiſchen und Amphibien der Gegenwart der Fall iſt. Die be- kannten Kaulquappen, die Larven der Salamander und Fröſche, bewahren noch heute in der erſten Zeit des freien Waſſerlebens den Körperbau ihrer Fiſch-Ahnen; ſie gleichen ihnen auch in der Lebensweiſe, in der Kiemenathmung, in der Funktion ihrer Sinnes-Organe und ihrer anderen Seelen-Organe. Erſt wenn die intereſſante Metamorphoſe der ſchwimmenden Kaulquappen eintritt, und wenn ſie ſich an das Landleben gewöhnen, ver- wandelt ſich ihr fiſchähnlicher Körper in das vierfüßige, kriechende Amphibium; an die Stelle der Kiemen-Athmung im Waſſer tritt die ausſchließliche Luftathmung durch Lungen, und mit der ver- änderten Lebensweiſe erlangt auch der Seelen-Apparat, Nerven- ſyſtem und Sinnes-Organe, einen höheren Grad der Ausbildung. Wenn wir die Pſychogenie der Kaulquappen von Anfang bis zu Ende vollſtändig verfolgen könnten, würden wir das biogenetiſche
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0184"n="168"/><fwplace="top"type="header">Verwandlung der Seele. <hirendition="#aq">VIII.</hi></fw><lb/>
mütterlichen Fruchtbehälters <hirendition="#aq">(Uteruſ)</hi> geſchützt, ſondern auch<lb/>
durch die beſonderen Fruchthüllen <hirendition="#aq">(Embryolemmen)</hi>, welche allen<lb/>
drei höheren Wirbelthier-Klaſſen gemeinſam zukommen, den Rep-<lb/>
tilien, Vögeln und Säugethieren. Bei allen drei Amnioten-<lb/>
Klaſſen entwickeln ſich dieſe Fruchthüllen (<hirendition="#aq">Amnion</hi> oder Waſſer-<lb/>
haut und <hirendition="#aq">Serolemma</hi> oder ſeröſe Haut) genau in derſelben Weiſe.<lb/>
Es ſind das Schutz-Einrichtungen, welche von den älteſten Rep-<lb/>
tilien (Proreptilien), den gemeinſamen Stammformen aller Am-<lb/>
nioten, erſt in der Perm-Periode (gegen Ende des paläozoiſchen<lb/>
Zeitalters) erworben wurden, als dieſe höheren Wirbelthiere ſich<lb/>
an das beſtändige Landleben und die Luftathmung gewöhnten.<lb/>
Ihre vorhergehenden Ahnen, die Amphibien der Steinkohlen-<lb/>
Periode, lebten und athmeten noch im Waſſer, wie ihre älteren<lb/>
Vorfahren, die Fiſche.</p><lb/><p>Bei dieſen älteren und niederen waſſerbewohnenden Wirbel-<lb/>
thieren beſaß die Keimesgeſchichte noch in viel höherem Grade<lb/>
den palingenetiſchen Charakter, wie es auch noch bei den meiſten<lb/>
Fiſchen und Amphibien der Gegenwart der Fall iſt. Die be-<lb/>
kannten Kaulquappen, die Larven der Salamander und Fröſche,<lb/>
bewahren noch heute in der erſten Zeit des freien Waſſerlebens<lb/>
den Körperbau ihrer Fiſch-Ahnen; ſie gleichen ihnen auch in der<lb/>
Lebensweiſe, in der Kiemenathmung, in der Funktion ihrer<lb/>
Sinnes-Organe und ihrer anderen Seelen-Organe. Erſt wenn<lb/>
die intereſſante Metamorphoſe der ſchwimmenden Kaulquappen<lb/>
eintritt, und wenn ſie ſich an das Landleben gewöhnen, ver-<lb/>
wandelt ſich ihr fiſchähnlicher Körper in das vierfüßige, kriechende<lb/>
Amphibium; an die Stelle der Kiemen-Athmung im Waſſer tritt<lb/>
die ausſchließliche Luftathmung durch Lungen, und mit der ver-<lb/>
änderten Lebensweiſe erlangt auch der Seelen-Apparat, Nerven-<lb/>ſyſtem und Sinnes-Organe, einen höheren Grad der Ausbildung.<lb/>
Wenn wir die Pſychogenie der Kaulquappen von Anfang bis zu<lb/>
Ende vollſtändig verfolgen könnten, würden wir das biogenetiſche<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[168/0184]
Verwandlung der Seele. VIII.
mütterlichen Fruchtbehälters (Uteruſ) geſchützt, ſondern auch
durch die beſonderen Fruchthüllen (Embryolemmen), welche allen
drei höheren Wirbelthier-Klaſſen gemeinſam zukommen, den Rep-
tilien, Vögeln und Säugethieren. Bei allen drei Amnioten-
Klaſſen entwickeln ſich dieſe Fruchthüllen (Amnion oder Waſſer-
haut und Serolemma oder ſeröſe Haut) genau in derſelben Weiſe.
Es ſind das Schutz-Einrichtungen, welche von den älteſten Rep-
tilien (Proreptilien), den gemeinſamen Stammformen aller Am-
nioten, erſt in der Perm-Periode (gegen Ende des paläozoiſchen
Zeitalters) erworben wurden, als dieſe höheren Wirbelthiere ſich
an das beſtändige Landleben und die Luftathmung gewöhnten.
Ihre vorhergehenden Ahnen, die Amphibien der Steinkohlen-
Periode, lebten und athmeten noch im Waſſer, wie ihre älteren
Vorfahren, die Fiſche.
Bei dieſen älteren und niederen waſſerbewohnenden Wirbel-
thieren beſaß die Keimesgeſchichte noch in viel höherem Grade
den palingenetiſchen Charakter, wie es auch noch bei den meiſten
Fiſchen und Amphibien der Gegenwart der Fall iſt. Die be-
kannten Kaulquappen, die Larven der Salamander und Fröſche,
bewahren noch heute in der erſten Zeit des freien Waſſerlebens
den Körperbau ihrer Fiſch-Ahnen; ſie gleichen ihnen auch in der
Lebensweiſe, in der Kiemenathmung, in der Funktion ihrer
Sinnes-Organe und ihrer anderen Seelen-Organe. Erſt wenn
die intereſſante Metamorphoſe der ſchwimmenden Kaulquappen
eintritt, und wenn ſie ſich an das Landleben gewöhnen, ver-
wandelt ſich ihr fiſchähnlicher Körper in das vierfüßige, kriechende
Amphibium; an die Stelle der Kiemen-Athmung im Waſſer tritt
die ausſchließliche Luftathmung durch Lungen, und mit der ver-
änderten Lebensweiſe erlangt auch der Seelen-Apparat, Nerven-
ſyſtem und Sinnes-Organe, einen höheren Grad der Ausbildung.
Wenn wir die Pſychogenie der Kaulquappen von Anfang bis zu
Ende vollſtändig verfolgen könnten, würden wir das biogenetiſche
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/184>, abgerufen am 16.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.