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Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772.

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III. Abschnitt. Ursachen.

Kehren die Geister wieder ins Gehirn (o*), oder
in das allgemeine Nervenbehältnis zurükke, welches man
vor ein Sistem elektrischer Saiten halten könnte, das
von einer geistigen Flüssigkeit, wie die Saiten von der
elektrischen Materie, angefüllt wären.

Es scheinet diese Erklärung mit einer gewissen Müdig-
keit nicht überein zu stimmen, welche man bei der Bewe-
gung der Muskeln gewar wird, und welche die Kräfte
dergestalt erschöpft, daß man eine Menge Geschichte von
Helden lieset, welche blos von der Ermüdung so entkräf-
tet worden, daß sie nach langem Widerstande, lieber den
tödtlichen Streich erwält, als daß sie die zu sehr entkräf-
tete Aerme länger gebrauchen wollen.

Es scheinet diese Ermüdung von der Verschwendung
des zur Muskelbewegung notwendigen Nervensaftes her-
zurühren, indem sie durch Speise und Trank, besonders
durch geistige Getränke viel geschwinder, als durch blosse
Ruhe wieder verbessert wird. Folglich scheint es mir nicht
rathsam zu sein, die Geister von den kleinsten einsaugenden
Blutädergen der Muskelfaser wieder aufnehmen zu lassen,
von denen der vortrefliche Kaauw (p) schreibt, daß sie
wärend des Aufschwellens des Muskels zusammengedrükkt,
und bald darauf wieder nachgelassen werden, die Geister
wieder einsaugen, und solche den Blutadern wieder über-
liefern. Denn auf solche Art würde der Bewegungssaft
eben so wenig verloren gehen.

Daß sich die Lebensgeister in den Sehnen, als in
Vorrathshäusern (q), versammeln sollen, ist nur eine
blosse Vermutung.

Verzehrt sich überhaupt der Nervengeist, wärend der
Handlung auf solche Art (r), wie man von den widrigen

Sal-
(o*) [Spaltenumbruch] FLEMMING loc. cit.
(p) n. 310. 313. add. BOUL-
TON
pag.
63.
(q) [Spaltenumbruch] WILLIS pag. 118. 131.
(r) BORELL. L. II. prop. 28.
N 3
III. Abſchnitt. Urſachen.

Kehren die Geiſter wieder ins Gehirn (o*), oder
in das allgemeine Nervenbehaͤltnis zuruͤkke, welches man
vor ein Siſtem elektriſcher Saiten halten koͤnnte, das
von einer geiſtigen Fluͤſſigkeit, wie die Saiten von der
elektriſchen Materie, angefuͤllt waͤren.

Es ſcheinet dieſe Erklaͤrung mit einer gewiſſen Muͤdig-
keit nicht uͤberein zu ſtimmen, welche man bei der Bewe-
gung der Muſkeln gewar wird, und welche die Kraͤfte
dergeſtalt erſchoͤpft, daß man eine Menge Geſchichte von
Helden lieſet, welche blos von der Ermuͤdung ſo entkraͤf-
tet worden, daß ſie nach langem Widerſtande, lieber den
toͤdtlichen Streich erwaͤlt, als daß ſie die zu ſehr entkraͤf-
tete Aerme laͤnger gebrauchen wollen.

Es ſcheinet dieſe Ermuͤdung von der Verſchwendung
des zur Muſkelbewegung notwendigen Nervenſaftes her-
zuruͤhren, indem ſie durch Speiſe und Trank, beſonders
durch geiſtige Getraͤnke viel geſchwinder, als durch bloſſe
Ruhe wieder verbeſſert wird. Folglich ſcheint es mir nicht
rathſam zu ſein, die Geiſter von den kleinſten einſaugenden
Blutaͤdergen der Muſkelfaſer wieder aufnehmen zu laſſen,
von denen der vortrefliche Kaauw (p) ſchreibt, daß ſie
waͤrend des Aufſchwellens des Muſkels zuſammengedruͤkkt,
und bald darauf wieder nachgelaſſen werden, die Geiſter
wieder einſaugen, und ſolche den Blutadern wieder uͤber-
liefern. Denn auf ſolche Art wuͤrde der Bewegungsſaft
eben ſo wenig verloren gehen.

Daß ſich die Lebensgeiſter in den Sehnen, als in
Vorrathshaͤuſern (q), verſammeln ſollen, iſt nur eine
bloſſe Vermutung.

Verzehrt ſich uͤberhaupt der Nervengeiſt, waͤrend der
Handlung auf ſolche Art (r), wie man von den widrigen

Sal-
(o*) [Spaltenumbruch] FLEMMING loc. cit.
(p) n. 310. 313. add. BOUL-
TON
pag.
63.
(q) [Spaltenumbruch] WILLIS pag. 118. 131.
(r) BORELL. L. II. prop. 28.
N 3
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[197/0215] III. Abſchnitt. Urſachen. Kehren die Geiſter wieder ins Gehirn (o*), oder in das allgemeine Nervenbehaͤltnis zuruͤkke, welches man vor ein Siſtem elektriſcher Saiten halten koͤnnte, das von einer geiſtigen Fluͤſſigkeit, wie die Saiten von der elektriſchen Materie, angefuͤllt waͤren. Es ſcheinet dieſe Erklaͤrung mit einer gewiſſen Muͤdig- keit nicht uͤberein zu ſtimmen, welche man bei der Bewe- gung der Muſkeln gewar wird, und welche die Kraͤfte dergeſtalt erſchoͤpft, daß man eine Menge Geſchichte von Helden lieſet, welche blos von der Ermuͤdung ſo entkraͤf- tet worden, daß ſie nach langem Widerſtande, lieber den toͤdtlichen Streich erwaͤlt, als daß ſie die zu ſehr entkraͤf- tete Aerme laͤnger gebrauchen wollen. Es ſcheinet dieſe Ermuͤdung von der Verſchwendung des zur Muſkelbewegung notwendigen Nervenſaftes her- zuruͤhren, indem ſie durch Speiſe und Trank, beſonders durch geiſtige Getraͤnke viel geſchwinder, als durch bloſſe Ruhe wieder verbeſſert wird. Folglich ſcheint es mir nicht rathſam zu ſein, die Geiſter von den kleinſten einſaugenden Blutaͤdergen der Muſkelfaſer wieder aufnehmen zu laſſen, von denen der vortrefliche Kaauw (p) ſchreibt, daß ſie waͤrend des Aufſchwellens des Muſkels zuſammengedruͤkkt, und bald darauf wieder nachgelaſſen werden, die Geiſter wieder einſaugen, und ſolche den Blutadern wieder uͤber- liefern. Denn auf ſolche Art wuͤrde der Bewegungsſaft eben ſo wenig verloren gehen. Daß ſich die Lebensgeiſter in den Sehnen, als in Vorrathshaͤuſern (q), verſammeln ſollen, iſt nur eine bloſſe Vermutung. Verzehrt ſich uͤberhaupt der Nervengeiſt, waͤrend der Handlung auf ſolche Art (r), wie man von den widrigen Sal- (o*) FLEMMING loc. cit. (p) n. 310. 313. add. BOUL- TON pag. 63. (q) WILLIS pag. 118. 131. (r) BORELL. L. II. prop. 28. N 3

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Zitationshilfe: Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772, S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/215>, abgerufen am 24.11.2024.