Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Hamann, Johann Georg]: Sokratische Denkwürdigkeiten. Amsterdam [i. e. Königsberg], 1759.

Bild:
<< vorherige Seite


Dritter Abschnitt.

Sokrates soll drey Feldzüge mitgemacht
haben. Jn dem ersten hatte ihm sein
Alcidiades die Erhaltung des Lebens
und der Waffen zu danken, dem er auch den
Preis der Tapferkeit, welcher ihm selbst zu-
kam, überließ. Jn dem zweyten wich er wie
ein Parther, fiel seine Verfolger mitten im
Weichen an, theilte mehr Furcht aus, als
ihm eingejagt wurde und trug seinen Freund
Xenophon, der vom Pferde gefallen war,
auf den Schultern aus der Gefahr des
Schlachtfeldes. Er entgieng der grossen Nie-
derlage des dritten Feldzuges eben so glück-
lich wie der Pest, die zu seiner Zeit Athen
zweymal heimsuchte.

Die Ehrfurcht gegen das Wort in seinem
Herzen, auf dessen Laut er immer aufmerk-
sam war, entschuldigte ihn Staatsversamm-
lungen beyzuwohnen. Als er lange genung
glaubte gelebt zu haben, bot er sich selbst zu
einer Stelle im Rath an, worinn er als Mit-
glied, Aeltermann *) und Oberhaupt **) ge-
sessen, und wo er sich mit seiner Unschicklich-
keit in Sammlung der Stimmen und andern
Gebräuchen lächerlich, auch mit seinem Ei-

gen-
*) Prytan.
**) Prostata.
D 5


Dritter Abſchnitt.

Sokrates ſoll drey Feldzuͤge mitgemacht
haben. Jn dem erſten hatte ihm ſein
Alcidiades die Erhaltung des Lebens
und der Waffen zu danken, dem er auch den
Preis der Tapferkeit, welcher ihm ſelbſt zu-
kam, uͤberließ. Jn dem zweyten wich er wie
ein Parther, fiel ſeine Verfolger mitten im
Weichen an, theilte mehr Furcht aus, als
ihm eingejagt wurde und trug ſeinen Freund
Xenophon, der vom Pferde gefallen war,
auf den Schultern aus der Gefahr des
Schlachtfeldes. Er entgieng der groſſen Nie-
derlage des dritten Feldzuges eben ſo gluͤck-
lich wie der Peſt, die zu ſeiner Zeit Athen
zweymal heimſuchte.

Die Ehrfurcht gegen das Wort in ſeinem
Herzen, auf deſſen Laut er immer aufmerk-
ſam war, entſchuldigte ihn Staatsverſamm-
lungen beyzuwohnen. Als er lange genung
glaubte gelebt zu haben, bot er ſich ſelbſt zu
einer Stelle im Rath an, worinn er als Mit-
glied, Aeltermann *) und Oberhaupt **) ge-
ſeſſen, und wo er ſich mit ſeiner Unſchicklich-
keit in Sammlung der Stimmen und andern
Gebraͤuchen laͤcherlich, auch mit ſeinem Ei-

gen-
*) Prytan.
**) Proſtata.
D 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0061" n="[57]"/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b">Dritter Ab&#x017F;chnitt.</hi> </head><lb/>
            <p><hi rendition="#in">S</hi>okrates &#x017F;oll drey Feldzu&#x0364;ge mitgemacht<lb/>
haben. Jn dem er&#x017F;ten hatte ihm &#x017F;ein<lb/><hi rendition="#fr">Alcidiades</hi> die Erhaltung des Lebens<lb/>
und der Waffen zu danken, dem er auch den<lb/>
Preis der Tapferkeit, welcher ihm &#x017F;elb&#x017F;t zu-<lb/>
kam, u&#x0364;berließ. Jn dem zweyten wich er wie<lb/>
ein Parther, fiel &#x017F;eine Verfolger mitten im<lb/>
Weichen an, theilte mehr Furcht aus, als<lb/>
ihm eingejagt wurde und trug &#x017F;einen Freund<lb/><hi rendition="#fr">Xenophon,</hi> der vom Pferde gefallen war,<lb/>
auf den Schultern aus der Gefahr des<lb/>
Schlachtfeldes. Er entgieng der gro&#x017F;&#x017F;en Nie-<lb/>
derlage des dritten Feldzuges eben &#x017F;o glu&#x0364;ck-<lb/>
lich wie der Pe&#x017F;t, die zu &#x017F;einer Zeit Athen<lb/>
zweymal heim&#x017F;uchte.</p><lb/>
            <p>Die Ehrfurcht gegen das Wort in &#x017F;einem<lb/>
Herzen, auf de&#x017F;&#x017F;en Laut er immer aufmerk-<lb/>
&#x017F;am war, ent&#x017F;chuldigte ihn Staatsver&#x017F;amm-<lb/>
lungen beyzuwohnen. Als er lange genung<lb/>
glaubte gelebt zu haben, bot er &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t zu<lb/>
einer Stelle im Rath an, worinn er als Mit-<lb/>
glied, Aeltermann <note place="foot" n="*)">Prytan.</note> und Oberhaupt <note place="foot" n="**)">Pro&#x017F;tata.</note> ge-<lb/>
&#x017F;e&#x017F;&#x017F;en, und wo er &#x017F;ich mit &#x017F;einer Un&#x017F;chicklich-<lb/>
keit in Sammlung der Stimmen und andern<lb/>
Gebra&#x0364;uchen <hi rendition="#fr">la&#x0364;cherlich,</hi> auch mit &#x017F;einem Ei-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">D 5</fw><fw place="bottom" type="catch">gen-</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[57]/0061] Dritter Abſchnitt. Sokrates ſoll drey Feldzuͤge mitgemacht haben. Jn dem erſten hatte ihm ſein Alcidiades die Erhaltung des Lebens und der Waffen zu danken, dem er auch den Preis der Tapferkeit, welcher ihm ſelbſt zu- kam, uͤberließ. Jn dem zweyten wich er wie ein Parther, fiel ſeine Verfolger mitten im Weichen an, theilte mehr Furcht aus, als ihm eingejagt wurde und trug ſeinen Freund Xenophon, der vom Pferde gefallen war, auf den Schultern aus der Gefahr des Schlachtfeldes. Er entgieng der groſſen Nie- derlage des dritten Feldzuges eben ſo gluͤck- lich wie der Peſt, die zu ſeiner Zeit Athen zweymal heimſuchte. Die Ehrfurcht gegen das Wort in ſeinem Herzen, auf deſſen Laut er immer aufmerk- ſam war, entſchuldigte ihn Staatsverſamm- lungen beyzuwohnen. Als er lange genung glaubte gelebt zu haben, bot er ſich ſelbſt zu einer Stelle im Rath an, worinn er als Mit- glied, Aeltermann *) und Oberhaupt **) ge- ſeſſen, und wo er ſich mit ſeiner Unſchicklich- keit in Sammlung der Stimmen und andern Gebraͤuchen laͤcherlich, auch mit ſeinem Ei- gen- *) Prytan. **) Proſtata. D 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hamann_denkwuerdigkeiten_1759
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hamann_denkwuerdigkeiten_1759/61
Zitationshilfe: [Hamann, Johann Georg]: Sokratische Denkwürdigkeiten. Amsterdam [i. e. Königsberg], 1759, S. [57]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hamann_denkwuerdigkeiten_1759/61>, abgerufen am 22.11.2024.