Hauptmann, Gerhart: Die Weber. Berlin, 1892.
Fer was hätt ich denn hier gesessen -- und Schemmel getreten uf Mord vierzig und mehr Jahr? und hätte ruhig zugesehn, wie der dort drüben in Hoffart und Schwelgerei lebt -- und Gold macht aus mein'n Hunger und Kummer. Fer was denn? Weil ich ne Hoffnung hab. Jch hab was in aller der Noth. (Durch's Fenster weisend.) Du hast hier deine Parte -- ich driben in jener Welt: das hab ich gedacht. Und ich laß mich viertheeln -- ich hab ne Gewißheet. Es ist uns verheißen. Gericht wird gehalten: aber nich mir sein Richter, sondern: mein is die Racha, spricht der Herr, unser Gott. Eine Stimme (durchs Fenster). Weber raus! Der alte Hise. -- Vor mir -- macht was dr lustig seid. (Er steigt in den Webstuhl.) Mich werd'r woll missen drinne lassen. Gottlieb (nach kurzem Kampf). Jch wer gehn und wer arbeiten. Mag kommen, was will. (Ab. Man hört das Weberlied, vielhundertstimmig und in nächster Nähe gesungen: es klingt wie ein dumpfes monotones Wehklagen.) Stimmen der Hausbewohner (im "Hause".) "O jemersch, jemersch, nu kommen se aber wie de Ameisen." -- "Wo sein ock die vielen Weber her?" -- "Schipp ock nich, ich will ooch was sehn." -- "Nu sieh ock die lange Latte, die de vorne weg geht." -- "Ach! ach! nu kommen se knippeldicke!" Hornig (tritt unter die Leute im "Hause"). Gellt, das is amal a so a Teater? So was sieht man nich alle Tage. Jhr sollt't ock ruf kommen zum oberschten Dittriche. Da haben se schonn wieder a Ding gemacht, das an Art hat. Der hat kee Haus nimehr, keene Fabricke nimehr -- keen Weinkeller nimehr, kee garnischte mehr. Die Flaschen, die saufen se aus ... da nehmen se sich gar nich erscht amal Zeit de Froppen rauszureißen. Eens, zwee, drei, sein de Hälse runter. Ob se sich 's Maul ufschneiden mit a Scherben oder nich. Manche
Fer was hätt ich denn hier geſeſſen — und Schemmel getreten uf Mord vierzig und mehr Jahr? und hätte ruhig zugeſehn, wie der dort drüben in Hoffart und Schwelgerei lebt — und Gold macht aus mein’n Hunger und Kummer. Fer was denn? Weil ich ne Hoffnung hab. Jch hab was in aller der Noth. (Durch’s Fenſter weiſend.) Du haſt hier deine Parte — ich driben in jener Welt: das hab ich gedacht. Und ich laß mich viertheeln — ich hab ne Gewißheet. Es iſt uns verheißen. Gericht wird gehalten: aber nich mir ſein Richter, ſondern: mein is die Racha, ſpricht der Herr, unſer Gott. Eine Stimme (durchs Fenſter). Weber raus! Der alte Hiſe. — Vor mir — macht was dr luſtig ſeid. (Er ſteigt in den Webſtuhl.) Mich werd’r woll miſſen drinne laſſen. Gottlieb (nach kurzem Kampf). Jch wer gehn und wer arbeiten. Mag kommen, was will. (Ab. Man hört das Weberlied, vielhundertſtimmig und in nächſter Nähe geſungen: es klingt wie ein dumpfes monotones Wehklagen.) Stimmen der Hausbewohner (im „Hauſe“.) „O jemerſch, jemerſch, nu kommen ſe aber wie de Ameiſen.“ — „Wo ſein ock die vielen Weber her?“ — „Schipp ock nich, ich will ooch was ſehn.“ — „Nu ſieh ock die lange Latte, die de vorne weg geht.“ — „Ach! ach! nu kommen ſe knippeldicke!“ Hornig (tritt unter die Leute im „Hauſe“). Gellt, das is amal a ſo a Teater? So was ſieht man nich alle Tage. Jhr ſollt’t ock ruf kommen zum oberſchten Dittriche. Da haben ſe ſchonn wieder a Ding gemacht, das an Art hat. Der hat kee Haus nimehr, keene Fabricke nimehr — keen Weinkeller nimehr, kee garniſchte mehr. Die Flaſchen, die ſaufen ſe aus … da nehmen ſe ſich gar nich erſcht amal Zeit de Froppen rauszureißen. Eens, zwee, drei, ſein de Hälſe runter. Ob ſe ſich ’s Maul ufſchneiden mit a Scherben oder nich. Manche <TEI> <text> <body> <div n="1"> <sp who="#HISE"> <p><pb facs="#f0120" n="107"/> Fer was hätt ich denn hier geſeſſen — und Schemmel<lb/> getreten uf Mord vierzig und mehr Jahr? und<lb/> hätte ruhig zugeſehn, wie der dort drüben in Hoffart<lb/> und Schwelgerei lebt — und Gold macht aus mein’n<lb/> Hunger und Kummer. Fer was denn? Weil ich<lb/> ne Hoffnung hab. Jch hab was in aller der Noth.</p><lb/> <stage>(Durch’s Fenſter weiſend.)</stage> <p>Du haſt <hi rendition="#g">hier</hi> deine Parte — ich<lb/> driben in jener Welt: das hab ich gedacht. Und ich<lb/> laß mich viertheeln — ich hab ne Gewißheet. Es iſt<lb/> uns verheißen. Gericht wird gehalten: aber nich mir<lb/> ſein Richter, ſondern: mein is die Racha, ſpricht der<lb/> Herr, unſer Gott.</p> </sp><lb/> <sp who="#STIM"> <speaker> <hi rendition="#g">Eine Stimme</hi> </speaker> <stage>(durchs Fenſter).</stage> <p>Weber raus!</p> </sp><lb/> <sp who="#HISE"> <speaker><hi rendition="#g">Der alte Hiſe</hi>.</speaker> <p>— Vor mir — macht was dr<lb/> luſtig ſeid.</p> <stage>(Er ſteigt in den Webſtuhl.)</stage> <p>Mich werd’r woll<lb/> miſſen drinne laſſen.</p> </sp><lb/> <sp who="#GOT"> <speaker> <hi rendition="#g">Gottlieb</hi> </speaker> <stage>(nach kurzem Kampf).</stage> <p>Jch wer gehn und<lb/> wer arbeiten. Mag kommen, was will.</p> <stage>(Ab. Man hört das<lb/> Weberlied, vielhundertſtimmig und in nächſter Nähe geſungen: es klingt wie ein<lb/> dumpfes monotones Wehklagen.)</stage> </sp><lb/> <sp who="#STIMHAUS"> <speaker> <hi rendition="#g">Stimmen der Hausbewohner</hi> </speaker> <stage>(im „Hauſe“.)</stage> <p>„O<lb/> jemerſch, jemerſch, nu kommen ſe aber wie de Ameiſen.“<lb/> — „Wo ſein ock die vielen Weber her?“ — „Schipp<lb/> ock nich, ich will ooch was ſehn.“ — „Nu ſieh ock die<lb/> lange Latte, die de vorne weg geht.“ — „Ach! ach!<lb/> nu kommen ſe knippeldicke!“</p> </sp><lb/> <sp who="#HOR"> <speaker> <hi rendition="#g">Hornig</hi> </speaker> <stage>(tritt unter die Leute im „Hauſe“).</stage> <p>Gellt, das is<lb/> amal a ſo a Teater? So was ſieht man nich alle Tage.<lb/> Jhr ſollt’t ock ruf kommen zum oberſchten Dittriche.<lb/> Da haben ſe ſchonn wieder a Ding gemacht, das an<lb/> Art hat. Der hat kee Haus nimehr, keene Fabricke<lb/> nimehr — keen Weinkeller nimehr, kee garniſchte mehr.<lb/> Die Flaſchen, die ſaufen ſe aus … da nehmen ſe ſich<lb/> gar nich erſcht amal Zeit de Froppen rauszureißen.<lb/> Eens, zwee, drei, ſein de Hälſe runter. Ob ſe ſich ’s<lb/> Maul ufſchneiden mit a Scherben oder nich. Manche<lb/></p> </sp> </div> </body> </text> </TEI> [107/0120]
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und Schwelgerei lebt — und Gold macht aus mein’n
Hunger und Kummer. Fer was denn? Weil ich
ne Hoffnung hab. Jch hab was in aller der Noth.
(Durch’s Fenſter weiſend.) Du haſt hier deine Parte — ich
driben in jener Welt: das hab ich gedacht. Und ich
laß mich viertheeln — ich hab ne Gewißheet. Es iſt
uns verheißen. Gericht wird gehalten: aber nich mir
ſein Richter, ſondern: mein is die Racha, ſpricht der
Herr, unſer Gott.
Eine Stimme (durchs Fenſter). Weber raus!
Der alte Hiſe. — Vor mir — macht was dr
luſtig ſeid. (Er ſteigt in den Webſtuhl.) Mich werd’r woll
miſſen drinne laſſen.
Gottlieb (nach kurzem Kampf). Jch wer gehn und
wer arbeiten. Mag kommen, was will. (Ab. Man hört das
Weberlied, vielhundertſtimmig und in nächſter Nähe geſungen: es klingt wie ein
dumpfes monotones Wehklagen.)
Stimmen der Hausbewohner (im „Hauſe“.) „O
jemerſch, jemerſch, nu kommen ſe aber wie de Ameiſen.“
— „Wo ſein ock die vielen Weber her?“ — „Schipp
ock nich, ich will ooch was ſehn.“ — „Nu ſieh ock die
lange Latte, die de vorne weg geht.“ — „Ach! ach!
nu kommen ſe knippeldicke!“
Hornig (tritt unter die Leute im „Hauſe“). Gellt, das is
amal a ſo a Teater? So was ſieht man nich alle Tage.
Jhr ſollt’t ock ruf kommen zum oberſchten Dittriche.
Da haben ſe ſchonn wieder a Ding gemacht, das an
Art hat. Der hat kee Haus nimehr, keene Fabricke
nimehr — keen Weinkeller nimehr, kee garniſchte mehr.
Die Flaſchen, die ſaufen ſe aus … da nehmen ſe ſich
gar nich erſcht amal Zeit de Froppen rauszureißen.
Eens, zwee, drei, ſein de Hälſe runter. Ob ſe ſich ’s
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