Wäre es, daß der nachlassende Nerve aufhörte eine Schlagader zusammen zu schnüren, so felte eine von den beiden Ursachen, die das Blut in Bewegung sezzen, und so würde also nur der Strom gehemmt werden. Wenn endlich eine mitten im Nerven unterbrochne Schlagader, durch eine beständige Zusammenschnürung dieses Nerven zusammengedrükkt würde, so erhellte von selbst, daß, wie von einem umgelegten Bande, das Blut von dieser Schlagader zurükkegewiesen, sich zurükke stemmen müste, und daß ferner kein Vorrat von Blute zu demjenigen Gliede kommen könnte, dessen Schlagader dergestalt un- terbunden worden. Wenn der Nervenhenkel, wie ich glaubte, daß es im Zorne geschehe, mit abgewechselter Verengerung und Erweiterung, seine Schlagader mit stärkrer Gewalt oder kramfhaft zusammendrükkt, so wird der Blutkreis lebhafter gereizt und befördert, und es entstehet eine neue Gewalt, die diesen Lebenssaft in einem reissendem Strome herumführt. Folglich ist es einem, der die Sache nur so obenhin betrachtet, ein leichtes, so- wohl die Wirkungen der trägen Gemütsbewegungen, als auch der hizzigen, die das Blut träger, schneller, oder gehemmt herumführen, nach seiner Art zu erklären.
§. 36. Warum diese Begriffe keinen Grund haben.
Jndessen entrissen mir meine Versuche einen grossen Theil von dieser Hoffnung, und von meinen frühzeitigen Freuden, indem mich die Versuche lehrten, daß die Ner- ven in der That ohne alle reizbare Kräfte sind (n), daß solche also weder kürzer gemacht werden, um eine zwischen ihren Henkeln eingeschloßne Schlagader queer durch zu verengern, noch wechselweise nachgelassen werden können. Denn es bleibt in eben dem Augenblikke, da ein aufs heftigste gereizter Nerve ein ganzes Glied in den Kramf
ver-
(n)second memoi. sur les parti. irrit. et senfibl. Sect. IX. Exp. 209.
X 4
in den Schlagadern.
Waͤre es, daß der nachlaſſende Nerve aufhoͤrte eine Schlagader zuſammen zu ſchnuͤren, ſo felte eine von den beiden Urſachen, die das Blut in Bewegung ſezzen, und ſo wuͤrde alſo nur der Strom gehemmt werden. Wenn endlich eine mitten im Nerven unterbrochne Schlagader, durch eine beſtaͤndige Zuſammenſchnuͤrung dieſes Nerven zuſammengedruͤkkt wuͤrde, ſo erhellte von ſelbſt, daß, wie von einem umgelegten Bande, das Blut von dieſer Schlagader zuruͤkkegewieſen, ſich zuruͤkke ſtemmen muͤſte, und daß ferner kein Vorrat von Blute zu demjenigen Gliede kommen koͤnnte, deſſen Schlagader dergeſtalt un- terbunden worden. Wenn der Nervenhenkel, wie ich glaubte, daß es im Zorne geſchehe, mit abgewechſelter Verengerung und Erweiterung, ſeine Schlagader mit ſtaͤrkrer Gewalt oder kramfhaft zuſammendruͤkkt, ſo wird der Blutkreis lebhafter gereizt und befoͤrdert, und es entſtehet eine neue Gewalt, die dieſen Lebensſaft in einem reiſſendem Strome herumfuͤhrt. Folglich iſt es einem, der die Sache nur ſo obenhin betrachtet, ein leichtes, ſo- wohl die Wirkungen der traͤgen Gemuͤtsbewegungen, als auch der hizzigen, die das Blut traͤger, ſchneller, oder gehemmt herumfuͤhren, nach ſeiner Art zu erklaͤren.
§. 36. Warum dieſe Begriffe keinen Grund haben.
Jndeſſen entriſſen mir meine Verſuche einen groſſen Theil von dieſer Hoffnung, und von meinen fruͤhzeitigen Freuden, indem mich die Verſuche lehrten, daß die Ner- ven in der That ohne alle reizbare Kraͤfte ſind (n), daß ſolche alſo weder kuͤrzer gemacht werden, um eine zwiſchen ihren Henkeln eingeſchloßne Schlagader queer durch zu verengern, noch wechſelweiſe nachgelaſſen werden koͤnnen. Denn es bleibt in eben dem Augenblikke, da ein aufs heftigſte gereizter Nerve ein ganzes Glied in den Kramf
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(n)ſecond memoi. ſur les parti. irrit. et ſenfibl. Sect. IX. Exp. 209.
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in den Schlagadern.
Waͤre es, daß der nachlaſſende Nerve aufhoͤrte eine
Schlagader zuſammen zu ſchnuͤren, ſo felte eine von den
beiden Urſachen, die das Blut in Bewegung ſezzen, und
ſo wuͤrde alſo nur der Strom gehemmt werden. Wenn
endlich eine mitten im Nerven unterbrochne Schlagader,
durch eine beſtaͤndige Zuſammenſchnuͤrung dieſes Nerven
zuſammengedruͤkkt wuͤrde, ſo erhellte von ſelbſt, daß, wie
von einem umgelegten Bande, das Blut von dieſer
Schlagader zuruͤkkegewieſen, ſich zuruͤkke ſtemmen muͤſte,
und daß ferner kein Vorrat von Blute zu demjenigen
Gliede kommen koͤnnte, deſſen Schlagader dergeſtalt un-
terbunden worden. Wenn der Nervenhenkel, wie ich
glaubte, daß es im Zorne geſchehe, mit abgewechſelter
Verengerung und Erweiterung, ſeine Schlagader mit
ſtaͤrkrer Gewalt oder kramfhaft zuſammendruͤkkt, ſo
wird der Blutkreis lebhafter gereizt und befoͤrdert, und es
entſtehet eine neue Gewalt, die dieſen Lebensſaft in einem
reiſſendem Strome herumfuͤhrt. Folglich iſt es einem,
der die Sache nur ſo obenhin betrachtet, ein leichtes, ſo-
wohl die Wirkungen der traͤgen Gemuͤtsbewegungen,
als auch der hizzigen, die das Blut traͤger, ſchneller, oder
gehemmt herumfuͤhren, nach ſeiner Art zu erklaͤren.
§. 36.
Warum dieſe Begriffe keinen Grund haben.
Jndeſſen entriſſen mir meine Verſuche einen groſſen
Theil von dieſer Hoffnung, und von meinen fruͤhzeitigen
Freuden, indem mich die Verſuche lehrten, daß die Ner-
ven in der That ohne alle reizbare Kraͤfte ſind (n), daß
ſolche alſo weder kuͤrzer gemacht werden, um eine zwiſchen
ihren Henkeln eingeſchloßne Schlagader queer durch zu
verengern, noch wechſelweiſe nachgelaſſen werden koͤnnen.
Denn es bleibt in eben dem Augenblikke, da ein aufs
heftigſte gereizter Nerve ein ganzes Glied in den Kramf
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Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 2. Berlin, 1762, S. 327. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende02_1762/347>, abgerufen am 24.11.2024.
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