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Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.

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XI. Glück des ewigen Lebens.
schaaren" ertönen. Kurz jeder Gläubige erwartet von seinem
ewigen Leben in Wahrheit eine direkte Fortsetzung seines indi-
viduellen Erden-Daseins, nur in einer bedeutend "vermehrten
und verbesserten Auflage".

Besonders muß hier noch die durchaus materialistische
Grundanschauung des christlichen Athanismus betont
werden, die mit dem absurden Dogma von der "Auferstehung
des Fleisches" eng zusammenhängt. Wie uns Tausende von
Oelgemälden berühmter Meister versinnlichen, gehen die "auf-
erstandenen Leiber" mit ihren "wiedergeborenen Seelen" droben
im Himmel gerade so spazieren, wie hier im Jammerthal der
Erde; sie schauen Gott mit ihren Augen, sie hören seine Stimme
mit ihren Ohren, sie singen Lieder zu seinen Ehren mit ihrem
Kehlkopf u. s. w. Kurz die modernen Bewohner des christlichen
Paradieses sind ebenso Doppelwesen von Leib und Seele, ebenso
mit allen Organen des irdischen Leibes ausgestattet, wie unsere
Altvordern in Odin's Saal zu Walhalla, wie die "unsterblichen"
Türken und Araber in Mohammed's lieblichen Paradies-Gärten,
wie die altgriechischen Halbgötter und Helden an Zeus' Tafel
im Olymp, im Genusse von Nektar und Ambrosia.

Mag man sich dieses "ewige Leben" im Paradiese aber noch
so herrlich ausmalen, so muß dasselbe auf die Dauer unendlich
langweilig werden. Und nun gar: "Ewig!" Ohne Unter-
brechung diese ewige individuelle Existenz fortführen! Der tief-
sinnige Mythus vom "Ewigen Juden", das vergebliche Ruhe-
suchen des unseligen Ahasverus sollte uns über den Werth eines
solchen "ewigen Lebens" aufklären! Das Beste, was wir uns nach
einem tüchtigen, nach unserm besten Gewissen gut angewandten
Leben wünschen können, ist der ewige Friede des Grabes;
"Herr, schenke ihnen die ewige Ruhe!"

Jeder vernünftige Gebildete, der die geologische Zeit-
rechnung
kennt und der über die lange Reihe der Jahrmillionen

XI. Glück des ewigen Lebens.
ſchaaren“ ertönen. Kurz jeder Gläubige erwartet von ſeinem
ewigen Leben in Wahrheit eine direkte Fortſetzung ſeines indi-
viduellen Erden-Daſeins, nur in einer bedeutend „vermehrten
und verbeſſerten Auflage“.

Beſonders muß hier noch die durchaus materialiſtiſche
Grundanſchauung des chriſtlichen Athanismus betont
werden, die mit dem abſurden Dogma von der „Auferſtehung
des Fleiſches“ eng zuſammenhängt. Wie uns Tauſende von
Oelgemälden berühmter Meiſter verſinnlichen, gehen die „auf-
erſtandenen Leiber“ mit ihren „wiedergeborenen Seelen“ droben
im Himmel gerade ſo ſpazieren, wie hier im Jammerthal der
Erde; ſie ſchauen Gott mit ihren Augen, ſie hören ſeine Stimme
mit ihren Ohren, ſie ſingen Lieder zu ſeinen Ehren mit ihrem
Kehlkopf u. ſ. w. Kurz die modernen Bewohner des chriſtlichen
Paradieſes ſind ebenſo Doppelweſen von Leib und Seele, ebenſo
mit allen Organen des irdiſchen Leibes ausgeſtattet, wie unſere
Altvordern in Odin's Saal zu Walhalla, wie die „unſterblichen“
Türken und Araber in Mohammed's lieblichen Paradies-Gärten,
wie die altgriechiſchen Halbgötter und Helden an Zeus' Tafel
im Olymp, im Genuſſe von Nektar und Ambroſia.

Mag man ſich dieſes „ewige Leben“ im Paradieſe aber noch
ſo herrlich ausmalen, ſo muß dasſelbe auf die Dauer unendlich
langweilig werden. Und nun gar: „Ewig!“ Ohne Unter-
brechung dieſe ewige individuelle Exiſtenz fortführen! Der tief-
ſinnige Mythus vom „Ewigen Juden“, das vergebliche Ruhe-
ſuchen des unſeligen Ahasverus ſollte uns über den Werth eines
ſolchen „ewigen Lebens“ aufklären! Das Beſte, was wir uns nach
einem tüchtigen, nach unſerm beſten Gewiſſen gut angewandten
Leben wünſchen können, iſt der ewige Friede des Grabes;
Herr, ſchenke ihnen die ewige Ruhe!

Jeder vernünftige Gebildete, der die geologiſche Zeit-
rechnung
kennt und der über die lange Reihe der Jahrmillionen

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[239/0255] XI. Glück des ewigen Lebens. ſchaaren“ ertönen. Kurz jeder Gläubige erwartet von ſeinem ewigen Leben in Wahrheit eine direkte Fortſetzung ſeines indi- viduellen Erden-Daſeins, nur in einer bedeutend „vermehrten und verbeſſerten Auflage“. Beſonders muß hier noch die durchaus materialiſtiſche Grundanſchauung des chriſtlichen Athanismus betont werden, die mit dem abſurden Dogma von der „Auferſtehung des Fleiſches“ eng zuſammenhängt. Wie uns Tauſende von Oelgemälden berühmter Meiſter verſinnlichen, gehen die „auf- erſtandenen Leiber“ mit ihren „wiedergeborenen Seelen“ droben im Himmel gerade ſo ſpazieren, wie hier im Jammerthal der Erde; ſie ſchauen Gott mit ihren Augen, ſie hören ſeine Stimme mit ihren Ohren, ſie ſingen Lieder zu ſeinen Ehren mit ihrem Kehlkopf u. ſ. w. Kurz die modernen Bewohner des chriſtlichen Paradieſes ſind ebenſo Doppelweſen von Leib und Seele, ebenſo mit allen Organen des irdiſchen Leibes ausgeſtattet, wie unſere Altvordern in Odin's Saal zu Walhalla, wie die „unſterblichen“ Türken und Araber in Mohammed's lieblichen Paradies-Gärten, wie die altgriechiſchen Halbgötter und Helden an Zeus' Tafel im Olymp, im Genuſſe von Nektar und Ambroſia. Mag man ſich dieſes „ewige Leben“ im Paradieſe aber noch ſo herrlich ausmalen, ſo muß dasſelbe auf die Dauer unendlich langweilig werden. Und nun gar: „Ewig!“ Ohne Unter- brechung dieſe ewige individuelle Exiſtenz fortführen! Der tief- ſinnige Mythus vom „Ewigen Juden“, das vergebliche Ruhe- ſuchen des unſeligen Ahasverus ſollte uns über den Werth eines ſolchen „ewigen Lebens“ aufklären! Das Beſte, was wir uns nach einem tüchtigen, nach unſerm beſten Gewiſſen gut angewandten Leben wünſchen können, iſt der ewige Friede des Grabes; „Herr, ſchenke ihnen die ewige Ruhe!“ Jeder vernünftige Gebildete, der die geologiſche Zeit- rechnung kennt und der über die lange Reihe der Jahrmillionen

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 239. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/255>, abgerufen am 22.11.2024.