Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hauptmann, Gerhart: Der Apostel. Bahnwärter Thiel. Novellistische Studien. Berlin, 1892.

Bild:
<< vorherige Seite

ihm drein. Weshalb lief man ihm nach? Wes¬
halb verfolgte man ihn?

Er horchte gespannt und wurde bald inne,
daß er ein Gefolge von Kindern hinter sich
hatte. Durch Kreuz- und Quergehen über kleine
Plätze mit alten Brunnen darauf, absichtlich
umkehrend und die Richtung wechselnd, ver¬
gewisserte er sich, daß der kleine Trupp nicht
von ihm abließ.

Warum verfolgten sie ihn und ließen sich
nicht genügen an seinem Anblick? Erwarteten
sie mehr von ihm? Hofften sie in der That
von ihm etwas Neues, Außergewöhnliches,
Wundervolles zu sehen? Es kam ihm vor, als
spräche aus der eintönigen Hast der Geräusche
ihrer Füße ein starker Glaube, ja mehr als
dies: eine Gewißheit. Und plötzlich ging es
ihm hell auf, weshalb Propheten, wahrhaftige
Menschen voll Größe und Reinheit so oft am
Schluß zu gemeinen Betrügern werden. Er
empfand auf einmal eine brennende Sucht, einen
unwiderstehlichen Trieb, etwas Wundervolles zu
verrichten und die größte Schmach würde ihm
klein erschienen sein im Vergleiche zu dem Ein¬
geständniß seiner Unkraft.

ihm drein. Weshalb lief man ihm nach? Wes¬
halb verfolgte man ihn?

Er horchte geſpannt und wurde bald inne,
daß er ein Gefolge von Kindern hinter ſich
hatte. Durch Kreuz- und Quergehen über kleine
Plätze mit alten Brunnen darauf, abſichtlich
umkehrend und die Richtung wechſelnd, ver¬
gewiſſerte er ſich, daß der kleine Trupp nicht
von ihm abließ.

Warum verfolgten ſie ihn und ließen ſich
nicht genügen an ſeinem Anblick? Erwarteten
ſie mehr von ihm? Hofften ſie in der That
von ihm etwas Neues, Außergewöhnliches,
Wundervolles zu ſehen? Es kam ihm vor, als
ſpräche aus der eintönigen Haſt der Geräuſche
ihrer Füße ein ſtarker Glaube, ja mehr als
dies: eine Gewißheit. Und plötzlich ging es
ihm hell auf, weshalb Propheten, wahrhaftige
Menſchen voll Größe und Reinheit ſo oft am
Schluß zu gemeinen Betrügern werden. Er
empfand auf einmal eine brennende Sucht, einen
unwiderſtehlichen Trieb, etwas Wundervolles zu
verrichten und die größte Schmach würde ihm
klein erſchienen ſein im Vergleiche zu dem Ein¬
geſtändniß ſeiner Unkraft.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0097" n="83"/>
ihm drein. Weshalb lief man ihm nach? Wes¬<lb/>
halb verfolgte man ihn?</p><lb/>
          <p>Er horchte ge&#x017F;pannt und wurde bald inne,<lb/>
daß er ein Gefolge von Kindern hinter &#x017F;ich<lb/>
hatte. Durch Kreuz- und Quergehen über kleine<lb/>
Plätze mit alten Brunnen darauf, ab&#x017F;ichtlich<lb/>
umkehrend und die Richtung wech&#x017F;elnd, ver¬<lb/>
gewi&#x017F;&#x017F;erte er &#x017F;ich, daß der kleine Trupp nicht<lb/>
von ihm abließ.</p><lb/>
          <p>Warum verfolgten &#x017F;ie ihn und ließen &#x017F;ich<lb/>
nicht genügen an &#x017F;einem Anblick? Erwarteten<lb/>
&#x017F;ie mehr von ihm? Hofften &#x017F;ie in der That<lb/>
von ihm etwas Neues, Außergewöhnliches,<lb/>
Wundervolles zu &#x017F;ehen? Es kam ihm vor, als<lb/>
&#x017F;präche aus der eintönigen Ha&#x017F;t der Geräu&#x017F;che<lb/>
ihrer Füße ein &#x017F;tarker Glaube, ja mehr als<lb/>
dies: eine Gewißheit. Und plötzlich ging es<lb/>
ihm hell auf, weshalb Propheten, wahrhaftige<lb/>
Men&#x017F;chen voll Größe und Reinheit &#x017F;o oft am<lb/>
Schluß zu gemeinen Betrügern werden. Er<lb/>
empfand auf einmal eine brennende Sucht, einen<lb/>
unwider&#x017F;tehlichen Trieb, etwas Wundervolles zu<lb/>
verrichten und die größte Schmach würde ihm<lb/>
klein er&#x017F;chienen &#x017F;ein im Vergleiche zu dem Ein¬<lb/>
ge&#x017F;tändniß &#x017F;einer Unkraft.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[83/0097] ihm drein. Weshalb lief man ihm nach? Wes¬ halb verfolgte man ihn? Er horchte geſpannt und wurde bald inne, daß er ein Gefolge von Kindern hinter ſich hatte. Durch Kreuz- und Quergehen über kleine Plätze mit alten Brunnen darauf, abſichtlich umkehrend und die Richtung wechſelnd, ver¬ gewiſſerte er ſich, daß der kleine Trupp nicht von ihm abließ. Warum verfolgten ſie ihn und ließen ſich nicht genügen an ſeinem Anblick? Erwarteten ſie mehr von ihm? Hofften ſie in der That von ihm etwas Neues, Außergewöhnliches, Wundervolles zu ſehen? Es kam ihm vor, als ſpräche aus der eintönigen Haſt der Geräuſche ihrer Füße ein ſtarker Glaube, ja mehr als dies: eine Gewißheit. Und plötzlich ging es ihm hell auf, weshalb Propheten, wahrhaftige Menſchen voll Größe und Reinheit ſo oft am Schluß zu gemeinen Betrügern werden. Er empfand auf einmal eine brennende Sucht, einen unwiderſtehlichen Trieb, etwas Wundervolles zu verrichten und die größte Schmach würde ihm klein erſchienen ſein im Vergleiche zu dem Ein¬ geſtändniß ſeiner Unkraft.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hauptmann_bahnwaerter_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hauptmann_bahnwaerter_1892/97
Zitationshilfe: Hauptmann, Gerhart: Der Apostel. Bahnwärter Thiel. Novellistische Studien. Berlin, 1892, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hauptmann_bahnwaerter_1892/97>, abgerufen am 11.12.2024.