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Hauptmann, Gerhart: Der Apostel. Bahnwärter Thiel. Novellistische Studien. Berlin, 1892.

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den Weiß der Stämme, indes durch die zart¬
grünen Blätterwolken der Birkenkronen ein
sanftes Rieseln ging.

Tobias rupfte Blumen und der Vater schaute
ihm sinnend zu. Zuweilen auch erhob sich der
Blick des letzteren und suchte durch die Lücken
der Blätter den Himmel, der wie eine riesige,
makellos blaue Kristallschale das Goldlicht der
Sonne auffing.

"Vater, ist das der liebe Gott?" fragte
der Kleine plötzlich, auf ein braunes Eichhörn¬
chen deutend, das unter kratzenden Geräuschen
am Stamme einer alleinstehenden Kiefer hinan¬
huschte.

"Närrischer Kerl," war alles, was Thiel
erwidern konnte, während losgerissene Borken¬
stückchen den Stamm herunter vor seine Füße
fielen.

Die Mutter grub noch immer, als Thiel
und Tobias zurückkamen. Die Hälfte des Ackers
war bereits umgeworfen.

Die Bahnzüge folgten einander in kurzen
Zwischenräumen, und Tobias sah sie jedesmal
mit offenem Munde vorübertoben.

Die Mutter selbst hatte ihren Spaß an seinen
drolligen Grimassen.

den Weiß der Stämme, indes durch die zart¬
grünen Blätterwolken der Birkenkronen ein
ſanftes Rieſeln ging.

Tobias rupfte Blumen und der Vater ſchaute
ihm ſinnend zu. Zuweilen auch erhob ſich der
Blick des letzteren und ſuchte durch die Lücken
der Blätter den Himmel, der wie eine rieſige,
makellos blaue Kriſtallſchale das Goldlicht der
Sonne auffing.

„Vater, iſt das der liebe Gott?“ fragte
der Kleine plötzlich, auf ein braunes Eichhörn¬
chen deutend, das unter kratzenden Geräuſchen
am Stamme einer alleinſtehenden Kiefer hinan¬
huſchte.

„Närriſcher Kerl,“ war alles, was Thiel
erwidern konnte, während losgeriſſene Borken¬
ſtückchen den Stamm herunter vor ſeine Füße
fielen.

Die Mutter grub noch immer, als Thiel
und Tobias zurückkamen. Die Hälfte des Ackers
war bereits umgeworfen.

Die Bahnzüge folgten einander in kurzen
Zwiſchenräumen, und Tobias ſah ſie jedesmal
mit offenem Munde vorübertoben.

Die Mutter ſelbſt hatte ihren Spaß an ſeinen
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[43/0055] den Weiß der Stämme, indes durch die zart¬ grünen Blätterwolken der Birkenkronen ein ſanftes Rieſeln ging. Tobias rupfte Blumen und der Vater ſchaute ihm ſinnend zu. Zuweilen auch erhob ſich der Blick des letzteren und ſuchte durch die Lücken der Blätter den Himmel, der wie eine rieſige, makellos blaue Kriſtallſchale das Goldlicht der Sonne auffing. „Vater, iſt das der liebe Gott?“ fragte der Kleine plötzlich, auf ein braunes Eichhörn¬ chen deutend, das unter kratzenden Geräuſchen am Stamme einer alleinſtehenden Kiefer hinan¬ huſchte. „Närriſcher Kerl,“ war alles, was Thiel erwidern konnte, während losgeriſſene Borken¬ ſtückchen den Stamm herunter vor ſeine Füße fielen. Die Mutter grub noch immer, als Thiel und Tobias zurückkamen. Die Hälfte des Ackers war bereits umgeworfen. Die Bahnzüge folgten einander in kurzen Zwiſchenräumen, und Tobias ſah ſie jedesmal mit offenem Munde vorübertoben. Die Mutter ſelbſt hatte ihren Spaß an ſeinen drolligen Grimaſſen.

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Zitationshilfe: Hauptmann, Gerhart: Der Apostel. Bahnwärter Thiel. Novellistische Studien. Berlin, 1892, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hauptmann_bahnwaerter_1892/55>, abgerufen am 09.05.2024.