Bewegungen hervorbringen, so belieben selbige nur zu erwägen, wie unbegreiflich es sei, das Erheben so schwe- rer Gewichter, von dem Anzuge oder dem Schwingen eines so kleinen und so zarten Breies, herzuleiten. Jch verlange nach Billigkeit von diesen Männern, eine Ur- sache, die der Wirkung angemessen und gleich sei; da hingegen sie mir, um tausend Pfunde aufzuhehen, um Knochen zu zerbrechen und zu zerbeissen, einen Brei an- weisen, welcher so zart ist, daß er von einem Haberkorne auseinander gedrückt wird [Spaltenumbruch]o.
Und dennoch würde dieses Nervenmark in Verglei- chung mit dem Gehirne einer Leibesfrucht, da es ganz und gar flüßig ist p, ob sich gleich das Herz mit grossem Nachdrucke bewegt, hart genennt werden können q.
2. Doch es ist dasienige Mark, welches die Schei- de der dünnen Gehirnhaut ausfüllt, nicht nur äusserst weich, sondern es hat die Natur auch dasselbe noch, so viel ihr irgend möglich gewesen, dieses Mark sowohl zum Schwingen, als zum Ziehen untüchtig gemacht. Es ist nämlich die ge ammte Länge, nicht nur einer ieden Ner- venschnur, sondern auch der ganze Nerve selbst, von sei- nem Anfange an, bis zum Ende hin, an unzählbaren Zellfädens befestigt [Spaltenumbruch]r, und er kann daher weder länger noch kürzer werden, wenn man nicht alle diese Fäden zu- gleich krümmt, indem sie offenbar viel härter und fester, als der Markbrei, sind. Es zittert aber auch die aller- härteste musikalische Saite in einem solchen Zustande nicht, wenn man sie mit unzähligen Fäden oder gespann- ten Schnüren anbindet, und es hebt auch ein sehr zähes Strick keine Gewichte auf, weil es zu gleicher Zeit alle
die
oVolkamer Eph. Nat. Cur. ann. 1671. obs. 225. Salzmann disser. faet. n. 4.
pp. 22.
qHarvei de gener. anim. p. 191.
rVieussens l. c. Daß Nerven dadurch feste an dieienigen Löcher der Hirnschaale befestigt sind, anat. p. 226. durch welche sie durchlau- fen.
Das Gehirn und die Nerven. X. Buch.
Bewegungen hervorbringen, ſo belieben ſelbige nur zu erwaͤgen, wie unbegreiflich es ſei, das Erheben ſo ſchwe- rer Gewichter, von dem Anzuge oder dem Schwingen eines ſo kleinen und ſo zarten Breies, herzuleiten. Jch verlange nach Billigkeit von dieſen Maͤnnern, eine Ur- ſache, die der Wirkung angemeſſen und gleich ſei; da hingegen ſie mir, um tauſend Pfunde aufzuhehen, um Knochen zu zerbrechen und zu zerbeiſſen, einen Brei an- weiſen, welcher ſo zart iſt, daß er von einem Haberkorne auseinander gedruͤckt wird [Spaltenumbruch]o.
Und dennoch wuͤrde dieſes Nervenmark in Verglei- chung mit dem Gehirne einer Leibesfrucht, da es ganz und gar fluͤßig iſt p, ob ſich gleich das Herz mit groſſem Nachdrucke bewegt, hart genennt werden koͤnnen q.
2. Doch es iſt dasienige Mark, welches die Schei- de der duͤnnen Gehirnhaut ausfuͤllt, nicht nur aͤuſſerſt weich, ſondern es hat die Natur auch daſſelbe noch, ſo viel ihr irgend moͤglich geweſen, dieſes Mark ſowohl zum Schwingen, als zum Ziehen untuͤchtig gemacht. Es iſt naͤmlich die ge ammte Laͤnge, nicht nur einer ieden Ner- venſchnur, ſondern auch der ganze Nerve ſelbſt, von ſei- nem Anfange an, bis zum Ende hin, an unzaͤhlbaren Zellfaͤdens befeſtigt [Spaltenumbruch]r, und er kann daher weder laͤnger noch kuͤrzer werden, wenn man nicht alle dieſe Faͤden zu- gleich kruͤmmt, indem ſie offenbar viel haͤrter und feſter, als der Markbrei, ſind. Es zittert aber auch die aller- haͤrteſte muſikaliſche Saite in einem ſolchen Zuſtande nicht, wenn man ſie mit unzaͤhligen Faͤden oder geſpann- ten Schnuͤren anbindet, und es hebt auch ein ſehr zaͤhes Strick keine Gewichte auf, weil es zu gleicher Zeit alle
die
oVolkamer Eph. Nat. Cur. ann. 1671. obſ. 225. Salzmann diſſer. faet. n. 4.
pp. 22.
qHarvei de gener. anim. p. 191.
rVieuſſens l. c. Daß Nerven dadurch feſte an dieienigen Loͤcher der Hirnſchaale befeſtigt ſind, anat. p. 226. durch welche ſie durchlau- fen.
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[568/0604]
Das Gehirn und die Nerven. X. Buch.
Bewegungen hervorbringen, ſo belieben ſelbige nur zu
erwaͤgen, wie unbegreiflich es ſei, das Erheben ſo ſchwe-
rer Gewichter, von dem Anzuge oder dem Schwingen
eines ſo kleinen und ſo zarten Breies, herzuleiten. Jch
verlange nach Billigkeit von dieſen Maͤnnern, eine Ur-
ſache, die der Wirkung angemeſſen und gleich ſei; da
hingegen ſie mir, um tauſend Pfunde aufzuhehen, um
Knochen zu zerbrechen und zu zerbeiſſen, einen Brei an-
weiſen, welcher ſo zart iſt, daß er von einem Haberkorne
auseinander gedruͤckt wird
o.
Und dennoch wuͤrde dieſes Nervenmark in Verglei-
chung mit dem Gehirne einer Leibesfrucht, da es ganz
und gar fluͤßig iſt p, ob ſich gleich das Herz mit groſſem
Nachdrucke bewegt, hart genennt werden koͤnnen q.
2. Doch es iſt dasienige Mark, welches die Schei-
de der duͤnnen Gehirnhaut ausfuͤllt, nicht nur aͤuſſerſt
weich, ſondern es hat die Natur auch daſſelbe noch, ſo
viel ihr irgend moͤglich geweſen, dieſes Mark ſowohl zum
Schwingen, als zum Ziehen untuͤchtig gemacht. Es iſt
naͤmlich die ge ammte Laͤnge, nicht nur einer ieden Ner-
venſchnur, ſondern auch der ganze Nerve ſelbſt, von ſei-
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noch kuͤrzer werden, wenn man nicht alle dieſe Faͤden zu-
gleich kruͤmmt, indem ſie offenbar viel haͤrter und feſter,
als der Markbrei, ſind. Es zittert aber auch die aller-
haͤrteſte muſikaliſche Saite in einem ſolchen Zuſtande
nicht, wenn man ſie mit unzaͤhligen Faͤden oder geſpann-
ten Schnuͤren anbindet, und es hebt auch ein ſehr zaͤhes
Strick keine Gewichte auf, weil es zu gleicher Zeit alle
die
o Volkamer Eph. Nat. Cur. ann.
1671. obſ. 225. Salzmann diſſer.
faet. n. 4.
p p. 22.
q Harvei de gener. anim. p. 191.
r Vieuſſens l. c. Daß Nerven
dadurch feſte an dieienigen Loͤcher
der Hirnſchaale befeſtigt ſind, anat.
p. 226. durch welche ſie durchlau-
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Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 4. Berlin, 1768, S. 568. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende04_1768/604>, abgerufen am 21.11.2024.
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