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Hauptmann, Gerhart: Der Apostel. Bahnwärter Thiel. Novellistische Studien. Berlin, 1892.

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ihm drein. Weshalb lief man ihm nach? Wes¬
halb verfolgte man ihn?

Er horchte gespannt und wurde bald inne,
daß er ein Gefolge von Kindern hinter sich
hatte. Durch Kreuz- und Quergehen über kleine
Plätze mit alten Brunnen darauf, absichtlich
umkehrend und die Richtung wechselnd, ver¬
gewisserte er sich, daß der kleine Trupp nicht
von ihm abließ.

Warum verfolgten sie ihn und ließen sich
nicht genügen an seinem Anblick? Erwarteten
sie mehr von ihm? Hofften sie in der That
von ihm etwas Neues, Außergewöhnliches,
Wundervolles zu sehen? Es kam ihm vor, als
spräche aus der eintönigen Hast der Geräusche
ihrer Füße ein starker Glaube, ja mehr als
dies: eine Gewißheit. Und plötzlich ging es
ihm hell auf, weshalb Propheten, wahrhaftige
Menschen voll Größe und Reinheit so oft am
Schluß zu gemeinen Betrügern werden. Er
empfand auf einmal eine brennende Sucht, einen
unwiderstehlichen Trieb, etwas Wundervolles zu
verrichten und die größte Schmach würde ihm
klein erschienen sein im Vergleiche zu dem Ein¬
geständniß seiner Unkraft.

ihm drein. Weshalb lief man ihm nach? Wes¬
halb verfolgte man ihn?

Er horchte geſpannt und wurde bald inne,
daß er ein Gefolge von Kindern hinter ſich
hatte. Durch Kreuz- und Quergehen über kleine
Plätze mit alten Brunnen darauf, abſichtlich
umkehrend und die Richtung wechſelnd, ver¬
gewiſſerte er ſich, daß der kleine Trupp nicht
von ihm abließ.

Warum verfolgten ſie ihn und ließen ſich
nicht genügen an ſeinem Anblick? Erwarteten
ſie mehr von ihm? Hofften ſie in der That
von ihm etwas Neues, Außergewöhnliches,
Wundervolles zu ſehen? Es kam ihm vor, als
ſpräche aus der eintönigen Haſt der Geräuſche
ihrer Füße ein ſtarker Glaube, ja mehr als
dies: eine Gewißheit. Und plötzlich ging es
ihm hell auf, weshalb Propheten, wahrhaftige
Menſchen voll Größe und Reinheit ſo oft am
Schluß zu gemeinen Betrügern werden. Er
empfand auf einmal eine brennende Sucht, einen
unwiderſtehlichen Trieb, etwas Wundervolles zu
verrichten und die größte Schmach würde ihm
klein erſchienen ſein im Vergleiche zu dem Ein¬
geſtändniß ſeiner Unkraft.

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[83/0097] ihm drein. Weshalb lief man ihm nach? Wes¬ halb verfolgte man ihn? Er horchte geſpannt und wurde bald inne, daß er ein Gefolge von Kindern hinter ſich hatte. Durch Kreuz- und Quergehen über kleine Plätze mit alten Brunnen darauf, abſichtlich umkehrend und die Richtung wechſelnd, ver¬ gewiſſerte er ſich, daß der kleine Trupp nicht von ihm abließ. Warum verfolgten ſie ihn und ließen ſich nicht genügen an ſeinem Anblick? Erwarteten ſie mehr von ihm? Hofften ſie in der That von ihm etwas Neues, Außergewöhnliches, Wundervolles zu ſehen? Es kam ihm vor, als ſpräche aus der eintönigen Haſt der Geräuſche ihrer Füße ein ſtarker Glaube, ja mehr als dies: eine Gewißheit. Und plötzlich ging es ihm hell auf, weshalb Propheten, wahrhaftige Menſchen voll Größe und Reinheit ſo oft am Schluß zu gemeinen Betrügern werden. Er empfand auf einmal eine brennende Sucht, einen unwiderſtehlichen Trieb, etwas Wundervolles zu verrichten und die größte Schmach würde ihm klein erſchienen ſein im Vergleiche zu dem Ein¬ geſtändniß ſeiner Unkraft.

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Zitationshilfe: Hauptmann, Gerhart: Der Apostel. Bahnwärter Thiel. Novellistische Studien. Berlin, 1892, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hauptmann_bahnwaerter_1892/97>, abgerufen am 09.05.2024.