Auch bei ihrer mäßigeren Einwirkung sehen wir, daß sie den Barometer des körperlichen Zustandes bestimmen.
Wie wirkt nicht die Hoffnung auf den ganzen Menschen? er athmet schneller, sein Puls schlägt rascher, eine angenehme Wärme belebt ihn, er fühlt das Bedürfniß vermehrter Thätigkeit, sein Appetit steigt, sein Gehirn ist freudiger erregt als durch den Genuß der feinsten Weine. Wandelt sich diese Hoff- nung in Furcht um, alsdann welche Veränderung! Das Athmen wird so träge, daß dem Bedürfniß nach Luft durch dieses Seufzen nachgeholfen werden muß, der Puls geht langsam, die Haut wird kalt, ein schwarzer Schleier scheint sich über die ganze Natur auszubreiten, das Gehirn nimmt Theil an der allge- meinen Depression und sinkt unter einer Last von trüben Gedanken. So sind die meisten Menschen während ihres ganzen Lebens, Sclaven der Furcht und der Hoffnung, und lassen sich von der einen zur andern hin und her bewegen.
Eine richtige Ansicht des Lebens und diejenige Seelenverfassung, welche Horaz, der anmuthig phi- losophische Dichter so sehr anempfiehlt, nicht zu stolz die Segel zu spannen, wenn der Wind des Glückes bläst, aber auch nicht im Sturm des Unglücks zu zaghaft am Ufer zu schleichen, können uns allein in den Stand setzen, das schwere Gleichgewicht zu
Auch bei ihrer maͤßigeren Einwirkung ſehen wir, daß ſie den Barometer des körperlichen Zuſtandes beſtimmen.
Wie wirkt nicht die Hoffnung auf den ganzen Menſchen? er athmet ſchneller, ſein Puls ſchlaͤgt raſcher, eine angenehme Waͤrme belebt ihn, er fuͤhlt das Beduͤrfniß vermehrter Thaͤtigkeit, ſein Appetit ſteigt, ſein Gehirn iſt freudiger erregt als durch den Genuß der feinſten Weine. Wandelt ſich dieſe Hoff- nung in Furcht um, alsdann welche Veraͤnderung! Das Athmen wird ſo traͤge, daß dem Bedürfniß nach Luft durch dieſes Seufzen nachgeholfen werden muß, der Puls geht langſam, die Haut wird kalt, ein ſchwarzer Schleier ſcheint ſich uͤber die ganze Natur auszubreiten, das Gehirn nimmt Theil an der allge- meinen Depreſſion und ſinkt unter einer Laſt von truͤben Gedanken. So ſind die meiſten Menſchen waͤhrend ihres ganzen Lebens, Sclaven der Furcht und der Hoffnung, und laſſen ſich von der einen zur andern hin und her bewegen.
Eine richtige Anſicht des Lebens und diejenige Seelenverfaſſung, welche Horaz, der anmuthig phi- loſophiſche Dichter ſo ſehr anempfiehlt, nicht zu ſtolz die Segel zu ſpannen, wenn der Wind des Glückes blaͤst, aber auch nicht im Sturm des Ungluͤcks zu zaghaft am Ufer zu ſchleichen, koͤnnen uns allein in den Stand ſetzen, das ſchwere Gleichgewicht zu
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Auch bei ihrer maͤßigeren Einwirkung ſehen wir,
daß ſie den Barometer des körperlichen Zuſtandes
beſtimmen.
Wie wirkt nicht die Hoffnung auf den ganzen
Menſchen? er athmet ſchneller, ſein Puls ſchlaͤgt
raſcher, eine angenehme Waͤrme belebt ihn, er fuͤhlt
das Beduͤrfniß vermehrter Thaͤtigkeit, ſein Appetit
ſteigt, ſein Gehirn iſt freudiger erregt als durch den
Genuß der feinſten Weine. Wandelt ſich dieſe Hoff-
nung in Furcht um, alsdann welche Veraͤnderung!
Das Athmen wird ſo traͤge, daß dem Bedürfniß nach
Luft durch dieſes Seufzen nachgeholfen werden muß,
der Puls geht langſam, die Haut wird kalt, ein
ſchwarzer Schleier ſcheint ſich uͤber die ganze Natur
auszubreiten, das Gehirn nimmt Theil an der allge-
meinen Depreſſion und ſinkt unter einer Laſt von
truͤben Gedanken. So ſind die meiſten Menſchen
waͤhrend ihres ganzen Lebens, Sclaven der Furcht
und der Hoffnung, und laſſen ſich von der einen zur
andern hin und her bewegen.
Eine richtige Anſicht des Lebens und diejenige
Seelenverfaſſung, welche Horaz, der anmuthig phi-
loſophiſche Dichter ſo ſehr anempfiehlt, nicht zu ſtolz
die Segel zu ſpannen, wenn der Wind des Glückes
blaͤst, aber auch nicht im Sturm des Ungluͤcks zu
zaghaft am Ufer zu ſchleichen, koͤnnen uns allein in
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Hartwig, Georg Ludwig: Die physische Erziehung der Kinder. Düsseldorf, 1847, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hartwig_erziehung_1847/110>, abgerufen am 16.02.2025.
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