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Hauptmann, Gerhart: Der Apostel. Bahnwärter Thiel. Novellistische Studien. Berlin, 1892.

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scheucht. Er liebte die Mücken und Fliegen
brüderlich, und zu töten -- auch nur den aller¬
gewöhnlichsten Kohlweißling -- schien ihm das
schwerste aller Verbrechen.

Blumen, halbwelk, von Kinderhänden aus¬
gerauft, hob er vom Wege auf, um sie irgendwo
ins Wasser zu werfen. Er selbst pflückte niemals
Veilchen oder Rosen, um sich damit zu schmücken.
Er verabscheute Sträuße und Kränze; er wollte
alles an seinem Ort.

Ihm war wohl und zufrieden. Nur, daß er
sich selbst nicht sehen konnte, bedauerte er. Er
selbst mit seinem edlen Gange, einsam in der
Frühe auf die Berge steigend: das hätte ein
Motiv abgegeben für einen großen Maler --:
und das Bild stand vor seiner Phantasie.

Dann sah er sich um, ob nicht doch vielleicht
irgend eine menschliche Seele bereits wach sei
und ihn sehen könne. Niemand war zu erblicken.

Uebrigens fing das merkwürdige Schwatzen
-- im Ohr oder gar im Kopf drinnen, er wußte
nicht wo -- wieder an. Seit einigen Wochen
plagte es ihn. Sicherlich waren es Blut¬
stockungen. Man mußte laufen, sich anstrengen,
das Blut in schnelleren Umlauf versetzen --

Und er beschleunigte seine Schritte.

ſcheucht. Er liebte die Mücken und Fliegen
brüderlich, und zu töten — auch nur den aller¬
gewöhnlichſten Kohlweißling — ſchien ihm das
ſchwerſte aller Verbrechen.

Blumen, halbwelk, von Kinderhänden aus¬
gerauft, hob er vom Wege auf, um ſie irgendwo
ins Waſſer zu werfen. Er ſelbſt pflückte niemals
Veilchen oder Roſen, um ſich damit zu ſchmücken.
Er verabſcheute Sträuße und Kränze; er wollte
alles an ſeinem Ort.

Ihm war wohl und zufrieden. Nur, daß er
ſich ſelbſt nicht ſehen konnte, bedauerte er. Er
ſelbſt mit ſeinem edlen Gange, einſam in der
Frühe auf die Berge ſteigend: das hätte ein
Motiv abgegeben für einen großen Maler —:
und das Bild ſtand vor ſeiner Phantaſie.

Dann ſah er ſich um, ob nicht doch vielleicht
irgend eine menſchliche Seele bereits wach ſei
und ihn ſehen könne. Niemand war zu erblicken.

Uebrigens fing das merkwürdige Schwatzen
— im Ohr oder gar im Kopf drinnen, er wußte
nicht wo — wieder an. Seit einigen Wochen
plagte es ihn. Sicherlich waren es Blut¬
ſtockungen. Man mußte laufen, ſich anſtrengen,
das Blut in ſchnelleren Umlauf verſetzen —

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[70/0084] ſcheucht. Er liebte die Mücken und Fliegen brüderlich, und zu töten — auch nur den aller¬ gewöhnlichſten Kohlweißling — ſchien ihm das ſchwerſte aller Verbrechen. Blumen, halbwelk, von Kinderhänden aus¬ gerauft, hob er vom Wege auf, um ſie irgendwo ins Waſſer zu werfen. Er ſelbſt pflückte niemals Veilchen oder Roſen, um ſich damit zu ſchmücken. Er verabſcheute Sträuße und Kränze; er wollte alles an ſeinem Ort. Ihm war wohl und zufrieden. Nur, daß er ſich ſelbſt nicht ſehen konnte, bedauerte er. Er ſelbſt mit ſeinem edlen Gange, einſam in der Frühe auf die Berge ſteigend: das hätte ein Motiv abgegeben für einen großen Maler —: und das Bild ſtand vor ſeiner Phantaſie. Dann ſah er ſich um, ob nicht doch vielleicht irgend eine menſchliche Seele bereits wach ſei und ihn ſehen könne. Niemand war zu erblicken. Uebrigens fing das merkwürdige Schwatzen — im Ohr oder gar im Kopf drinnen, er wußte nicht wo — wieder an. Seit einigen Wochen plagte es ihn. Sicherlich waren es Blut¬ ſtockungen. Man mußte laufen, ſich anſtrengen, das Blut in ſchnelleren Umlauf verſetzen — Und er beſchleunigte ſeine Schritte.

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Zitationshilfe: Hauptmann, Gerhart: Der Apostel. Bahnwärter Thiel. Novellistische Studien. Berlin, 1892, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hauptmann_bahnwaerter_1892/84>, abgerufen am 04.12.2024.