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Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772.

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Thierische Bewegung. XI. Buch.
ren. Kartesius schreibt die Ursache Gott zu (t), wel-
cher, bei Gelegenheit der in der Seele entstandnen Ge-
danken, Bewegungen entstehen lässet, welche mit diesen
Gedanken verwant sind.

Da es auf solche Weise das Ansehn hatte, daß Gott,
bei gottlosen Gedanken, im Körper unanständige Bewe-
gungen hervorbringe, so behauptete Gottfried Willhelm
Leibniz, daß das göttliche Gesezz, nicht zur Erzeugung
der einzelnen Bewegung des menschlichen Körpers, son-
dern zur Erzeugung der sämtlichen Bewegungen gegeben
sei, vermöge dessen die Seele, und der mit der Seele ver-
einigte Körper, kraft der vorherbestimmten Harmo-
nie,
von dem ersten Entstehn eines Menschen an, derge-
stalt mit einander vereinigt wären, daß im Körper, bei
einem gewissen Gedanken, oder auf Verlangen der Seele,
eine Bewegung zum Vorschein komme, welche geschikkt
sei, dieses Verlangen zu stillen. Und auf diese Meinung
lenkte sich auch unser ehemaliger Lehrer.

Wenn ich also, um ein Exempel zu haben, den Arm
aufheben will, so rührt die Bewegung, welche den Delta-
muskel zusammenzieht, und den Arm auf hebt, nicht von
der Seele her, sondern es erzeugt sich diese Bewegung
nach dem längst bestimmten Gesezze im Körper, und zwar
ohne allen phisischen Einflus der Seele.

Jch gestehe es, daß mir diese Meinung, nachdem ich
die Erscheinungen bei derselben in Erwegung gezogen,
besser gefällt. Denn ob gleich einige Verteidiger der
Stahlischen Theorie (u) die Sache leugnen, so ist doch
gewis, daß sich die Seele eine einzige Sache deutlich vor-
stelle, und eine einzige Sache gedenke. Wärend des
Gedenkens spricht sie einen Buchstaben nach dem andern

aus
(t) [Spaltenumbruch] QUESNAI Oecon. anim.
T. II. pag.
195.
(u) WHYTT vital. mot. pag.
319. Tum. cl. BEAUMONT
[Spaltenumbruch] psycholog. pag.
123. Doch es soll
von dieser Frage gehandelt werden,
L. XVII.

Thieriſche Bewegung. XI. Buch.
ren. Karteſius ſchreibt die Urſache Gott zu (t), wel-
cher, bei Gelegenheit der in der Seele entſtandnen Ge-
danken, Bewegungen entſtehen laͤſſet, welche mit dieſen
Gedanken verwant ſind.

Da es auf ſolche Weiſe das Anſehn hatte, daß Gott,
bei gottloſen Gedanken, im Koͤrper unanſtaͤndige Bewe-
gungen hervorbringe, ſo behauptete Gottfried Willhelm
Leibniz, daß das goͤttliche Geſezz, nicht zur Erzeugung
der einzelnen Bewegung des menſchlichen Koͤrpers, ſon-
dern zur Erzeugung der ſaͤmtlichen Bewegungen gegeben
ſei, vermoͤge deſſen die Seele, und der mit der Seele ver-
einigte Koͤrper, kraft der vorherbeſtimmten Harmo-
nie,
von dem erſten Entſtehn eines Menſchen an, derge-
ſtalt mit einander vereinigt waͤren, daß im Koͤrper, bei
einem gewiſſen Gedanken, oder auf Verlangen der Seele,
eine Bewegung zum Vorſchein komme, welche geſchikkt
ſei, dieſes Verlangen zu ſtillen. Und auf dieſe Meinung
lenkte ſich auch unſer ehemaliger Lehrer.

Wenn ich alſo, um ein Exempel zu haben, den Arm
aufheben will, ſo ruͤhrt die Bewegung, welche den Delta-
muſkel zuſammenzieht, und den Arm auf hebt, nicht von
der Seele her, ſondern es erzeugt ſich dieſe Bewegung
nach dem laͤngſt beſtimmten Geſezze im Koͤrper, und zwar
ohne allen phiſiſchen Einflus der Seele.

Jch geſtehe es, daß mir dieſe Meinung, nachdem ich
die Erſcheinungen bei derſelben in Erwegung gezogen,
beſſer gefaͤllt. Denn ob gleich einige Verteidiger der
Stahliſchen Theorie (u) die Sache leugnen, ſo iſt doch
gewis, daß ſich die Seele eine einzige Sache deutlich vor-
ſtelle, und eine einzige Sache gedenke. Waͤrend des
Gedenkens ſpricht ſie einen Buchſtaben nach dem andern

aus
(t) [Spaltenumbruch] QUESNAI Oecon. anim.
T. II. pag.
195.
(u) WHYTT vital. mot. pag.
319. Tum. cl. BEAUMONT
[Spaltenumbruch] pſycholog. pag.
123. Doch es ſoll
von dieſer Frage gehandelt werden,
L. XVII.
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[190/0208] Thieriſche Bewegung. XI. Buch. ren. Karteſius ſchreibt die Urſache Gott zu (t), wel- cher, bei Gelegenheit der in der Seele entſtandnen Ge- danken, Bewegungen entſtehen laͤſſet, welche mit dieſen Gedanken verwant ſind. Da es auf ſolche Weiſe das Anſehn hatte, daß Gott, bei gottloſen Gedanken, im Koͤrper unanſtaͤndige Bewe- gungen hervorbringe, ſo behauptete Gottfried Willhelm Leibniz, daß das goͤttliche Geſezz, nicht zur Erzeugung der einzelnen Bewegung des menſchlichen Koͤrpers, ſon- dern zur Erzeugung der ſaͤmtlichen Bewegungen gegeben ſei, vermoͤge deſſen die Seele, und der mit der Seele ver- einigte Koͤrper, kraft der vorherbeſtimmten Harmo- nie, von dem erſten Entſtehn eines Menſchen an, derge- ſtalt mit einander vereinigt waͤren, daß im Koͤrper, bei einem gewiſſen Gedanken, oder auf Verlangen der Seele, eine Bewegung zum Vorſchein komme, welche geſchikkt ſei, dieſes Verlangen zu ſtillen. Und auf dieſe Meinung lenkte ſich auch unſer ehemaliger Lehrer. Wenn ich alſo, um ein Exempel zu haben, den Arm aufheben will, ſo ruͤhrt die Bewegung, welche den Delta- muſkel zuſammenzieht, und den Arm auf hebt, nicht von der Seele her, ſondern es erzeugt ſich dieſe Bewegung nach dem laͤngſt beſtimmten Geſezze im Koͤrper, und zwar ohne allen phiſiſchen Einflus der Seele. Jch geſtehe es, daß mir dieſe Meinung, nachdem ich die Erſcheinungen bei derſelben in Erwegung gezogen, beſſer gefaͤllt. Denn ob gleich einige Verteidiger der Stahliſchen Theorie (u) die Sache leugnen, ſo iſt doch gewis, daß ſich die Seele eine einzige Sache deutlich vor- ſtelle, und eine einzige Sache gedenke. Waͤrend des Gedenkens ſpricht ſie einen Buchſtaben nach dem andern aus (t) QUESNAI Oecon. anim. T. II. pag. 195. (u) WHYTT vital. mot. pag. 319. Tum. cl. BEAUMONT pſycholog. pag. 123. Doch es ſoll von dieſer Frage gehandelt werden, L. XVII.

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Zitationshilfe: Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/208>, abgerufen am 21.11.2024.