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Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.

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Glück des ewigen Lebens. XI.
in der organischen Erdgeschichte nachgedacht hat, muß bei un-
befangenem Urtheil zugeben, daß der banale Gedanke des "ewigen
Lebens" auch für den besten Menschen kein herrlicher Trost,
sondern eine furchtbare Drohung ist. Nur Mangel an klarem
Urtheil und folgerichtigem Denken kann dies bestreiten.

Den besten und den am meisten berechtigten Grund für den
Athanismus giebt die Hoffnung, im "ewigen Leben" die theuren
Angehörigen und Freunde wieder zu sehen, von denen uns hier
auf Erden ein grausames Schicksal früh getrennt hat. Aber auch
dieses vermeintliche Glück erweist sich bei näherer Betrachtung
als Illusion; und jedenfalls würde es stark durch die Aussicht
getrübt, dort auch allen den weniger angenehmen Bekannten und
den widerwärtigen Feinden zu begegnen, die hier unser Dasein
getrübt haben. Selbst die nächsten Familien-Verhältnisse dürften
dann doch manche Schwierigkeiten bereiten! Viele Männer
würden gewiß gern auf alle Herrlichkeiten des Paradieses ver-
zichten, wenn sie die Gewißheit hätten, dort "ewig" mit ihrer
"besseren Hälfte" oder gar mit ihrer Schwiegermutter zusammen
zu sein. Auch ist es fraglich, ob dort König Heinrich VIII. von
England mit seinen sechs Frauen sich dauernd wohl fühlte; oder
gar König August der Starke von Polen, der seine Liebe über
hundert Frauen schenkte und mit ihnen 352 Kinder zeugte! Da
derselbe mit dem Papste, als dem "Statthalter Gottes", auf dem
besten Fuße stand, müßte auch er das Paradies bewohnen, trotz
aller seiner Mängel und trotzdem seine thörichten Kriegs-Abenteuer
mehr als hunderttausend Sachsen das Leben kosteten.

Unlösbare Schwierigkeiten bereitet auch den gläubigen
Athanisten die Frage, in welchem Stadium ihrer indi-
viduellen Entwickelung
die abgeschiedene Seele ihr
"ewiges Leben" fortführen soll? Sollen die Neugeborenen erst
im Himmel ihre Seele entwickeln, unter demselben harten "Kampf
um's Dasein", der den Menschen hier auf der Erde erzieht?

Glück des ewigen Lebens. XI.
in der organiſchen Erdgeſchichte nachgedacht hat, muß bei un-
befangenem Urtheil zugeben, daß der banale Gedanke des „ewigen
Lebens“ auch für den beſten Menſchen kein herrlicher Troſt,
ſondern eine furchtbare Drohung iſt. Nur Mangel an klarem
Urtheil und folgerichtigem Denken kann dies beſtreiten.

Den beſten und den am meiſten berechtigten Grund für den
Athanismus giebt die Hoffnung, im „ewigen Leben“ die theuren
Angehörigen und Freunde wieder zu ſehen, von denen uns hier
auf Erden ein grauſames Schickſal früh getrennt hat. Aber auch
dieſes vermeintliche Glück erweiſt ſich bei näherer Betrachtung
als Illuſion; und jedenfalls würde es ſtark durch die Ausſicht
getrübt, dort auch allen den weniger angenehmen Bekannten und
den widerwärtigen Feinden zu begegnen, die hier unſer Daſein
getrübt haben. Selbſt die nächſten Familien-Verhältniſſe dürften
dann doch manche Schwierigkeiten bereiten! Viele Männer
würden gewiß gern auf alle Herrlichkeiten des Paradieſes ver-
zichten, wenn ſie die Gewißheit hätten, dort „ewig“ mit ihrer
„beſſeren Hälfte“ oder gar mit ihrer Schwiegermutter zuſammen
zu ſein. Auch iſt es fraglich, ob dort König Heinrich VIII. von
England mit ſeinen ſechs Frauen ſich dauernd wohl fühlte; oder
gar König Auguſt der Starke von Polen, der ſeine Liebe über
hundert Frauen ſchenkte und mit ihnen 352 Kinder zeugte! Da
derſelbe mit dem Papſte, als dem „Statthalter Gottes“, auf dem
beſten Fuße ſtand, müßte auch er das Paradies bewohnen, trotz
aller ſeiner Mängel und trotzdem ſeine thörichten Kriegs-Abenteuer
mehr als hunderttauſend Sachſen das Leben koſteten.

Unlösbare Schwierigkeiten bereitet auch den gläubigen
Athaniſten die Frage, in welchem Stadium ihrer indi-
viduellen Entwickelung
die abgeſchiedene Seele ihr
„ewiges Leben“ fortführen ſoll? Sollen die Neugeborenen erſt
im Himmel ihre Seele entwickeln, unter demſelben harten „Kampf
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[240/0256] Glück des ewigen Lebens. XI. in der organiſchen Erdgeſchichte nachgedacht hat, muß bei un- befangenem Urtheil zugeben, daß der banale Gedanke des „ewigen Lebens“ auch für den beſten Menſchen kein herrlicher Troſt, ſondern eine furchtbare Drohung iſt. Nur Mangel an klarem Urtheil und folgerichtigem Denken kann dies beſtreiten. Den beſten und den am meiſten berechtigten Grund für den Athanismus giebt die Hoffnung, im „ewigen Leben“ die theuren Angehörigen und Freunde wieder zu ſehen, von denen uns hier auf Erden ein grauſames Schickſal früh getrennt hat. Aber auch dieſes vermeintliche Glück erweiſt ſich bei näherer Betrachtung als Illuſion; und jedenfalls würde es ſtark durch die Ausſicht getrübt, dort auch allen den weniger angenehmen Bekannten und den widerwärtigen Feinden zu begegnen, die hier unſer Daſein getrübt haben. Selbſt die nächſten Familien-Verhältniſſe dürften dann doch manche Schwierigkeiten bereiten! Viele Männer würden gewiß gern auf alle Herrlichkeiten des Paradieſes ver- zichten, wenn ſie die Gewißheit hätten, dort „ewig“ mit ihrer „beſſeren Hälfte“ oder gar mit ihrer Schwiegermutter zuſammen zu ſein. Auch iſt es fraglich, ob dort König Heinrich VIII. von England mit ſeinen ſechs Frauen ſich dauernd wohl fühlte; oder gar König Auguſt der Starke von Polen, der ſeine Liebe über hundert Frauen ſchenkte und mit ihnen 352 Kinder zeugte! Da derſelbe mit dem Papſte, als dem „Statthalter Gottes“, auf dem beſten Fuße ſtand, müßte auch er das Paradies bewohnen, trotz aller ſeiner Mängel und trotzdem ſeine thörichten Kriegs-Abenteuer mehr als hunderttauſend Sachſen das Leben koſteten. Unlösbare Schwierigkeiten bereitet auch den gläubigen Athaniſten die Frage, in welchem Stadium ihrer indi- viduellen Entwickelung die abgeſchiedene Seele ihr „ewiges Leben“ fortführen ſoll? Sollen die Neugeborenen erſt im Himmel ihre Seele entwickeln, unter demſelben harten „Kampf um's Daſein“, der den Menſchen hier auf der Erde erzieht?

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 240. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/256>, abgerufen am 22.11.2024.