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Hauptmann, Gerhart: Der Apostel. Bahnwärter Thiel. Novellistische Studien. Berlin, 1892.

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eine musterhafte Wirtschafterin zu haben, so war
dieser Wunsch in überraschender Weise in Er¬
füllung gegangen. Drei Dinge jedoch hatte er,
ohne es zu wissen, mit seiner Frau in Kauf
genommen: eine harte, herrschsüchtige Gemüts¬
art, Zanksucht und brutale Leidenschaftlichkeit.
Nach Verlauf eines halben Jahres war es orts¬
bekannt, wer in dem Häuschen des Wärters
das Regiment führte. Man bedauerte den
Wärter.

Es sei ein Glück für "das Mensch", daß
sie ein so gutes Schaf wie den Thiel zum
Manne bekommen habe, äußerten die aufge¬
gebrachten Ehemänner; es gäbe welche, bei
denen sie greulich anlaufen würde. So ein
"Tier" müsse doch kirre zu machen sein, meinten
sie, und wenn es nicht anders ginge, denn mit
Schlägen. Durchgewalkt müsse sie werden, aber
dann gleich so, daß es zöge.

Davon aber war Thiel trotz seiner sehnigen
Arme weit entfernt. Das, worüber sich die
Leute ereiferten, schien ihm wenig Kopfzerbrechen
zu machen. Die endlosen Predigten seiner Frau
ließ er gewöhnlich wortlos über sich ergehen,
und wenn er einmal antwortete, so stand das
schleppende Zeitmaß, sowie der leise, kühle Ton

eine muſterhafte Wirtſchafterin zu haben, ſo war
dieſer Wunſch in überraſchender Weiſe in Er¬
füllung gegangen. Drei Dinge jedoch hatte er,
ohne es zu wiſſen, mit ſeiner Frau in Kauf
genommen: eine harte, herrſchſüchtige Gemüts¬
art, Zankſucht und brutale Leidenſchaftlichkeit.
Nach Verlauf eines halben Jahres war es orts¬
bekannt, wer in dem Häuschen des Wärters
das Regiment führte. Man bedauerte den
Wärter.

Es ſei ein Glück für „das Menſch“, daß
ſie ein ſo gutes Schaf wie den Thiel zum
Manne bekommen habe, äußerten die aufge¬
gebrachten Ehemänner; es gäbe welche, bei
denen ſie greulich anlaufen würde. So ein
„Tier“ müſſe doch kirre zu machen ſein, meinten
ſie, und wenn es nicht anders ginge, denn mit
Schlägen. Durchgewalkt müſſe ſie werden, aber
dann gleich ſo, daß es zöge.

Davon aber war Thiel trotz ſeiner ſehnigen
Arme weit entfernt. Das, worüber ſich die
Leute ereiferten, ſchien ihm wenig Kopfzerbrechen
zu machen. Die endloſen Predigten ſeiner Frau
ließ er gewöhnlich wortlos über ſich ergehen,
und wenn er einmal antwortete, ſo ſtand das
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[5/0017] eine muſterhafte Wirtſchafterin zu haben, ſo war dieſer Wunſch in überraſchender Weiſe in Er¬ füllung gegangen. Drei Dinge jedoch hatte er, ohne es zu wiſſen, mit ſeiner Frau in Kauf genommen: eine harte, herrſchſüchtige Gemüts¬ art, Zankſucht und brutale Leidenſchaftlichkeit. Nach Verlauf eines halben Jahres war es orts¬ bekannt, wer in dem Häuschen des Wärters das Regiment führte. Man bedauerte den Wärter. Es ſei ein Glück für „das Menſch“, daß ſie ein ſo gutes Schaf wie den Thiel zum Manne bekommen habe, äußerten die aufge¬ gebrachten Ehemänner; es gäbe welche, bei denen ſie greulich anlaufen würde. So ein „Tier“ müſſe doch kirre zu machen ſein, meinten ſie, und wenn es nicht anders ginge, denn mit Schlägen. Durchgewalkt müſſe ſie werden, aber dann gleich ſo, daß es zöge. Davon aber war Thiel trotz ſeiner ſehnigen Arme weit entfernt. Das, worüber ſich die Leute ereiferten, ſchien ihm wenig Kopfzerbrechen zu machen. Die endloſen Predigten ſeiner Frau ließ er gewöhnlich wortlos über ſich ergehen, und wenn er einmal antwortete, ſo ſtand das ſchleppende Zeitmaß, ſowie der leiſe, kühle Ton

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Zitationshilfe: Hauptmann, Gerhart: Der Apostel. Bahnwärter Thiel. Novellistische Studien. Berlin, 1892, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hauptmann_bahnwaerter_1892/17>, abgerufen am 27.04.2024.