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Harsdörffer, Georg Philipp: Poetischer Trichter. Bd. 2. Nürnberg, 1648.

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Die eilffte Stund.
der zu reden/ und sich doch gegen die Zuhörer zu
wenden/ und ihre Gemütsmeinung zu entdecken.
Gefehlt ist es auch/ wann man den Betrübten
schöne Wort in den Mund giebt/ massen die Trau-
rigkeit so wenig wolgesetzte Reden wehlen/ als das
Gesicht im trüben Wasser eine Sache eigentlch er-
sehen kan. Jn den Schmertzen pflegt man ein
Wort mehrmals zu wiederholen/ und ist oft die
Wolredenheit übel reden.

15. Wann man den Griechen und Römern
folgen solte/ so müssten alle Trauerspiele/ als der
Poeten höchste Mersterstücke in Verse verfasset
werden/ welches auch wol seyn kan/ und haben
wir derselben so viel Arten/ als die Griechen/ und
mehr als die Römer; doch scheinet der Jtaliäner
neuste Reimart am thunlichsten/ in welcher die
Reimwort gleichsam ungezwungen in die Rede
eingeflochten/ und die Verszeile nicht mit gewieser
Zahl verbunden werden. Ein Exempel ist in der
V. Stund §. 7. des Poetischen Trichters. Wann
man aber die ungebundne Rede als natürlicher
gebrauchen wolte; weil der allerflissenste Reim
nicht ohne Zwang ist/ so müssen doch die Chorlie-
der reimweis gesetzet/ und so viel möglich andre
Gedicht mit eingebracht werden.

16. Es sol auch der Poet verstehen den Schau-
platz auszuzieren/ und die Music anzustellen/ von

welchen
G ij

Die eilffte Stund.
der zu reden/ und ſich doch gegen die Zuhoͤrer zu
wenden/ und ihre Gemuͤtsmeinung zu entdecken.
Gefehlt iſt es auch/ wann man den Betruͤbten
ſchoͤne Wort in dẽ Mund giebt/ maſſen die Trau-
rigkeit ſo wenig wolgeſetzte Reden wehlen/ als das
Geſicht im truͤbẽ Waſſer eine Sache eigentlch er-
ſehen kan. Jn den Schmertzen pflegt man ein
Wort mehrmals zu wiederholen/ und iſt oft die
Wolredenheit uͤbel reden.

15. Wann man den Griechen und Roͤmern
folgen ſolte/ ſo muͤſſten alle Trauerſpiele/ als der
Poeten hoͤchſte Merſterſtuͤcke in Verſe verfaſſet
werden/ welches auch wol ſeyn kan/ und haben
wir derſelben ſo viel Arten/ als die Griechen/ und
mehr als die Roͤmer; doch ſcheinet der Jtaliaͤner
neuſte Reimart am thunlichſten/ in welcher die
Reimwort gleichſam ungezwungen in die Rede
eingeflochten/ und die Verszeile nicht mit gewieſeꝛ
Zahl verbunden werden. Ein Exempel iſt in der
V. Stund §. 7. des Poetiſchen Trichters. Wann
man aber die ungebundne Rede als natuͤrlicher
gebrauchen wolte; weil der allerfliſſenſte Reim
nicht ohne Zwang iſt/ ſo muͤſſen doch die Chorlie-
der reimweis geſetzet/ und ſo viel moͤglich andre
Gedicht mit eingebracht werden.

16. Es ſol auch der Poet verſtehen den Schau-
platz auszuzieren/ und die Muſic anzuſtellen/ von

welchen
G ij
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[85/0099] Die eilffte Stund. der zu reden/ und ſich doch gegen die Zuhoͤrer zu wenden/ und ihre Gemuͤtsmeinung zu entdecken. Gefehlt iſt es auch/ wann man den Betruͤbten ſchoͤne Wort in dẽ Mund giebt/ maſſen die Trau- rigkeit ſo wenig wolgeſetzte Reden wehlen/ als das Geſicht im truͤbẽ Waſſer eine Sache eigentlch er- ſehen kan. Jn den Schmertzen pflegt man ein Wort mehrmals zu wiederholen/ und iſt oft die Wolredenheit uͤbel reden. 15. Wann man den Griechen und Roͤmern folgen ſolte/ ſo muͤſſten alle Trauerſpiele/ als der Poeten hoͤchſte Merſterſtuͤcke in Verſe verfaſſet werden/ welches auch wol ſeyn kan/ und haben wir derſelben ſo viel Arten/ als die Griechen/ und mehr als die Roͤmer; doch ſcheinet der Jtaliaͤner neuſte Reimart am thunlichſten/ in welcher die Reimwort gleichſam ungezwungen in die Rede eingeflochten/ und die Verszeile nicht mit gewieſeꝛ Zahl verbunden werden. Ein Exempel iſt in der V. Stund §. 7. des Poetiſchen Trichters. Wann man aber die ungebundne Rede als natuͤrlicher gebrauchen wolte; weil der allerfliſſenſte Reim nicht ohne Zwang iſt/ ſo muͤſſen doch die Chorlie- der reimweis geſetzet/ und ſo viel moͤglich andre Gedicht mit eingebracht werden. 16. Es ſol auch der Poet verſtehen den Schau- platz auszuzieren/ und die Muſic anzuſtellen/ von welchen G ij

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Zitationshilfe: Harsdörffer, Georg Philipp: Poetischer Trichter. Bd. 2. Nürnberg, 1648, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/harsdoerffer_trichter02_1648/99>, abgerufen am 21.11.2024.