Wir müssen daher zuerst aus der Historie des Her- zens annehmen, daß bei jedesmaligen Zusammenziehen des Herzens die Aorte, und das ganze Schlagadersystem zu gleicher Zeit länger (a) und breiter (b) wird, daß sich der ganze Körper ausdehnt, und daß dessen Oberfläche in die Höhe getrieben wird. Man siehet dieses an der Kniescheibe deutlich genug, wenn wir ein Knie über das andere legen. Daß die Schlagadern ihre Länge ver- grössern, haben an grossen und kleinen lebendigen Thie- ren (c) sowol andere berühmte Männer (d), als ich selbst, gesehen.
Nothwendig aber muß das herumliegende cellulöse Wesen, nebst denen benachbarten Muskelfasern und al- len denjenigen Theilen, mit welchen die Schlagader zu- sammen hängt, und welche ausweichen und gehorchen können, zugleich mit ausgedehnt werden.
Jndem nun aber eine Schlagader bei dieser Länge und Breite nicht verbleibt, sondern sich kurz darauf, nachdem sie ausgedehnet worden, sich wiederum zurükke zieht, und zu ihrer vorigen Kürze und Enge wiederkehrt, so müssen auch die mit der Schlagader verbundene Theile zu gleicher Zeit mit, und allezeit, und in jedem Puls- schlage sowol länger als kürzer werden. Diese Verän- derung zerstöret auch die allerhärteste Saiten, und es ist kein eiserner Drath so hart, und keine musikalische Saite so elastisch, welche nicht diese wechselweise Biegungen und Ausspannungen zerstören, und nach aufgehobener Feder- kraft und aufgehobenem Zusammenhange der Grund- stoffe zerbrechlich und schwach machen sollten. Daß die- ses an der thierischen Faser Plazz finde, hat der berühmte Bryan Robinson durch Verfuche gezeiget (e). Wollte
je-
(a)[Spaltenumbruch]L. VI. p. 229. u. s. w.
(b)p. 232. u. s. w.
(c)Conf. BOERHAAVE Prae- lect. T. III. p. 681.
(d)[Spaltenumbruch]L. VI. p. 229.
(e)Essays anim. oeconomy p. 333. Prop. 29. ed. 1738.
Leben u. Tod der Menſchen. XXX. B.
Wir muͤſſen daher zuerſt aus der Hiſtorie des Her- zens annehmen, daß bei jedesmaligen Zuſammenziehen des Herzens die Aorte, und das ganze Schlagaderſyſtem zu gleicher Zeit laͤnger (a) und breiter (b) wird, daß ſich der ganze Koͤrper ausdehnt, und daß deſſen Oberflaͤche in die Hoͤhe getrieben wird. Man ſiehet dieſes an der Knieſcheibe deutlich genug, wenn wir ein Knie uͤber das andere legen. Daß die Schlagadern ihre Laͤnge ver- groͤſſern, haben an groſſen und kleinen lebendigen Thie- ren (c) ſowol andere beruͤhmte Maͤnner (d), als ich ſelbſt, geſehen.
Nothwendig aber muß das herumliegende celluloͤſe Weſen, nebſt denen benachbarten Muskelfaſern und al- len denjenigen Theilen, mit welchen die Schlagader zu- ſammen haͤngt, und welche ausweichen und gehorchen koͤnnen, zugleich mit ausgedehnt werden.
Jndem nun aber eine Schlagader bei dieſer Laͤnge und Breite nicht verbleibt, ſondern ſich kurz darauf, nachdem ſie ausgedehnet worden, ſich wiederum zuruͤkke zieht, und zu ihrer vorigen Kuͤrze und Enge wiederkehrt, ſo muͤſſen auch die mit der Schlagader verbundene Theile zu gleicher Zeit mit, und allezeit, und in jedem Puls- ſchlage ſowol laͤnger als kuͤrzer werden. Dieſe Veraͤn- derung zerſtoͤret auch die allerhaͤrteſte Saiten, und es iſt kein eiſerner Drath ſo hart, und keine muſikaliſche Saite ſo elaſtiſch, welche nicht dieſe wechſelweiſe Biegungen und Ausſpannungen zerſtoͤren, und nach aufgehobener Feder- kraft und aufgehobenem Zuſammenhange der Grund- ſtoffe zerbrechlich und ſchwach machen ſollten. Daß die- ſes an der thieriſchen Faſer Plazz finde, hat der beruͤhmte Bryan Robinſon durch Verfuche gezeiget (e). Wollte
je-
(a)[Spaltenumbruch]L. VI. p. 229. u. ſ. w.
(b)p. 232. u. ſ. w.
(c)Conf. BOERHAAVE Prae- lect. T. III. p. 681.
(d)[Spaltenumbruch]L. VI. p. 229.
(e)Eſſays anim. oeconomy p. 333. Prop. 29. ed. 1738.
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[870[872]/0924]
Leben u. Tod der Menſchen. XXX. B.
Wir muͤſſen daher zuerſt aus der Hiſtorie des Her-
zens annehmen, daß bei jedesmaligen Zuſammenziehen
des Herzens die Aorte, und das ganze Schlagaderſyſtem
zu gleicher Zeit laͤnger (a) und breiter (b) wird, daß ſich
der ganze Koͤrper ausdehnt, und daß deſſen Oberflaͤche
in die Hoͤhe getrieben wird. Man ſiehet dieſes an der
Knieſcheibe deutlich genug, wenn wir ein Knie uͤber das
andere legen. Daß die Schlagadern ihre Laͤnge ver-
groͤſſern, haben an groſſen und kleinen lebendigen Thie-
ren (c) ſowol andere beruͤhmte Maͤnner (d), als ich ſelbſt,
geſehen.
Nothwendig aber muß das herumliegende celluloͤſe
Weſen, nebſt denen benachbarten Muskelfaſern und al-
len denjenigen Theilen, mit welchen die Schlagader zu-
ſammen haͤngt, und welche ausweichen und gehorchen
koͤnnen, zugleich mit ausgedehnt werden.
Jndem nun aber eine Schlagader bei dieſer Laͤnge
und Breite nicht verbleibt, ſondern ſich kurz darauf,
nachdem ſie ausgedehnet worden, ſich wiederum zuruͤkke
zieht, und zu ihrer vorigen Kuͤrze und Enge wiederkehrt,
ſo muͤſſen auch die mit der Schlagader verbundene Theile
zu gleicher Zeit mit, und allezeit, und in jedem Puls-
ſchlage ſowol laͤnger als kuͤrzer werden. Dieſe Veraͤn-
derung zerſtoͤret auch die allerhaͤrteſte Saiten, und es iſt
kein eiſerner Drath ſo hart, und keine muſikaliſche Saite
ſo elaſtiſch, welche nicht dieſe wechſelweiſe Biegungen und
Ausſpannungen zerſtoͤren, und nach aufgehobener Feder-
kraft und aufgehobenem Zuſammenhange der Grund-
ſtoffe zerbrechlich und ſchwach machen ſollten. Daß die-
ſes an der thieriſchen Faſer Plazz finde, hat der beruͤhmte
Bryan Robinſon durch Verfuche gezeiget (e). Wollte
je-
(a)
L. VI. p. 229. u. ſ. w.
(b) p. 232. u. ſ. w.
(c) Conf. BOERHAAVE Prae-
lect. T. III. p. 681.
(d)
L. VI. p. 229.
(e) Eſſays anim. oeconomy p.
333. Prop. 29. ed. 1738.
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Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 8. Berlin, 1776, S. 870[872]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende08_1776/924>, abgerufen am 22.11.2024.
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