Hauptmann, Gerhart: Der Apostel. Bahnwärter Thiel. Novellistische Studien. Berlin, 1892.Er setzte sich auf eine Bank nieder, die am Es war ein peinigender Zustand, wie er so Er ſetzte ſich auf eine Bank nieder, die am Es war ein peinigender Zuſtand, wie er ſo <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0104" n="90"/> <p>Er ſetzte ſich auf eine Bank nieder, die am<lb/> See ſtand und fing an das Brod zu eſſen, das<lb/> er ſich gekauft hatte. Dann ſchälte er die<lb/> Orange und drückte die kalte Schale an ſeine<lb/> Stirn. Mit Andacht, wie der Chriſt die Hoſtie,<lb/> genoß er die Frucht. Noch war er damit nicht<lb/> zu Ende, als er müde zurückſank. Ein wenig<lb/> Schlaf würde ihm willkommen geweſen ſein.<lb/> Ja, wenn das ſo leicht wäre: Ausruhen. Wie<lb/> ſoll man ruhen, wenn es im Kopfe drinnen<lb/> endlos wühlt und gährt. Wenn das Herz her¬<lb/> aus will, wenn es einen zieht in's Unbeſtimmte,<lb/> — wenn man eine Miſſion hat, die verlangt,<lb/> daß man ſich ihr unterziehe — wenn die<lb/> Menſchen draußen warten und ſich die Köpfe<lb/> zerbrechen. Wie ſoll man ruhen und ſchlafen,<lb/> wo es noth thut zu handeln.</p><lb/> <p>Es war ein peinigender Zuſtand, wie er ſo<lb/> dalag. Fragen und Fragen und nie eine Antwort.<lb/> Graue, quälende Leere, mitunter ſchmerzende<lb/> Stockungen. An einen Ziehbrunnen mußte er<lb/> denken. Man ſteht, zieht mit aller Kraft am<lb/> Seil, aber das Rad, worüber es geht, dreht ſich<lb/> nicht mehr. Man läßt nicht nach mit Zerren<lb/> und Stemmen. Der Eimer ſoll herauf. Man<lb/> dürſtet zum Verſchmachten. Das Rad giebt<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [90/0104]
Er ſetzte ſich auf eine Bank nieder, die am
See ſtand und fing an das Brod zu eſſen, das
er ſich gekauft hatte. Dann ſchälte er die
Orange und drückte die kalte Schale an ſeine
Stirn. Mit Andacht, wie der Chriſt die Hoſtie,
genoß er die Frucht. Noch war er damit nicht
zu Ende, als er müde zurückſank. Ein wenig
Schlaf würde ihm willkommen geweſen ſein.
Ja, wenn das ſo leicht wäre: Ausruhen. Wie
ſoll man ruhen, wenn es im Kopfe drinnen
endlos wühlt und gährt. Wenn das Herz her¬
aus will, wenn es einen zieht in's Unbeſtimmte,
— wenn man eine Miſſion hat, die verlangt,
daß man ſich ihr unterziehe — wenn die
Menſchen draußen warten und ſich die Köpfe
zerbrechen. Wie ſoll man ruhen und ſchlafen,
wo es noth thut zu handeln.
Es war ein peinigender Zuſtand, wie er ſo
dalag. Fragen und Fragen und nie eine Antwort.
Graue, quälende Leere, mitunter ſchmerzende
Stockungen. An einen Ziehbrunnen mußte er
denken. Man ſteht, zieht mit aller Kraft am
Seil, aber das Rad, worüber es geht, dreht ſich
nicht mehr. Man läßt nicht nach mit Zerren
und Stemmen. Der Eimer ſoll herauf. Man
dürſtet zum Verſchmachten. Das Rad giebt
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