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[Hamann, Johann Georg]: Sokratische Denkwürdigkeiten. Amsterdam [i. e. Königsberg], 1759.

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Freundschaft ohne Sinnlichkeit fühlen, und
eine metaphysische Liebe sündigt vielleicht
gröber am Nervensaft, als eine thierische an
Fleisch und Blut. Sokrates hat also ohne
Zweifel für seine Lust an einer Harmonie der
äusserlichen und innerlichen Schönheit, in
sich selbst leiden und streiten müssen. Ueber-
dem wurden Schönheit, Stärke des Leibes
und Geistes nebst dem Reichthum an Kin-
dern und Gütern in dem jugendlichen Alter
der Welt für Sinnbilder göttlicher Eigen-
schaften und Fußstapfen göttlicher Gegen-
wart erklärt. Wir denken ietzt zu abstrakt
und männlich die menschliche Natur nach
dergleichen Zufälligkeiten zu beurtheilen.
Selbst die Religion lehrt uns einen Gott,
der kein Ansehen der Person hat; ohngeach-
tet der Misverstand des Gesetzes die Juden
an gleiche Vorurtheile hierinn mit den Hey-
den gebunden hielt. Jhre gesunde Vernunft,

wor-

Freundſchaft ohne Sinnlichkeit fuͤhlen, und
eine metaphyſiſche Liebe ſuͤndigt vielleicht
groͤber am Nervenſaft, als eine thieriſche an
Fleiſch und Blut. Sokrates hat alſo ohne
Zweifel fuͤr ſeine Luſt an einer Harmonie der
aͤuſſerlichen und innerlichen Schoͤnheit, in
ſich ſelbſt leiden und ſtreiten muͤſſen. Ueber-
dem wurden Schoͤnheit, Staͤrke des Leibes
und Geiſtes nebſt dem Reichthum an Kin-
dern und Guͤtern in dem jugendlichen Alter
der Welt fuͤr Sinnbilder goͤttlicher Eigen-
ſchaften und Fußſtapfen goͤttlicher Gegen-
wart erklaͤrt. Wir denken ietzt zu abſtrakt
und maͤnnlich die menſchliche Natur nach
dergleichen Zufaͤlligkeiten zu beurtheilen.
Selbſt die Religion lehrt uns einen Gott,
der kein Anſehen der Perſon hat; ohngeach-
tet der Misverſtand des Geſetzes die Juden
an gleiche Vorurtheile hierinn mit den Hey-
den gebunden hielt. Jhre geſunde Vernunft,

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[34/0038] Freundſchaft ohne Sinnlichkeit fuͤhlen, und eine metaphyſiſche Liebe ſuͤndigt vielleicht groͤber am Nervenſaft, als eine thieriſche an Fleiſch und Blut. Sokrates hat alſo ohne Zweifel fuͤr ſeine Luſt an einer Harmonie der aͤuſſerlichen und innerlichen Schoͤnheit, in ſich ſelbſt leiden und ſtreiten muͤſſen. Ueber- dem wurden Schoͤnheit, Staͤrke des Leibes und Geiſtes nebſt dem Reichthum an Kin- dern und Guͤtern in dem jugendlichen Alter der Welt fuͤr Sinnbilder goͤttlicher Eigen- ſchaften und Fußſtapfen goͤttlicher Gegen- wart erklaͤrt. Wir denken ietzt zu abſtrakt und maͤnnlich die menſchliche Natur nach dergleichen Zufaͤlligkeiten zu beurtheilen. Selbſt die Religion lehrt uns einen Gott, der kein Anſehen der Perſon hat; ohngeach- tet der Misverſtand des Geſetzes die Juden an gleiche Vorurtheile hierinn mit den Hey- den gebunden hielt. Jhre geſunde Vernunft, wor-

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Zitationshilfe: [Hamann, Johann Georg]: Sokratische Denkwürdigkeiten. Amsterdam [i. e. Königsberg], 1759, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hamann_denkwuerdigkeiten_1759/38>, abgerufen am 21.11.2024.