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Hauptmann, Gerhart: Der Apostel. Bahnwärter Thiel. Novellistische Studien. Berlin, 1892.

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Allmählig war er so über die Dächer der
Häuser hinausgekommen. Er stand ruhend still
und hatte alle Pracht unter sich. Eine Er¬
schütterung überkam ihn. Ein Gefühl tiefer
Zerknirschung brannte in ihm, angesichts dieser
wundervollen Tiefe. -- Lange ließ er das ver¬
zückte Auge umherschwelgen: -- über Alles hin,
zu der Spitze des jenseitigen Berges, dessen schrün¬
dige Hänge zartes, wolliges Grün umzog. --
Hinunter, wo die veilchenfarbne Fläche des
Sees den Thalgrund ausfüllte, wo die weichen,
grasigen Uferhügel daraus hervorstiegen, grüne
Polster, überschüttet, so weit die Sehkraft reichte,
mit Blüten und wieder Blüten. Dazwischen
Häuschen, Villen und Dörfer, deren Fenster
elektrisch aufblitzten, deren rote Dächer und Türme
leuchteten.

Nur im Süden, fern, verband ein grauer silbe¬
riger Duft See und Himmel und verdeckte die
Landschaft: aber über ihm, fein und wei߬
leuchtend, auf das blasse Blau der Luft gelegt,
schemenhaft tauchten sie auf -- einem ungeheuren
Silberschatz vergleichbar -- in langer sich ver¬
lierender Reihe: die Spitzen der Schneeberge.

Dort haftete sein Blick -- starr -- lange.
Als es ihn los ließ, blieb nichts festes mehr in

Allmählig war er ſo über die Dächer der
Häuſer hinausgekommen. Er ſtand ruhend ſtill
und hatte alle Pracht unter ſich. Eine Er¬
ſchütterung überkam ihn. Ein Gefühl tiefer
Zerknirſchung brannte in ihm, angeſichts dieſer
wundervollen Tiefe. — Lange ließ er das ver¬
zückte Auge umherſchwelgen: — über Alles hin,
zu der Spitze des jenſeitigen Berges, deſſen ſchrün¬
dige Hänge zartes, wolliges Grün umzog. —
Hinunter, wo die veilchenfarbne Fläche des
Sees den Thalgrund ausfüllte, wo die weichen,
graſigen Uferhügel daraus hervorſtiegen, grüne
Polſter, überſchüttet, ſo weit die Sehkraft reichte,
mit Blüten und wieder Blüten. Dazwiſchen
Häuschen, Villen und Dörfer, deren Fenſter
elektriſch aufblitzten, deren rote Dächer und Türme
leuchteten.

Nur im Süden, fern, verband ein grauer ſilbe¬
riger Duft See und Himmel und verdeckte die
Landſchaft: aber über ihm, fein und wei߬
leuchtend, auf das blaſſe Blau der Luft gelegt,
ſchemenhaft tauchten ſie auf — einem ungeheuren
Silberſchatz vergleichbar — in langer ſich ver¬
lierender Reihe: die Spitzen der Schneeberge.

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[71/0085] Allmählig war er ſo über die Dächer der Häuſer hinausgekommen. Er ſtand ruhend ſtill und hatte alle Pracht unter ſich. Eine Er¬ ſchütterung überkam ihn. Ein Gefühl tiefer Zerknirſchung brannte in ihm, angeſichts dieſer wundervollen Tiefe. — Lange ließ er das ver¬ zückte Auge umherſchwelgen: — über Alles hin, zu der Spitze des jenſeitigen Berges, deſſen ſchrün¬ dige Hänge zartes, wolliges Grün umzog. — Hinunter, wo die veilchenfarbne Fläche des Sees den Thalgrund ausfüllte, wo die weichen, graſigen Uferhügel daraus hervorſtiegen, grüne Polſter, überſchüttet, ſo weit die Sehkraft reichte, mit Blüten und wieder Blüten. Dazwiſchen Häuschen, Villen und Dörfer, deren Fenſter elektriſch aufblitzten, deren rote Dächer und Türme leuchteten. Nur im Süden, fern, verband ein grauer ſilbe¬ riger Duft See und Himmel und verdeckte die Landſchaft: aber über ihm, fein und wei߬ leuchtend, auf das blaſſe Blau der Luft gelegt, ſchemenhaft tauchten ſie auf — einem ungeheuren Silberſchatz vergleichbar — in langer ſich ver¬ lierender Reihe: die Spitzen der Schneeberge. Dort haftete ſein Blick — ſtarr — lange. Als es ihn los ließ, blieb nichts feſtes mehr in

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Zitationshilfe: Hauptmann, Gerhart: Der Apostel. Bahnwärter Thiel. Novellistische Studien. Berlin, 1892, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hauptmann_bahnwaerter_1892/85>, abgerufen am 09.05.2024.