jemand dagegen einwenden, daß die beständige Anfeuch- tung des Saftes in dem menschlichen Körper vieles von der üblen Wirkung dieser wechselweisen Bewegung hin- dere, so wie der berühmte Quincy die vorspringende und zusammenziehende Kraft einer Faser, auf die Rech- nung der Anfeuchtung geschrieben, indem beide Kräfte an einer aufgetrokkneten Faser verschwinden (f); so ant- worte ich, wie es aus Erfahrungen erhelle, daß wenn eine feuchte Faser wechselweise gebogen und ausgespannt werde, selbige noch mehr dadurch leide (g). Es ist am menschlichen Körper die Ausdehnung der Fasern viel was gemeineres, als an irgend einer andern Maschine, indem die Faser fast fünf tausendmal in einer Stunde sowol länger als kürzer wird, und ohne irgend auszu- ruhen, innerhalb funfzig Jahren nicht weniger als um 2. 190. 000. 000. mal wechselweise Biegungen aussteht.
So viel sich hievon bemerken läst, so wird durch diese Verlängerung und durch dieses Zusammenziehen, der Zusammenhang unter den Grundstoffen der Faser schwächer, indem der Leim, welcher nicht so feste als die Erde ist, in der vermehrten Menge einer Faser dünner wird, indessen daß die Erde, welche sich nicht verschie- ben läst, ihre Dikke beibehält. Auf solche Art wird die Kette in den Grundstoffen der Erde und des Leims un- gleich gliederig, und es ist dieses eine Vorbereitung zu demjenigen Erfolge, da der zulang gezerrte Leim los- geht (h).
Hiemit verbindet sich zuerst eine Zerbrechlichkeit, und auf diese folget endlich der Bruch selbst.
Diese Art von Verzehrung findet bei jeder dehnba- ren Faser Plazz, es mag nun selbige hohl oder feste ge-
wesen
(f)[Spaltenumbruch]De fibr. animali p. 383.
(g)B. ROBINSON l. c.
(h)Conf. J. QUINCY in sta- tic. med sanctor. p 387 H. BOER- HAAVE Praelect. Acad. T. III. [Spaltenumbruch]
p. 687. 660. 684. wo er nach der Hypothese, und Vergleichung mit dem Mauerwerke diese Schwächung erklärt.
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II. Abſ. Der Zuſtand des Menſchen.
jemand dagegen einwenden, daß die beſtaͤndige Anfeuch- tung des Saftes in dem menſchlichen Koͤrper vieles von der uͤblen Wirkung dieſer wechſelweiſen Bewegung hin- dere, ſo wie der beruͤhmte Quincy die vorſpringende und zuſammenziehende Kraft einer Faſer, auf die Rech- nung der Anfeuchtung geſchrieben, indem beide Kraͤfte an einer aufgetrokkneten Faſer verſchwinden (f); ſo ant- worte ich, wie es aus Erfahrungen erhelle, daß wenn eine feuchte Faſer wechſelweiſe gebogen und ausgeſpannt werde, ſelbige noch mehr dadurch leide (g). Es iſt am menſchlichen Koͤrper die Ausdehnung der Faſern viel was gemeineres, als an irgend einer andern Maſchine, indem die Faſer faſt fuͤnf tauſendmal in einer Stunde ſowol laͤnger als kuͤrzer wird, und ohne irgend auszu- ruhen, innerhalb funfzig Jahren nicht weniger als um 2. 190. 000. 000. mal wechſelweiſe Biegungen ausſteht.
So viel ſich hievon bemerken laͤſt, ſo wird durch dieſe Verlaͤngerung und durch dieſes Zuſammenziehen, der Zuſammenhang unter den Grundſtoffen der Faſer ſchwaͤcher, indem der Leim, welcher nicht ſo feſte als die Erde iſt, in der vermehrten Menge einer Faſer duͤnner wird, indeſſen daß die Erde, welche ſich nicht verſchie- ben laͤſt, ihre Dikke beibehaͤlt. Auf ſolche Art wird die Kette in den Grundſtoffen der Erde und des Leims un- gleich gliederig, und es iſt dieſes eine Vorbereitung zu demjenigen Erfolge, da der zulang gezerrte Leim los- geht (h).
Hiemit verbindet ſich zuerſt eine Zerbrechlichkeit, und auf dieſe folget endlich der Bruch ſelbſt.
Dieſe Art von Verzehrung findet bei jeder dehnba- ren Faſer Plazz, es mag nun ſelbige hohl oder feſte ge-
weſen
(f)[Spaltenumbruch]De fibr. animali p. 383.
(g)B. ROBINSON l. c.
(h)Conf. J. QUINCY in ſta- tic. med ſanctor. p 387 H. BOER- HAAVE Praelect. Acad. T. III. [Spaltenumbruch]
p. 687. 660. 684. wo er nach der Hypotheſe, und Vergleichung mit dem Mauerwerke dieſe Schwaͤchung erklaͤrt.
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[871[873]/0925]
II. Abſ. Der Zuſtand des Menſchen.
jemand dagegen einwenden, daß die beſtaͤndige Anfeuch-
tung des Saftes in dem menſchlichen Koͤrper vieles von
der uͤblen Wirkung dieſer wechſelweiſen Bewegung hin-
dere, ſo wie der beruͤhmte Quincy die vorſpringende
und zuſammenziehende Kraft einer Faſer, auf die Rech-
nung der Anfeuchtung geſchrieben, indem beide Kraͤfte
an einer aufgetrokkneten Faſer verſchwinden (f); ſo ant-
worte ich, wie es aus Erfahrungen erhelle, daß wenn
eine feuchte Faſer wechſelweiſe gebogen und ausgeſpannt
werde, ſelbige noch mehr dadurch leide (g). Es iſt am
menſchlichen Koͤrper die Ausdehnung der Faſern viel
was gemeineres, als an irgend einer andern Maſchine,
indem die Faſer faſt fuͤnf tauſendmal in einer Stunde
ſowol laͤnger als kuͤrzer wird, und ohne irgend auszu-
ruhen, innerhalb funfzig Jahren nicht weniger als um
2. 190. 000. 000. mal wechſelweiſe Biegungen ausſteht.
So viel ſich hievon bemerken laͤſt, ſo wird durch
dieſe Verlaͤngerung und durch dieſes Zuſammenziehen,
der Zuſammenhang unter den Grundſtoffen der Faſer
ſchwaͤcher, indem der Leim, welcher nicht ſo feſte als die
Erde iſt, in der vermehrten Menge einer Faſer duͤnner
wird, indeſſen daß die Erde, welche ſich nicht verſchie-
ben laͤſt, ihre Dikke beibehaͤlt. Auf ſolche Art wird die
Kette in den Grundſtoffen der Erde und des Leims un-
gleich gliederig, und es iſt dieſes eine Vorbereitung zu
demjenigen Erfolge, da der zulang gezerrte Leim los-
geht (h).
Hiemit verbindet ſich zuerſt eine Zerbrechlichkeit, und
auf dieſe folget endlich der Bruch ſelbſt.
Dieſe Art von Verzehrung findet bei jeder dehnba-
ren Faſer Plazz, es mag nun ſelbige hohl oder feſte ge-
weſen
(f)
De fibr. animali p. 383.
(g) B. ROBINSON l. c.
(h) Conf. J. QUINCY in ſta-
tic. med ſanctor. p 387 H. BOER-
HAAVE Praelect. Acad. T. III.
p. 687. 660. 684. wo er nach der
Hypotheſe, und Vergleichung mit
dem Mauerwerke dieſe Schwaͤchung
erklaͤrt.
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Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 8. Berlin, 1776, S. 871[873]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende08_1776/925>, abgerufen am 22.11.2024.
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