man mus auch lebendige öfnen. Ein tod- ter Körper hat keine Bewegung, mithin mus man alle Bewegungen bei einem leben- digen Thiere untersuchen. Es gehet aber die ganze Phisiologie mit der innern und äussern Bewegung des belebten Körpers um. Folglich kann man, um den Umlauf des Blu- tes, um die subtilern Bewegungen desselben einzusehen, um das Athemholen, den Wachs- thum des Körpers und der Knochen, die wurm- förmige Bewegung der Gedärme, und den Weg des Speisesafts zu erforschen, ohne ei- ne Menge lebendiger Thiere um das Leben zu bringen, niemals etwas fruchtbarliches ausrichten. Es hat sehr oft ein einziger Versuch manche mühsame Erdichtungen, darauf man ganze Jahre verwendet gehabt, auf einmal widerlegt.
Diese Grausamkeit hat aber auch einer wahren und gegründeten Phisiologie mehr wirklichen Nuzzen verschaffet, als fast von allen übrigen Künsten zu erwarten ist, un- ter deren Beistande unsre Wissenschaft zuge- nommen hat. Hiernächst hat aber auch die Eröfnung solcher Körper, die an Krankhei- ten verstorben, ihren guten Nuzzen.
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Vorrede des Verfaſſers.
man mus auch lebendige oͤfnen. Ein tod- ter Koͤrper hat keine Bewegung, mithin mus man alle Bewegungen bei einem leben- digen Thiere unterſuchen. Es gehet aber die ganze Phiſiologie mit der innern und aͤuſſern Bewegung des belebten Koͤrpers um. Folglich kann man, um den Umlauf des Blu- tes, um die ſubtilern Bewegungen deſſelben einzuſehen, um das Athemholen, den Wachs- thum des Koͤrpers und der Knochen, die wurm- foͤrmige Bewegung der Gedaͤrme, und den Weg des Speiſeſafts zu erforſchen, ohne ei- ne Menge lebendiger Thiere um das Leben zu bringen, niemals etwas fruchtbarliches ausrichten. Es hat ſehr oft ein einziger Verſuch manche muͤhſame Erdichtungen, darauf man ganze Jahre verwendet gehabt, auf einmal widerlegt.
Dieſe Grauſamkeit hat aber auch einer wahren und gegruͤndeten Phiſiologie mehr wirklichen Nuzzen verſchaffet, als faſt von allen uͤbrigen Kuͤnſten zu erwarten iſt, un- ter deren Beiſtande unſre Wiſſenſchaft zuge- nommen hat. Hiernaͤchſt hat aber auch die Eroͤfnung ſolcher Koͤrper, die an Krankhei- ten verſtorben, ihren guten Nuzzen.
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[0021]
Vorrede des Verfaſſers.
man mus auch lebendige oͤfnen. Ein tod-
ter Koͤrper hat keine Bewegung, mithin
mus man alle Bewegungen bei einem leben-
digen Thiere unterſuchen. Es gehet aber
die ganze Phiſiologie mit der innern und
aͤuſſern Bewegung des belebten Koͤrpers um.
Folglich kann man, um den Umlauf des Blu-
tes, um die ſubtilern Bewegungen deſſelben
einzuſehen, um das Athemholen, den Wachs-
thum des Koͤrpers und der Knochen, die wurm-
foͤrmige Bewegung der Gedaͤrme, und den
Weg des Speiſeſafts zu erforſchen, ohne ei-
ne Menge lebendiger Thiere um das Leben
zu bringen, niemals etwas fruchtbarliches
ausrichten. Es hat ſehr oft ein einziger
Verſuch manche muͤhſame Erdichtungen,
darauf man ganze Jahre verwendet gehabt,
auf einmal widerlegt.
Dieſe Grauſamkeit hat aber auch einer
wahren und gegruͤndeten Phiſiologie mehr
wirklichen Nuzzen verſchaffet, als faſt von
allen uͤbrigen Kuͤnſten zu erwarten iſt, un-
ter deren Beiſtande unſre Wiſſenſchaft zuge-
nommen hat. Hiernaͤchſt hat aber auch die
Eroͤfnung ſolcher Koͤrper, die an Krankhei-
ten verſtorben, ihren guten Nuzzen.
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Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 1. Berlin, 1759, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende01_1759/21>, abgerufen am 21.11.2024.
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