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Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772.

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Das Fühlen XII. Buch.

Zum Theil ist dieses wahr, und zum Theil auch falsch.
Es sind Thiere mit Hufen, als das Pferd, viel mehr
gelehriger, und weniger dumm, als die Thiere mit zwo
Klauen, dergleichen das Schwein ist, und dummer findet
man einige mit gespaltnen Zeen, als das Kaninchen, und
der Affe selbst, der doch beinahe Menschenhände hat. Jch
sehe auch nicht ein, warum das Fühlen nicht eben sowohl
mit einem oder dem andern Finger allein subtil genung
von statten gehen sollte; da wir selbst, meist einen, höch-
stens aber nur zween Finger zum Fühlen gebrauchen.

Doch die Finger haben ein andres Vorrecht, weil sie
einzig und allein einen kugligen Körper, und folglich alle
Körper besser umfassen können, und feste halten, indem
der allerlängste den Pol, die kürzesten die Enden des
Aequators, und die Mittelfinger die mittlern Meridiane
umspannen.

Um aber genauer zu fühlen, so reiben wir die Finger
sanft an demjenigen Körper, dessen Eigenschaften wir
kennen lernen wollen, und folglich drükken wir viele Punkte
dieses Körpers an unsre Wärzchen, oder einerlei Punkt
an viele Wärzchen an, und wir pressen die Wärzchen durch
verschiedne Verschiebungen an diesen Körper an, nachdem
sich dieser Körper den Wärzchen nähert, oder nahe drunter
liegt, oder sich wieder davon entfernt.

Man hat sich die Gedanken gemacht, daß sich die
Wärzchen aufrichten (g), und gleichsam aus ihren Hölen
hervortreten, um die umliegende Körper desto aufmerksa-
mer zu betrachten. Man verfiel auf die Mutmassung, sie
könnten, wenn das Blut dahin gerichtet sei, davon ange-
füllet werden, um vorzuragen, wie man an der Warze
der Weiber, an der männlichen Ruthe, und an den

Wärz-
(g) [Spaltenumbruch] De organo tact. pag. 7. 8.
wenn mein Lehrer diese Stelle ver-
sieht. VATER consens. part.
[Spaltenumbruch] BOERHAAVE praelect. T. IV.
pag.
4.
Das Fuͤhlen XII. Buch.

Zum Theil iſt dieſes wahr, und zum Theil auch falſch.
Es ſind Thiere mit Hufen, als das Pferd, viel mehr
gelehriger, und weniger dumm, als die Thiere mit zwo
Klauen, dergleichen das Schwein iſt, und dummer findet
man einige mit geſpaltnen Zeen, als das Kaninchen, und
der Affe ſelbſt, der doch beinahe Menſchenhaͤnde hat. Jch
ſehe auch nicht ein, warum das Fuͤhlen nicht eben ſowohl
mit einem oder dem andern Finger allein ſubtil genung
von ſtatten gehen ſollte; da wir ſelbſt, meiſt einen, hoͤch-
ſtens aber nur zween Finger zum Fuͤhlen gebrauchen.

Doch die Finger haben ein andres Vorrecht, weil ſie
einzig und allein einen kugligen Koͤrper, und folglich alle
Koͤrper beſſer umfaſſen koͤnnen, und feſte halten, indem
der allerlaͤngſte den Pol, die kuͤrzeſten die Enden des
Aequators, und die Mittelfinger die mittlern Meridiane
umſpannen.

Um aber genauer zu fuͤhlen, ſo reiben wir die Finger
ſanft an demjenigen Koͤrper, deſſen Eigenſchaften wir
kennen lernen wollen, und folglich druͤkken wir viele Punkte
dieſes Koͤrpers an unſre Waͤrzchen, oder einerlei Punkt
an viele Waͤrzchen an, und wir preſſen die Waͤrzchen durch
verſchiedne Verſchiebungen an dieſen Koͤrper an, nachdem
ſich dieſer Koͤrper den Waͤrzchen naͤhert, oder nahe drunter
liegt, oder ſich wieder davon entfernt.

Man hat ſich die Gedanken gemacht, daß ſich die
Waͤrzchen aufrichten (g), und gleichſam aus ihren Hoͤlen
hervortreten, um die umliegende Koͤrper deſto aufmerkſa-
mer zu betrachten. Man verfiel auf die Mutmaſſung, ſie
koͤnnten, wenn das Blut dahin gerichtet ſei, davon ange-
fuͤllet werden, um vorzuragen, wie man an der Warze
der Weiber, an der maͤnnlichen Ruthe, und an den

Waͤrz-
(g) [Spaltenumbruch] De organo tact. pag. 7. 8.
wenn mein Lehrer dieſe Stelle ver-
ſieht. VATER conſenſ. part.
[Spaltenumbruch] BOERHAAVE praelect. T. IV.
pag.
4.
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[374/0392] Das Fuͤhlen XII. Buch. Zum Theil iſt dieſes wahr, und zum Theil auch falſch. Es ſind Thiere mit Hufen, als das Pferd, viel mehr gelehriger, und weniger dumm, als die Thiere mit zwo Klauen, dergleichen das Schwein iſt, und dummer findet man einige mit geſpaltnen Zeen, als das Kaninchen, und der Affe ſelbſt, der doch beinahe Menſchenhaͤnde hat. Jch ſehe auch nicht ein, warum das Fuͤhlen nicht eben ſowohl mit einem oder dem andern Finger allein ſubtil genung von ſtatten gehen ſollte; da wir ſelbſt, meiſt einen, hoͤch- ſtens aber nur zween Finger zum Fuͤhlen gebrauchen. Doch die Finger haben ein andres Vorrecht, weil ſie einzig und allein einen kugligen Koͤrper, und folglich alle Koͤrper beſſer umfaſſen koͤnnen, und feſte halten, indem der allerlaͤngſte den Pol, die kuͤrzeſten die Enden des Aequators, und die Mittelfinger die mittlern Meridiane umſpannen. Um aber genauer zu fuͤhlen, ſo reiben wir die Finger ſanft an demjenigen Koͤrper, deſſen Eigenſchaften wir kennen lernen wollen, und folglich druͤkken wir viele Punkte dieſes Koͤrpers an unſre Waͤrzchen, oder einerlei Punkt an viele Waͤrzchen an, und wir preſſen die Waͤrzchen durch verſchiedne Verſchiebungen an dieſen Koͤrper an, nachdem ſich dieſer Koͤrper den Waͤrzchen naͤhert, oder nahe drunter liegt, oder ſich wieder davon entfernt. Man hat ſich die Gedanken gemacht, daß ſich die Waͤrzchen aufrichten (g), und gleichſam aus ihren Hoͤlen hervortreten, um die umliegende Koͤrper deſto aufmerkſa- mer zu betrachten. Man verfiel auf die Mutmaſſung, ſie koͤnnten, wenn das Blut dahin gerichtet ſei, davon ange- fuͤllet werden, um vorzuragen, wie man an der Warze der Weiber, an der maͤnnlichen Ruthe, und an den Waͤrz- (g) De organo tact. pag. 7. 8. wenn mein Lehrer dieſe Stelle ver- ſieht. VATER conſenſ. part. BOERHAAVE praelect. T. IV. pag. 4.

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Zitationshilfe: Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772, S. 374. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/392>, abgerufen am 31.10.2024.