Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hartwig, Georg Ludwig: Die physische Erziehung der Kinder. Düsseldorf, 1847.

Bild:
<< vorherige Seite

darauf zu gehen. Am naturgemäßesten ist es, daß
Kinder erst das Kriechen und dann das Gehen ler-
nen. Um Ersteres zu befördern, fange man an, sie
in dem Alter von 4 bis 5 Monaten täglich einmal
einige Minuten lang auf den Bauch zu legen. Man
wird finden, daß sie dann nicht allein ihre Glieder
bewegen, sondern daß sie sich auch auf dieselben stützen,
ihren Leib und Kopf erheben und Versuche zum Krie-
chen machen. Die Muskeln bekommen auf diese
Weise einen höhern Grad von Kraft und Festigkeit;
das Kind wird bald Versuche machen, sich aufzurich-
ten, und, indem es sich an Tischen und Stühlen
festhält, gehen zu lernen."1)

Jch glaube, daß man auf diesem Wege die Ge-
fahren vermeiden wird, die aus dem zu frühzeitigen
Gehen entspringeu könnten. Wenn das Kind sich
ohne fremde Hülfe aufrichtet und dem Naturdrange
folgt, werden gewiß das Knochengerüste und die
Muskeln schon stark genug sein, das Gewicht des
Körpers zu tragen.

Bringt man aber Gehkörbe, Laufwagen und der-
gleichen Maschinen in Anwendung, ehe die schwachen
Extremitäten der Last gewachsen sind, so ist es kein
Wunder, daß eine so unnatürliche Anstrengung üble
Folgen nach sich zieht. Man muß allerdings die

1) Most, der Mensch in den ersten 7 Lebensjahren.

darauf zu gehen. Am naturgemaͤßeſten iſt es, daß
Kinder erſt das Kriechen und dann das Gehen ler-
nen. Um Erſteres zu befoͤrdern, fange man an, ſie
in dem Alter von 4 bis 5 Monaten taͤglich einmal
einige Minuten lang auf den Bauch zu legen. Man
wird finden, daß ſie dann nicht allein ihre Glieder
bewegen, ſondern daß ſie ſich auch auf dieſelben ſtuͤtzen,
ihren Leib und Kopf erheben und Verſuche zum Krie-
chen machen. Die Muskeln bekommen auf dieſe
Weiſe einen hoͤhern Grad von Kraft und Feſtigkeit;
das Kind wird bald Verſuche machen, ſich aufzurich-
ten, und, indem es ſich an Tiſchen und Stuͤhlen
feſthaͤlt, gehen zu lernen.«1)

Jch glaube, daß man auf dieſem Wege die Ge-
fahren vermeiden wird, die aus dem zu fruͤhzeitigen
Gehen entſpringeu koͤnnten. Wenn das Kind ſich
ohne fremde Huͤlfe aufrichtet und dem Naturdrange
folgt, werden gewiß das Knochengeruͤſte und die
Muskeln ſchon ſtark genug ſein, das Gewicht des
Koͤrpers zu tragen.

Bringt man aber Gehkoͤrbe, Laufwagen und der-
gleichen Maſchinen in Anwendung, ehe die ſchwachen
Extremitaͤten der Laſt gewachſen ſind, ſo iſt es kein
Wunder, daß eine ſo unnatuͤrliche Anſtrengung uͤble
Folgen nach ſich zieht. Man muß allerdings die

1) Most, der Menſch in den erſten 7 Lebensjahren.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0046" n="36"/>
darauf zu gehen. Am naturgema&#x0364;ße&#x017F;ten i&#x017F;t es, daß<lb/>
Kinder er&#x017F;t das Kriechen und dann das Gehen ler-<lb/>
nen. Um Er&#x017F;teres zu befo&#x0364;rdern, fange man an, &#x017F;ie<lb/>
in dem Alter von 4 bis 5 Monaten ta&#x0364;glich einmal<lb/>
einige Minuten lang auf den Bauch zu legen. Man<lb/>
wird finden, daß &#x017F;ie dann nicht allein ihre Glieder<lb/>
bewegen, &#x017F;ondern daß &#x017F;ie &#x017F;ich auch auf die&#x017F;elben &#x017F;tu&#x0364;tzen,<lb/>
ihren Leib und Kopf erheben und Ver&#x017F;uche zum Krie-<lb/>
chen machen. Die Muskeln bekommen auf die&#x017F;e<lb/>
Wei&#x017F;e einen ho&#x0364;hern Grad von Kraft und Fe&#x017F;tigkeit;<lb/>
das Kind wird bald Ver&#x017F;uche machen, &#x017F;ich aufzurich-<lb/>
ten, und, indem es &#x017F;ich an Ti&#x017F;chen und Stu&#x0364;hlen<lb/>
fe&#x017F;tha&#x0364;lt, gehen zu lernen.«<note place="foot" n="1)"><hi rendition="#aq">Most,</hi> der Men&#x017F;ch in den er&#x017F;ten 7 Lebensjahren.</note></p><lb/>
        <p>Jch glaube, daß man auf die&#x017F;em Wege die Ge-<lb/>
fahren vermeiden wird, die aus dem zu fru&#x0364;hzeitigen<lb/>
Gehen ent&#x017F;pringeu ko&#x0364;nnten. Wenn das Kind &#x017F;ich<lb/>
ohne fremde Hu&#x0364;lfe aufrichtet und dem Naturdrange<lb/>
folgt, werden gewiß das Knochengeru&#x0364;&#x017F;te und die<lb/>
Muskeln &#x017F;chon &#x017F;tark genug &#x017F;ein, das Gewicht des<lb/>
Ko&#x0364;rpers zu tragen.</p><lb/>
        <p>Bringt man aber Gehko&#x0364;rbe, Laufwagen und der-<lb/>
gleichen Ma&#x017F;chinen in Anwendung, ehe die &#x017F;chwachen<lb/>
Extremita&#x0364;ten der La&#x017F;t gewach&#x017F;en &#x017F;ind, &#x017F;o i&#x017F;t es kein<lb/>
Wunder, daß eine &#x017F;o unnatu&#x0364;rliche An&#x017F;trengung u&#x0364;ble<lb/>
Folgen nach &#x017F;ich zieht. Man muß allerdings die<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[36/0046] darauf zu gehen. Am naturgemaͤßeſten iſt es, daß Kinder erſt das Kriechen und dann das Gehen ler- nen. Um Erſteres zu befoͤrdern, fange man an, ſie in dem Alter von 4 bis 5 Monaten taͤglich einmal einige Minuten lang auf den Bauch zu legen. Man wird finden, daß ſie dann nicht allein ihre Glieder bewegen, ſondern daß ſie ſich auch auf dieſelben ſtuͤtzen, ihren Leib und Kopf erheben und Verſuche zum Krie- chen machen. Die Muskeln bekommen auf dieſe Weiſe einen hoͤhern Grad von Kraft und Feſtigkeit; das Kind wird bald Verſuche machen, ſich aufzurich- ten, und, indem es ſich an Tiſchen und Stuͤhlen feſthaͤlt, gehen zu lernen.« 1) Jch glaube, daß man auf dieſem Wege die Ge- fahren vermeiden wird, die aus dem zu fruͤhzeitigen Gehen entſpringeu koͤnnten. Wenn das Kind ſich ohne fremde Huͤlfe aufrichtet und dem Naturdrange folgt, werden gewiß das Knochengeruͤſte und die Muskeln ſchon ſtark genug ſein, das Gewicht des Koͤrpers zu tragen. Bringt man aber Gehkoͤrbe, Laufwagen und der- gleichen Maſchinen in Anwendung, ehe die ſchwachen Extremitaͤten der Laſt gewachſen ſind, ſo iſt es kein Wunder, daß eine ſo unnatuͤrliche Anſtrengung uͤble Folgen nach ſich zieht. Man muß allerdings die 1) Most, der Menſch in den erſten 7 Lebensjahren.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hartwig_erziehung_1847
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hartwig_erziehung_1847/46
Zitationshilfe: Hartwig, Georg Ludwig: Die physische Erziehung der Kinder. Düsseldorf, 1847, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hartwig_erziehung_1847/46>, abgerufen am 21.11.2024.