Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hartwig, Georg Ludwig: Die physische Erziehung der Kinder. Düsseldorf, 1847.

Bild:
<< vorherige Seite

ein Atom im Weltall ist, so muß auch der mächtigste
Erdensohn die engen Grenzen seines Wirkungskreises
erkennen, und zugeben, daß in Bezug auf persönliche
Wichtigkeit, die Distanz zwischen ihm und dem Nie-
drigsten nur gering ist. Schon Sokrates benutzte eine
ähnliche Lehre, um den Kinderstolz des schönen Alci-
biades, der mit den Besitzungen seines Hauses prahlte,
zurechtzuweisen, indem er ihm auf der Erdkarte zeigte,
daß Griechenland nur einen kleinen Theil des Ganzen
ausmache, daß Attica kaum zu finden sei, und daß
der Kreis, worin seine Güter lagen, als zu unbe-
deutend, auf der Karte keinen Namen habe! Jch
wüßte in der That kein besseres Gegengift gegen Stolz
und Hochmuth, als die frühzeitige Erweiterung des
kindlichen Horizonts durch das Studium der Natur.

Man könnte vielleicht einwenden, daß das Be-
schauen ihrer unendlichen Größe entmuthige und das
Selbstgefühl unterdrücke, dieses ist aber ein Jrrthum.

Der Mensch erblickt beim Beschauen der Natur
überall so viele Beweise einer unendlichen Voraussehung
und Güte, daß er sich unter dem Schutz allweiser
Gesetze vollkommen beruhigt fühlt.

Wenn er auch klein und unmächtig ist, und sein
irdisches Dasein, (wer er auch sei) wie der Schatten
eines Traumes vergeht, so ist auf der andern Seite
sein Geist, der ihn befähigt, die Himmelsräume zu
durchmessen und das Walten der Natur zu durchforschen,

ein Atom im Weltall iſt, ſo muß auch der maͤchtigſte
Erdenſohn die engen Grenzen ſeines Wirkungskreiſes
erkennen, und zugeben, daß in Bezug auf perſoͤnliche
Wichtigkeit, die Diſtanz zwiſchen ihm und dem Nie-
drigſten nur gering iſt. Schon Sokrates benutzte eine
aͤhnliche Lehre, um den Kinderſtolz des ſchoͤnen Alci-
biades, der mit den Beſitzungen ſeines Hauſes prahlte,
zurechtzuweiſen, indem er ihm auf der Erdkarte zeigte,
daß Griechenland nur einen kleinen Theil des Ganzen
ausmache, daß Attica kaum zu finden ſei, und daß
der Kreis, worin ſeine Guͤter lagen, als zu unbe-
deutend, auf der Karte keinen Namen habe! Jch
wuͤßte in der That kein beſſeres Gegengift gegen Stolz
und Hochmuth, als die frühzeitige Erweiterung des
kindlichen Horizonts durch das Studium der Natur.

Man koͤnnte vielleicht einwenden, daß das Be-
ſchauen ihrer unendlichen Groͤße entmuthige und das
Selbſtgefühl unterdrücke, dieſes iſt aber ein Jrrthum.

Der Menſch erblickt beim Beſchauen der Natur
uͤberall ſo viele Beweiſe einer unendlichen Vorausſehung
und Guͤte, daß er ſich unter dem Schutz allweiſer
Geſetze vollkommen beruhigt fuͤhlt.

Wenn er auch klein und unmaͤchtig iſt, und ſein
irdiſches Daſein, (wer er auch ſei) wie der Schatten
eines Traumes vergeht, ſo iſt auf der andern Seite
ſein Geiſt, der ihn befaͤhigt, die Himmelsraͤume zu
durchmeſſen und das Walten der Natur zu durchforſchen,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0137" n="127"/>
ein Atom im Weltall i&#x017F;t, &#x017F;o muß auch der ma&#x0364;chtig&#x017F;te<lb/>
Erden&#x017F;ohn die engen Grenzen &#x017F;eines Wirkungskrei&#x017F;es<lb/>
erkennen, und zugeben, daß in Bezug auf per&#x017F;o&#x0364;nliche<lb/>
Wichtigkeit, die Di&#x017F;tanz zwi&#x017F;chen ihm und dem Nie-<lb/>
drig&#x017F;ten nur gering i&#x017F;t. Schon Sokrates benutzte eine<lb/>
a&#x0364;hnliche Lehre, um den Kinder&#x017F;tolz des &#x017F;cho&#x0364;nen Alci-<lb/>
biades, der mit den Be&#x017F;itzungen &#x017F;eines Hau&#x017F;es prahlte,<lb/>
zurechtzuwei&#x017F;en, indem er ihm auf der Erdkarte zeigte,<lb/>
daß Griechenland nur einen kleinen Theil des Ganzen<lb/>
ausmache, daß Attica kaum zu finden &#x017F;ei, und daß<lb/>
der Kreis, worin &#x017F;eine Gu&#x0364;ter lagen, als zu unbe-<lb/>
deutend, auf der Karte keinen Namen habe! Jch<lb/>
wu&#x0364;ßte in der That kein be&#x017F;&#x017F;eres Gegengift gegen Stolz<lb/>
und Hochmuth, als die frühzeitige Erweiterung des<lb/>
kindlichen Horizonts durch das Studium der Natur.</p><lb/>
        <p>Man ko&#x0364;nnte vielleicht einwenden, daß das Be-<lb/>
&#x017F;chauen ihrer unendlichen Gro&#x0364;ße entmuthige und das<lb/>
Selb&#x017F;tgefühl unterdrücke, die&#x017F;es i&#x017F;t aber ein Jrrthum.</p><lb/>
        <p>Der Men&#x017F;ch erblickt beim Be&#x017F;chauen der Natur<lb/>
u&#x0364;berall &#x017F;o viele Bewei&#x017F;e einer unendlichen Voraus&#x017F;ehung<lb/>
und Gu&#x0364;te, daß er &#x017F;ich unter dem Schutz allwei&#x017F;er<lb/>
Ge&#x017F;etze vollkommen beruhigt fu&#x0364;hlt.</p><lb/>
        <p>Wenn er auch klein und unma&#x0364;chtig i&#x017F;t, und &#x017F;ein<lb/>
irdi&#x017F;ches Da&#x017F;ein, (wer er auch &#x017F;ei) wie der Schatten<lb/>
eines Traumes vergeht, &#x017F;o i&#x017F;t auf der andern Seite<lb/>
&#x017F;ein Gei&#x017F;t, der ihn befa&#x0364;higt, die Himmelsra&#x0364;ume zu<lb/>
durchme&#x017F;&#x017F;en und das Walten der Natur zu durchfor&#x017F;chen,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[127/0137] ein Atom im Weltall iſt, ſo muß auch der maͤchtigſte Erdenſohn die engen Grenzen ſeines Wirkungskreiſes erkennen, und zugeben, daß in Bezug auf perſoͤnliche Wichtigkeit, die Diſtanz zwiſchen ihm und dem Nie- drigſten nur gering iſt. Schon Sokrates benutzte eine aͤhnliche Lehre, um den Kinderſtolz des ſchoͤnen Alci- biades, der mit den Beſitzungen ſeines Hauſes prahlte, zurechtzuweiſen, indem er ihm auf der Erdkarte zeigte, daß Griechenland nur einen kleinen Theil des Ganzen ausmache, daß Attica kaum zu finden ſei, und daß der Kreis, worin ſeine Guͤter lagen, als zu unbe- deutend, auf der Karte keinen Namen habe! Jch wuͤßte in der That kein beſſeres Gegengift gegen Stolz und Hochmuth, als die frühzeitige Erweiterung des kindlichen Horizonts durch das Studium der Natur. Man koͤnnte vielleicht einwenden, daß das Be- ſchauen ihrer unendlichen Groͤße entmuthige und das Selbſtgefühl unterdrücke, dieſes iſt aber ein Jrrthum. Der Menſch erblickt beim Beſchauen der Natur uͤberall ſo viele Beweiſe einer unendlichen Vorausſehung und Guͤte, daß er ſich unter dem Schutz allweiſer Geſetze vollkommen beruhigt fuͤhlt. Wenn er auch klein und unmaͤchtig iſt, und ſein irdiſches Daſein, (wer er auch ſei) wie der Schatten eines Traumes vergeht, ſo iſt auf der andern Seite ſein Geiſt, der ihn befaͤhigt, die Himmelsraͤume zu durchmeſſen und das Walten der Natur zu durchforſchen,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hartwig_erziehung_1847
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hartwig_erziehung_1847/137
Zitationshilfe: Hartwig, Georg Ludwig: Die physische Erziehung der Kinder. Düsseldorf, 1847, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hartwig_erziehung_1847/137>, abgerufen am 21.11.2024.