einigen Abgang erhalten werde. Die Na- tur allein ist neu, allein getreu und aufrich- tig; sie kann niemals genung, und auch nie- mals vergeblich verehret werden. Hingegen würden diese Männer einen übermäßigen Eifer beweisen, wofern sie aus diesen ange- führten Gründen nicht zugeben wollen, daß man in der That aus Büchern einen wah- ren Nuzzen erhalten könne, und vielleicht ist dieses die Ursache mit, daß sie in geraumer Zeit, so wenig in der Anatomie, als in der Phisiologie, weiter gekommen sind. Jch ha- be davon ein Beispiel vor mir, einen Mann der Versuche macht, und bisweilen wieder- holt, der auch zugleich in Ansehung seines Verstandes sich unter demjenigen Volke her- vorthut, das sich selbst durch den Wiz vor andern erhebt. Allein er lieset nicht, er weiß die Gründe nicht, die man vorlängst für und wider eine Sache vorgebracht hat; er erkennet nicht, mit was für grossen, und schon längstens angeführten Schwierigkeiten diejenige Hipothese umgeben sey, die er so kühnlich vorträgt. Das Bücherlesen leistet eben das, was wir durch die Reisen erhalten. Jndem wir die mancherlei Sitten, und die verschiedne Gottesdienste von allerhand Völ- kern, und andre Urtheile über menschliche
Ange-
Vorrede des Verfaſſers.
einigen Abgang erhalten werde. Die Na- tur allein iſt neu, allein getreu und aufrich- tig; ſie kann niemals genung, und auch nie- mals vergeblich verehret werden. Hingegen wuͤrden dieſe Maͤnner einen uͤbermaͤßigen Eifer beweiſen, wofern ſie aus dieſen ange- fuͤhrten Gruͤnden nicht zugeben wollen, daß man in der That aus Buͤchern einen wah- ren Nuzzen erhalten koͤnne, und vielleicht iſt dieſes die Urſache mit, daß ſie in geraumer Zeit, ſo wenig in der Anatomie, als in der Phiſiologie, weiter gekommen ſind. Jch ha- be davon ein Beiſpiel vor mir, einen Mann der Verſuche macht, und bisweilen wieder- holt, der auch zugleich in Anſehung ſeines Verſtandes ſich unter demjenigen Volke her- vorthut, das ſich ſelbſt durch den Wiz vor andern erhebt. Allein er lieſet nicht, er weiß die Gruͤnde nicht, die man vorlaͤngſt fuͤr und wider eine Sache vorgebracht hat; er erkennet nicht, mit was fuͤr groſſen, und ſchon laͤngſtens angefuͤhrten Schwierigkeiten diejenige Hipotheſe umgeben ſey, die er ſo kuͤhnlich vortraͤgt. Das Buͤcherleſen leiſtet eben das, was wir durch die Reiſen erhalten. Jndem wir die mancherlei Sitten, und die verſchiedne Gottesdienſte von allerhand Voͤl- kern, und andre Urtheile uͤber menſchliche
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[0034]
Vorrede des Verfaſſers.
einigen Abgang erhalten werde. Die Na-
tur allein iſt neu, allein getreu und aufrich-
tig; ſie kann niemals genung, und auch nie-
mals vergeblich verehret werden. Hingegen
wuͤrden dieſe Maͤnner einen uͤbermaͤßigen
Eifer beweiſen, wofern ſie aus dieſen ange-
fuͤhrten Gruͤnden nicht zugeben wollen, daß
man in der That aus Buͤchern einen wah-
ren Nuzzen erhalten koͤnne, und vielleicht iſt
dieſes die Urſache mit, daß ſie in geraumer
Zeit, ſo wenig in der Anatomie, als in der
Phiſiologie, weiter gekommen ſind. Jch ha-
be davon ein Beiſpiel vor mir, einen Mann
der Verſuche macht, und bisweilen wieder-
holt, der auch zugleich in Anſehung ſeines
Verſtandes ſich unter demjenigen Volke her-
vorthut, das ſich ſelbſt durch den Wiz vor
andern erhebt. Allein er lieſet nicht, er
weiß die Gruͤnde nicht, die man vorlaͤngſt
fuͤr und wider eine Sache vorgebracht hat;
er erkennet nicht, mit was fuͤr groſſen, und
ſchon laͤngſtens angefuͤhrten Schwierigkeiten
diejenige Hipotheſe umgeben ſey, die er ſo
kuͤhnlich vortraͤgt. Das Buͤcherleſen leiſtet
eben das, was wir durch die Reiſen erhalten.
Jndem wir die mancherlei Sitten, und die
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Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 1. Berlin, 1759, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende01_1759/34>, abgerufen am 21.11.2024.
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