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Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 1. Berlin, 1759.

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Viertes Buch. Das Herz.
Ordnung, welche in der Bewegung und in der abwech-
selnden Ruhe derer verschiedenen Gegenden des Herzens
unveränderlich beobachtet wird. Man verlangt den
Grund zu wissen, warum sich zu allererst das rechte Herz-
ohr, und zugleich auch zu eben der Zeit das linke Ohr zu-
sammenziehe, da indessen die schlaff gewordenen Kammern
ruhig verbleiben: und warum kurz darauf die Ohren von
der Zusammenziehung nachlassen und schlaff werden, da-
gegen aber beide Kammern sich zusammenziehen: und
warum endlich in der dritten kurzen Zeit die schlaffen Kam-
mern ruhig bleiben, wenn sich dagegen die Ohren lebhaft
verengern. Morlandus (s) hat sich schon vorlängst
über die Ursache dieser immerwährenden ordentlichen Ab-
wechselung ungemein verwundert.

Die phisiologischen Schriftsteller haben davon ver-
schiedene ziemlich scharfsinnige Hipothesen vorgebracht.
Lorenz Bellinus (t) nimmt zwischen denen Herzkammern
und Herzohren einen gewissen Gegenkampf (antagonis-
mus
) an: es erweitern sich, sagt er, wenn die Kammern
zusammengezogen werden, die Herzohren deswegen, weil
das Blut, welches die Herzhölen anfüllet, die Nerven der
Ohren drükket und den Einfluß des Nervensaftes in die-
se Ohren hindert. So bald nun hinwiederum die Kam-
mern erweitert würden, so schütteten die Nerven ihre be-
wegende geistige Flüßigkeit in die wieder in Freiheit ge-
sezte Ohren aus, und veranlasseten dieselben zur Zusam-
menziehung, nach der Hipothese dieses berühmten Man-
nes, die George Cheyne (u) wieder von neuen aufge-
wärmet hat.

Fast zu eben der Zeit leitete Raymund Vieussens (x)
die Kraft des Herzens von der vereinigten Wirkung der

thie-
(s) Of the force of the heart, S. 38.
(t) De cordis motu Propos. II.
(u) Phil. princip. of religion, S. 135.
(x) Vergl. die Nevrograph. L. I. c. 4. S. 19. 20. und Traite du
coeur,
S. 129. und folg.

Viertes Buch. Das Herz.
Ordnung, welche in der Bewegung und in der abwech-
ſelnden Ruhe derer verſchiedenen Gegenden des Herzens
unveraͤnderlich beobachtet wird. Man verlangt den
Grund zu wiſſen, warum ſich zu allererſt das rechte Herz-
ohr, und zugleich auch zu eben der Zeit das linke Ohr zu-
ſammenziehe, da indeſſen die ſchlaff gewordenen Kammern
ruhig verbleiben: und warum kurz darauf die Ohren von
der Zuſammenziehung nachlaſſen und ſchlaff werden, da-
gegen aber beide Kammern ſich zuſammenziehen: und
warum endlich in der dritten kurzen Zeit die ſchlaffen Kam-
mern ruhig bleiben, wenn ſich dagegen die Ohren lebhaft
verengern. Morlandus (s) hat ſich ſchon vorlaͤngſt
uͤber die Urſache dieſer immerwaͤhrenden ordentlichen Ab-
wechſelung ungemein verwundert.

Die phiſiologiſchen Schriftſteller haben davon ver-
ſchiedene ziemlich ſcharfſinnige Hipotheſen vorgebracht.
Lorenz Bellinus (t) nimmt zwiſchen denen Herzkammern
und Herzohren einen gewiſſen Gegenkampf (antagonis-
mus
) an: es erweitern ſich, ſagt er, wenn die Kammern
zuſammengezogen werden, die Herzohren deswegen, weil
das Blut, welches die Herzhoͤlen anfuͤllet, die Nerven der
Ohren druͤkket und den Einfluß des Nervenſaftes in die-
ſe Ohren hindert. So bald nun hinwiederum die Kam-
mern erweitert wuͤrden, ſo ſchuͤtteten die Nerven ihre be-
wegende geiſtige Fluͤßigkeit in die wieder in Freiheit ge-
ſezte Ohren aus, und veranlaſſeten dieſelben zur Zuſam-
menziehung, nach der Hipotheſe dieſes beruͤhmten Man-
nes, die George Cheyne (u) wieder von neuen aufge-
waͤrmet hat.

Faſt zu eben der Zeit leitete Raymund Vieuſſens (x)
die Kraft des Herzens von der vereinigten Wirkung der

thie-
(s) Of the force of the heart, S. 38.
(t) De cordis motu Propoſ. II.
(u) Phil. princip. of religion, S. 135.
(x) Vergl. die Nevrograph. L. I. c. 4. S. 19. 20. und Traité du
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S. 129. und folg.
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[954/1010] Viertes Buch. Das Herz. Ordnung, welche in der Bewegung und in der abwech- ſelnden Ruhe derer verſchiedenen Gegenden des Herzens unveraͤnderlich beobachtet wird. Man verlangt den Grund zu wiſſen, warum ſich zu allererſt das rechte Herz- ohr, und zugleich auch zu eben der Zeit das linke Ohr zu- ſammenziehe, da indeſſen die ſchlaff gewordenen Kammern ruhig verbleiben: und warum kurz darauf die Ohren von der Zuſammenziehung nachlaſſen und ſchlaff werden, da- gegen aber beide Kammern ſich zuſammenziehen: und warum endlich in der dritten kurzen Zeit die ſchlaffen Kam- mern ruhig bleiben, wenn ſich dagegen die Ohren lebhaft verengern. Morlandus (s) hat ſich ſchon vorlaͤngſt uͤber die Urſache dieſer immerwaͤhrenden ordentlichen Ab- wechſelung ungemein verwundert. Die phiſiologiſchen Schriftſteller haben davon ver- ſchiedene ziemlich ſcharfſinnige Hipotheſen vorgebracht. Lorenz Bellinus (t) nimmt zwiſchen denen Herzkammern und Herzohren einen gewiſſen Gegenkampf (antagonis- mus) an: es erweitern ſich, ſagt er, wenn die Kammern zuſammengezogen werden, die Herzohren deswegen, weil das Blut, welches die Herzhoͤlen anfuͤllet, die Nerven der Ohren druͤkket und den Einfluß des Nervenſaftes in die- ſe Ohren hindert. So bald nun hinwiederum die Kam- mern erweitert wuͤrden, ſo ſchuͤtteten die Nerven ihre be- wegende geiſtige Fluͤßigkeit in die wieder in Freiheit ge- ſezte Ohren aus, und veranlaſſeten dieſelben zur Zuſam- menziehung, nach der Hipotheſe dieſes beruͤhmten Man- nes, die George Cheyne (u) wieder von neuen aufge- waͤrmet hat. Faſt zu eben der Zeit leitete Raymund Vieuſſens (x) die Kraft des Herzens von der vereinigten Wirkung der thie- (s) Of the force of the heart, S. 38. (t) De cordis motu Propoſ. II. (u) Phil. princip. of religion, S. 135. (x) Vergl. die Nevrograph. L. I. c. 4. S. 19. 20. und Traité du coeur, S. 129. und folg.

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Zitationshilfe: Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 1. Berlin, 1759, S. 954. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende01_1759/1010>, abgerufen am 23.11.2024.