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Harsdörffer, Georg Philipp: Poetischer Trichter. Bd. 3. Nürnberg, 1653.

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Die weinende Rahel.
Wird Herodes nicht gericht?
strafft GOtt nicht der Sünden Greuel?
Ach/ ich sehe noch für mir
wie die Glieder dort und hier
in den Häusern/ auf den Gassen/
auf dem Feld und Freyer Strassen/
als ob sie ein wildes Thier/
abgefleischet und zerrissen
ausgestreuet/ dort und hier/
halb verzehret und zerbissen!
Laß mich/ sprach ich' zu den Tod/
mit dem Kind in gleicher Noht
und zu gleicher Stunde sterben/
laß mich mit dem Kind verderben!
Ja ich bin zum drittenmahl
in das Mordgewehr gefallen:
dann die Lieb in solchem Fall/
pfleget mit in Tod zu wallen/
Meiner heissen Threnen Flut
mischte sich mit heissem Blut.
Wenig haben biß auf morgen
ihre Söhne kaum verborgen.
Jn der Wüsten/ in dem Wald
hat das Wild ihr baß verschonet/
da die Menschen-Wölffe bald
ihnen mit dem Tod gelohnet.
Alles Bitten war umsunst/
alles Flehen ohne Gunst.
unsre
Die weinende Rahel.
Wird Herodes nicht gericht?
ſtrafft GOtt nicht der Suͤnden Greuel?
Ach/ ich ſehe noch fuͤr mir
wie die Glieder dort und hier
in den Haͤuſern/ auf den Gaſſen/
auf dem Feld und Freyer Straſſen/
als ob ſie ein wildes Thier/
abgefleiſchet und zerriſſen
ausgeſtreuet/ dort und hier/
halb verzehret und zerbiſſen!
Laß mich/ ſprach ich’ zu den Tod/
mit dem Kind in gleicher Noht
und zu gleicher Stunde ſterben/
laß mich mit dem Kind verderben!
Ja ich bin zum drittenmahl
in das Mordgewehr gefallen:
dann die Lieb in ſolchem Fall/
pfleget mit in Tod zu wallen/
Meiner heiſſen Threnen Flut
miſchte ſich mit heiſſem Blut.
Wenig haben biß auf morgen
ihre Soͤhne kaum verborgen.
Jn der Wuͤſten/ in dem Wald
hat das Wild ihr baß verſchonet/
da die Menſchen-Woͤlffe bald
ihnen mit dem Tod gelohnet.
Alles Bitten war umſunſt/
alles Flehen ohne Gunſt.
unſre
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[538[536]/0568] Die weinende Rahel. Wird Herodes nicht gericht? ſtrafft GOtt nicht der Suͤnden Greuel? Ach/ ich ſehe noch fuͤr mir wie die Glieder dort und hier in den Haͤuſern/ auf den Gaſſen/ auf dem Feld und Freyer Straſſen/ als ob ſie ein wildes Thier/ abgefleiſchet und zerriſſen ausgeſtreuet/ dort und hier/ halb verzehret und zerbiſſen! Laß mich/ ſprach ich’ zu den Tod/ mit dem Kind in gleicher Noht und zu gleicher Stunde ſterben/ laß mich mit dem Kind verderben! Ja ich bin zum drittenmahl in das Mordgewehr gefallen: dann die Lieb in ſolchem Fall/ pfleget mit in Tod zu wallen/ Meiner heiſſen Threnen Flut miſchte ſich mit heiſſem Blut. Wenig haben biß auf morgen ihre Soͤhne kaum verborgen. Jn der Wuͤſten/ in dem Wald hat das Wild ihr baß verſchonet/ da die Menſchen-Woͤlffe bald ihnen mit dem Tod gelohnet. Alles Bitten war umſunſt/ alles Flehen ohne Gunſt. unſre

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Zitationshilfe: Harsdörffer, Georg Philipp: Poetischer Trichter. Bd. 3. Nürnberg, 1653, S. 538[536]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/harsdoerffer_trichter03_1653/568>, abgerufen am 22.11.2024.