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Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 8. Berlin, 1776.

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II. Abs. Anfänge des Thieres.
der Ast zu einer Weide und das Polipenstükk zu einem
ganzen Thiere: so trennt sich am Hauslauche (sedum)
die Blätterrose von selbst von der Wurzel der Mutter-
pflanze, um eine neue Rose zu werden, welche Blumen
und Saamen trägt, künftig an ihrem Umkreise neue
Rosen bringt, und es dekkt die, mit ihren hundert
Töchtern umgebene Mutter, wie ein breiter Rasen die
Felsen. Eben so ergänzt auch ein zerschnittener Poli-
pe (a) den weggeschnittnen Theil seines Körpers wieder,
er schiesset ferner aus seinem Körper Aeste hervor, wel-
che endlich von der Mutter abfallen, und zu einem ein-
zigen, der Mutter ähnlichen Thiere werden. Doch
wir müssen hier der so denkwürdigen Geschichte dieser
kleinen Thierchen einen kleinen Plazz vergönnen.

Das erste was davon bekannt wurde, war, daß sich
die zerschnittene Theile eines Polipen wieder ergänzen.
Schon die Alten wusten, daß der grosse Meervielfus (b),
wenn man seine Aerme verschneidet (c) und verstüm-
melt, oder welche er selbst zernaget (d) wieder ganz wird,
und dieses bestätigen auch die Neuern (e).

Es sahe ferner Augustin (f), daß ein in viele
Stükke zerschnittener Skolopender, noch in jedem ein-
zelnen Stükke lebe, und daß jedes für sich, ohne das
andere, seine Bewegung verfolgt (g).

Ohn-
(a) [Spaltenumbruch] Es leugnet der berühmte
WOLF daß man die Entwikkelung
in der Natur finde. Deutsch p. 40.
Denn Entwikkelung heisse blos die
Entblössung oder Enthüllung einer
pflanze p. 46. u. s. f. 218. die in
Häuten eingewikkelt war; oder die
Ausstrekkung einer gefalteten Pflan-
ze p. 56. Wenn er nun die Polipen
mit den Bäumen vergleichet, so
wird er die Uebereinstimmung bei-
der selbst nicht leugnen können.
Den man auch von Thieren, so
in Falten elngepakkt liegen, an den
[Spaltenumbruch] Papilionen Exempel, sonderlich an
dessen gefalteten Flügeln p. 144.
(b) PLINIUS L. IX. c. 29.
AELIAN anim. L. I. c.
28. Man
sehe nach OPPIAN L. II. und aus
ihm PHILE p. 301. edit. PAAUW
und endlich CARDAN variet p. 255.
(c) PLINIUS.
(d) AELIANUS.
(e) KOELREUTER Comm.
Acad. Petrop. T. VII.
(f) VALISNER dialog. p. 26.
(g) Idem ibid.

II. Abſ. Anfaͤnge des Thieres.
der Aſt zu einer Weide und das Polipenſtuͤkk zu einem
ganzen Thiere: ſo trennt ſich am Hauslauche (ſedum)
die Blaͤtterroſe von ſelbſt von der Wurzel der Mutter-
pflanze, um eine neue Roſe zu werden, welche Blumen
und Saamen traͤgt, kuͤnftig an ihrem Umkreiſe neue
Roſen bringt, und es dekkt die, mit ihren hundert
Toͤchtern umgebene Mutter, wie ein breiter Raſen die
Felſen. Eben ſo ergaͤnzt auch ein zerſchnittener Poli-
pe (a) den weggeſchnittnen Theil ſeines Koͤrpers wieder,
er ſchieſſet ferner aus ſeinem Koͤrper Aeſte hervor, wel-
che endlich von der Mutter abfallen, und zu einem ein-
zigen, der Mutter aͤhnlichen Thiere werden. Doch
wir muͤſſen hier der ſo denkwuͤrdigen Geſchichte dieſer
kleinen Thierchen einen kleinen Plazz vergoͤnnen.

Das erſte was davon bekannt wurde, war, daß ſich
die zerſchnittene Theile eines Polipen wieder ergaͤnzen.
Schon die Alten wuſten, daß der groſſe Meervielfus (b),
wenn man ſeine Aerme verſchneidet (c) und verſtuͤm-
melt, oder welche er ſelbſt zernaget (d) wieder ganz wird,
und dieſes beſtaͤtigen auch die Neuern (e).

Es ſahe ferner Auguſtin (f), daß ein in viele
Stuͤkke zerſchnittener Skolopender, noch in jedem ein-
zelnen Stuͤkke lebe, und daß jedes fuͤr ſich, ohne das
andere, ſeine Bewegung verfolgt (g).

Ohn-
(a) [Spaltenumbruch] Es leugnet der beruͤhmte
WOLF daß man die Entwikkelung
in der Natur finde. Deutſch p. 40.
Denn Entwikkelung heiſſe blos die
Entbloͤſſung oder Enthuͤllung einer
pflanze p. 46. u. ſ. f. 218. die in
Haͤuten eingewikkelt war; oder die
Ausſtrekkung einer gefalteten Pflan-
ze p. 56. Wenn er nun die Polipen
mit den Baͤumen vergleichet, ſo
wird er die Uebereinſtimmung bei-
der ſelbſt nicht leugnen koͤnnen.
Den man auch von Thieren, ſo
in Falten elngepakkt liegen, an den
[Spaltenumbruch] Papilionen Exempel, ſonderlich an
deſſen gefalteten Fluͤgeln p. 144.
(b) PLINIUS L. IX. c. 29.
ÆLIAN anim. L. I. c.
28. Man
ſehe nach OPPIAN L. II. und aus
ihm PHILE p. 301. edit. PAAUW
und endlich CARDAN variet p. 255.
(c) PLINIUS.
(d) AELIANUS.
(e) KOELREUTER Comm.
Acad. Petrop. T. VII.
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(g) Idem ibid.
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[267/0319] II. Abſ. Anfaͤnge des Thieres. der Aſt zu einer Weide und das Polipenſtuͤkk zu einem ganzen Thiere: ſo trennt ſich am Hauslauche (ſedum) die Blaͤtterroſe von ſelbſt von der Wurzel der Mutter- pflanze, um eine neue Roſe zu werden, welche Blumen und Saamen traͤgt, kuͤnftig an ihrem Umkreiſe neue Roſen bringt, und es dekkt die, mit ihren hundert Toͤchtern umgebene Mutter, wie ein breiter Raſen die Felſen. Eben ſo ergaͤnzt auch ein zerſchnittener Poli- pe (a) den weggeſchnittnen Theil ſeines Koͤrpers wieder, er ſchieſſet ferner aus ſeinem Koͤrper Aeſte hervor, wel- che endlich von der Mutter abfallen, und zu einem ein- zigen, der Mutter aͤhnlichen Thiere werden. Doch wir muͤſſen hier der ſo denkwuͤrdigen Geſchichte dieſer kleinen Thierchen einen kleinen Plazz vergoͤnnen. Das erſte was davon bekannt wurde, war, daß ſich die zerſchnittene Theile eines Polipen wieder ergaͤnzen. Schon die Alten wuſten, daß der groſſe Meervielfus (b), wenn man ſeine Aerme verſchneidet (c) und verſtuͤm- melt, oder welche er ſelbſt zernaget (d) wieder ganz wird, und dieſes beſtaͤtigen auch die Neuern (e). Es ſahe ferner Auguſtin (f), daß ein in viele Stuͤkke zerſchnittener Skolopender, noch in jedem ein- zelnen Stuͤkke lebe, und daß jedes fuͤr ſich, ohne das andere, ſeine Bewegung verfolgt (g). Ohn- (a) Es leugnet der beruͤhmte WOLF daß man die Entwikkelung in der Natur finde. Deutſch p. 40. Denn Entwikkelung heiſſe blos die Entbloͤſſung oder Enthuͤllung einer pflanze p. 46. u. ſ. f. 218. die in Haͤuten eingewikkelt war; oder die Ausſtrekkung einer gefalteten Pflan- ze p. 56. Wenn er nun die Polipen mit den Baͤumen vergleichet, ſo wird er die Uebereinſtimmung bei- der ſelbſt nicht leugnen koͤnnen. Den man auch von Thieren, ſo in Falten elngepakkt liegen, an den Papilionen Exempel, ſonderlich an deſſen gefalteten Fluͤgeln p. 144. (b) PLINIUS L. IX. c. 29. ÆLIAN anim. L. I. c. 28. Man ſehe nach OPPIAN L. II. und aus ihm PHILE p. 301. edit. PAAUW und endlich CARDAN variet p. 255. (c) PLINIUS. (d) AELIANUS. (e) KOELREUTER Comm. Acad. Petrop. T. VII. (f) VALISNER dialog. p. 26. (g) Idem ibid.

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Zitationshilfe: Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 8. Berlin, 1776, S. 267. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende08_1776/319>, abgerufen am 22.11.2024.