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Hauptmann, Gerhart: Der Apostel. Bahnwärter Thiel. Novellistische Studien. Berlin, 1892.

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Bisweilen ein hochgiebliges, altväterisches
Häuschen, ein enges, mit Blumen vollgepfropftes
Hausgärtchen, dann wieder eine Wiese oder ein
Weinberg. Der Ruch des weißen Jasmins,
des blauen Flieders und des dunkelbrennenden
Goldlacks erfüllte stellenweise die reine und starke
Luft, das er sie wohlig in sich sog, wie einen
gewürzten Wein.

Er fühlte sich freier nach jedem Schritt.

Wie wenn ein Dorn aus seinem Herzen sich
löste, war ihm zu Sinn, als es ihm das Auge
so still und unwiderstehlich nach außen zog.
Das Dunkel in ihm ward aufgesogen von all
dem Licht. Die Köpfchen des gelben Löwen¬
zahn, gleich unzähligen, kleinen Sonnen in das
sprießende Grün des Wegrandes gelegt, blendeten
ihn fast. Durch den schweren Blüthenregen der
Obstbäume schossen die Sonnenstrahlen schräg
in den wiesigen Grund, ihn mit goldigen Tupfen
überdeckend. So honigsüß dufteten die Birken.
Und so viel Leben, Behaglichkeit und Fleiß sprach
aus dem verlorenen Sumsen früher Bienen.

Sorgfältig vermied er im Aufsteigen irgend
etwas zu beschädigen oder gar zu vernichten,
was Leben hatte. Das kleinste Käferchen wurde
umgangen, die zudringliche Wespe vorsichtig ver¬

Bisweilen ein hochgiebliges, altväteriſches
Häuschen, ein enges, mit Blumen vollgepfropftes
Hausgärtchen, dann wieder eine Wieſe oder ein
Weinberg. Der Ruch des weißen Jasmins,
des blauen Flieders und des dunkelbrennenden
Goldlacks erfüllte ſtellenweiſe die reine und ſtarke
Luft, das er ſie wohlig in ſich ſog, wie einen
gewürzten Wein.

Er fühlte ſich freier nach jedem Schritt.

Wie wenn ein Dorn aus ſeinem Herzen ſich
löſte, war ihm zu Sinn, als es ihm das Auge
ſo ſtill und unwiderſtehlich nach außen zog.
Das Dunkel in ihm ward aufgeſogen von all
dem Licht. Die Köpfchen des gelben Löwen¬
zahn, gleich unzähligen, kleinen Sonnen in das
ſprießende Grün des Wegrandes gelegt, blendeten
ihn faſt. Durch den ſchweren Blüthenregen der
Obſtbäume ſchoſſen die Sonnenſtrahlen ſchräg
in den wieſigen Grund, ihn mit goldigen Tupfen
überdeckend. So honigſüß dufteten die Birken.
Und ſo viel Leben, Behaglichkeit und Fleiß ſprach
aus dem verlorenen Sumſen früher Bienen.

Sorgfältig vermied er im Aufſteigen irgend
etwas zu beſchädigen oder gar zu vernichten,
was Leben hatte. Das kleinſte Käferchen wurde
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[69/0083] Bisweilen ein hochgiebliges, altväteriſches Häuschen, ein enges, mit Blumen vollgepfropftes Hausgärtchen, dann wieder eine Wieſe oder ein Weinberg. Der Ruch des weißen Jasmins, des blauen Flieders und des dunkelbrennenden Goldlacks erfüllte ſtellenweiſe die reine und ſtarke Luft, das er ſie wohlig in ſich ſog, wie einen gewürzten Wein. Er fühlte ſich freier nach jedem Schritt. Wie wenn ein Dorn aus ſeinem Herzen ſich löſte, war ihm zu Sinn, als es ihm das Auge ſo ſtill und unwiderſtehlich nach außen zog. Das Dunkel in ihm ward aufgeſogen von all dem Licht. Die Köpfchen des gelben Löwen¬ zahn, gleich unzähligen, kleinen Sonnen in das ſprießende Grün des Wegrandes gelegt, blendeten ihn faſt. Durch den ſchweren Blüthenregen der Obſtbäume ſchoſſen die Sonnenſtrahlen ſchräg in den wieſigen Grund, ihn mit goldigen Tupfen überdeckend. So honigſüß dufteten die Birken. Und ſo viel Leben, Behaglichkeit und Fleiß ſprach aus dem verlorenen Sumſen früher Bienen. Sorgfältig vermied er im Aufſteigen irgend etwas zu beſchädigen oder gar zu vernichten, was Leben hatte. Das kleinſte Käferchen wurde umgangen, die zudringliche Weſpe vorſichtig ver¬

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Zitationshilfe: Hauptmann, Gerhart: Der Apostel. Bahnwärter Thiel. Novellistische Studien. Berlin, 1892, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hauptmann_bahnwaerter_1892/83>, abgerufen am 04.12.2024.