Staats und Gelehrte Zeitung des Hamburgischen unpartheiischen Correspondenten. Nr. 137, Hamburg, 12. Juni 1832.[Spaltenumbruch]
publikaner Raspail ist erschossen worden. Das 3 Uhr Nachmittags. Der Kampf ist wüthender als je; in den Straßen Paris, den 5 Juni. (Aus französischen Blättern.) Die Nachrichten aus West-Frankreich sind von der [Spaltenumbruch]
publikaner Raspail iſt erſchoſſen worden. Das 3 Uhr Nachmittags. Der Kampf iſt wüthender als je; in den Straßen Paris, den 5 Juni. (Aus franzöſiſchen Blättern.) Die Nachrichten aus Weſt-Frankreich ſind von der <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div type="jPoliticalNews"> <div type="jArticle"> <p><pb facs="#f0004" n="[4]"/><cb/> publikaner Raspail iſt erſchoſſen worden. Das<lb/> ſchwere Geſchütz donnert gegen die Barricaden.</p><lb/> <p> <hi rendition="#et">3 Uhr Nachmittags.</hi> </p><lb/> <p>Der Kampf iſt wüthender als je; in den Straßen<lb/> St. Denis und A<supplied cert="high">u</supplied>bry le Boucher muß ſich das Mili-<lb/> tär fortwährend der Kanonen bedienen, da das Volk<lb/> immer aus den Fenſtern feuert und den Truppen vie-<lb/> len Abbruch thut. Man ſieht eine Menge bewaffne-<lb/> ter Knaben auf den Straßen. Der König iſt wie-<lb/> der nach den Tuilerien zurückgekehrt. Paris gleicht<lb/> einer mit Sturm genommenen Stadt, und die Vor-<lb/> ſtädte ſehen wie ein Schlachtfeld aus. Ungeachtet<lb/> ihrer geringen Anzahl halten die Rebellen aufs Mu-<lb/> thigſte Stand, obgleich ſie rechts und links in Hau-<lb/> fen fallen. Die Tuilerieen und das Palais-Royal<lb/> ſind geſchloſſen. Das Gerücht geht, auch die Car-<lb/> liſten würden heute Abend aufſtehen und ſich den<lb/> Republikanern anſchließen. — Die Regierung hat<lb/> für alle Fälle ihre Maaßregeln getroffen. Heute<lb/> früh erſchien eine Proclamation des Grafen v. Mon-<lb/> talivet, worin die Einwohner von Paris aufgefor-<lb/> dert werden, ſich gegen Despotismus und Anarchie,<lb/> gegen Carlismus und Republikanismus zu vereini-<lb/> gen. Er erinnert die Franzoſen, daß die Repu-<lb/> blik ihre Familien decimirt habe, und rief ſie<lb/> auf, ſich der dreifarbigen Fahne gegen die weiße<lb/> und die blutrothe anzuſchließen. “Die dreifarbige<lb/> Fahne — heißt es am Schluſſe — die noch vor wenigen<lb/> Tagen die Contrerevolution in der Vendee nieder-<lb/> geworfen, wird auch über die Anarchie triumphiren.<lb/> Der König eurer Wahl iſt ſo eben unter euch ein-<lb/> getroffen, ſeine Stirn mit jenen Nationalfarben<lb/> geſchmückt, die ihm ſtets eben ſo theuer geweſen, als<lb/> euch. Setzt das Vertrauen auf ihn, das er auf euch<lb/> ſetzt, und von dem conſtitutionellen Frankreich un-<lb/> terſtützt, ſtrecket ſeine aufrühreriſchen Feinde zu den<lb/> Füßen des Juli-Thrones nieder!”</p> </div><lb/> <div type="jArticle"> <dateline> <hi rendition="#c"><hi rendition="#fr">Paris,</hi> den 5 Juni.</hi> </dateline><lb/> <p> <hi rendition="#c">(Aus franzöſiſchen Blättern.)</hi> </p><lb/> <p>Die Nachrichten aus <hi rendition="#fr">Weſt-Frankreich</hi> ſind von der<lb/> höchſten Wichtigkeit, und was auch die miniſteriellen<lb/> Blätter ſagen mögen, ſo ſcheint doch die Herſtellung<lb/> der Ruhe daſelbſt mit großen Schwierigkeiten ver-<lb/> knüpft zu ſeyn, wie auch aus den energiſchen Maaßre-<lb/> geln hervorgeht, welche die Regierung neuerdings ge-<lb/> troffen hat. 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H. durch die Emiſſäre die fal-<lb/> ſcheſten Berichte über dieſe Departements erhalten<lb/> hat. Es iſt daher nöthig, daß Jemand, auf den<lb/> man feſt zählen kann, ſich freimüthig darüber aus-<lb/> ſpreche. Die Bewaffnung iſt nicht der Art, daß<lb/> man mit Vortheil den Krieg führen könnte; die<lb/> Flinten ſtammen noch aus der erſten Revolution<lb/><cb/> her und taugen nichts mehr; es fehlt an Pulver,<lb/> das man ſich nur mit Mühe pfundweiſe hat ver-<lb/> ſchaffen können; und auch das iſt zum Theil, weil<lb/> es hat verſteckt werden müſſen, verdorben. 1815<lb/> konnten wir auf Englands Beiſtand zählen; jeder-<lb/> mann ſieht ein, daß wir nichts ausrichten können,<lb/> wenn nicht die Armeen Europa’s Philipp zwingen,<lb/> ſeine Linientruppen aus der Vendee zurückzuziehen.<lb/> Die Royaliſten allein können die Legitimität nicht<lb/> herſtellen. 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Jeder partielle Verſuch giebt den<lb/> Feinden mehr Kraft; jetzt halten wir 50,000 Mann<lb/> im Schach, zeigen wir uns aber, ſo verrathen wir<lb/> unſre Schwäche. Darum müſſen wir warten, bis<lb/> die Fremden an den Gränzen erſcheinen, oder die<lb/> Anarchie in Paris Philipp und ſeine Familie ver-<lb/> nichtet hat, oder die Republik proclamirt iſt, was<lb/> bei der Verzweiflung des Volkes vielleicht ſchon in<lb/> dieſem Winter geſchieht.” — Der <hi rendition="#fr">Courrier</hi> theilt,<lb/> nachdem er bemerkt, der Bürgerkrieg ſey förmlich<lb/> organiſirt, und der Aufſtand für ganz Frankreich auf<lb/> den 3 und 4 Juni angeſetzt, eine Reihe wichtiger Do-<lb/> cumente mit, über welche der <hi rendition="#fr">Moniteur</hi> noch zu<lb/> ſchweigen für gut befunden hat; unter dieſen befinden<lb/> ſich folgende Briefe der Herzogin v. Berri: 1) “Jch<lb/> kenne, mein lieber Coislin, den Eifer, den Sie<lb/> und die Jhrigen für die Sache meines Sohnes zei-<lb/> gen, und rechne auf Sie, wie Sie auf meine Dank-<lb/> barkeit rechnen können. 14 Dec. 1831.” 2) “Meine<lb/> Freunde mögen ſich beruhigen, ich bin in Frankreich,<lb/> und bald in der Vendee. Von da werden Sie be-<lb/> ſtimmte Befehle erhalten, und zwar noch vor dem<lb/> 25 d. M. Halten Sie ſich bereit. Jm Süden war<lb/> es nur ein Jrrthum, ein Mißgriff. Jch bin mit<lb/> ſeiner Stimmung, ſeinen Verſprechungen zufrieden.<lb/> Meine treuen Provinzen des Weſtens erfüllen immer<lb/> die ihrigen. Jn Kurzem wird Frankreich ſeine alte<lb/> Würde, ſein altes Glück wieder erringen. 15 Mai<lb/> 1832. Unterz.: <hi rendition="#fr">M. C. R.</hi>” 3) “Die Verhältniſſe,<lb/> welche Sie mir in Jhrer Note ſchildern, betrüben<lb/> mich. Sie erinnern ſich, daß Jhre Depeſchen, und<lb/> eine geheiligte Pflicht mich beſtimmt haben, mich<lb/> der Loyalität dieſer Provinzen anzuvertrauen. Jch<lb/> wollte am 24 d. die Waffen ergreifen, weil ich von<lb/> Jhrer Mitwirkung überzeugt war, und die Nachrich-<lb/> ten aus dem Süden und von andern Seiten mich be-<lb/> ſtimmten. Jch würde meine Sache für immer ver-<lb/> loren halten, wenn ich das Land verlaſſen müßte,<lb/> und ich müßte es, wenn man nicht ſchnell zu den<lb/> Waffen greift. Dann bleibt mir nichts übrig, als<lb/> fern von Frankreich darüber zu weinen, daß ich zu<lb/> ſehr auf die gerechnet hatte, um deretwillen ich al-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [[4]/0004]
publikaner Raspail iſt erſchoſſen worden. Das
ſchwere Geſchütz donnert gegen die Barricaden.
3 Uhr Nachmittags.
Der Kampf iſt wüthender als je; in den Straßen
St. Denis und Aubry le Boucher muß ſich das Mili-
tär fortwährend der Kanonen bedienen, da das Volk
immer aus den Fenſtern feuert und den Truppen vie-
len Abbruch thut. Man ſieht eine Menge bewaffne-
ter Knaben auf den Straßen. Der König iſt wie-
der nach den Tuilerien zurückgekehrt. Paris gleicht
einer mit Sturm genommenen Stadt, und die Vor-
ſtädte ſehen wie ein Schlachtfeld aus. Ungeachtet
ihrer geringen Anzahl halten die Rebellen aufs Mu-
thigſte Stand, obgleich ſie rechts und links in Hau-
fen fallen. Die Tuilerieen und das Palais-Royal
ſind geſchloſſen. Das Gerücht geht, auch die Car-
liſten würden heute Abend aufſtehen und ſich den
Republikanern anſchließen. — Die Regierung hat
für alle Fälle ihre Maaßregeln getroffen. Heute
früh erſchien eine Proclamation des Grafen v. Mon-
talivet, worin die Einwohner von Paris aufgefor-
dert werden, ſich gegen Despotismus und Anarchie,
gegen Carlismus und Republikanismus zu vereini-
gen. Er erinnert die Franzoſen, daß die Repu-
blik ihre Familien decimirt habe, und rief ſie
auf, ſich der dreifarbigen Fahne gegen die weiße
und die blutrothe anzuſchließen. “Die dreifarbige
Fahne — heißt es am Schluſſe — die noch vor wenigen
Tagen die Contrerevolution in der Vendee nieder-
geworfen, wird auch über die Anarchie triumphiren.
Der König eurer Wahl iſt ſo eben unter euch ein-
getroffen, ſeine Stirn mit jenen Nationalfarben
geſchmückt, die ihm ſtets eben ſo theuer geweſen, als
euch. Setzt das Vertrauen auf ihn, das er auf euch
ſetzt, und von dem conſtitutionellen Frankreich un-
terſtützt, ſtrecket ſeine aufrühreriſchen Feinde zu den
Füßen des Juli-Thrones nieder!”
Paris, den 5 Juni.
(Aus franzöſiſchen Blättern.)
Die Nachrichten aus Weſt-Frankreich ſind von der
höchſten Wichtigkeit, und was auch die miniſteriellen
Blätter ſagen mögen, ſo ſcheint doch die Herſtellung
der Ruhe daſelbſt mit großen Schwierigkeiten ver-
knüpft zu ſeyn, wie auch aus den energiſchen Maaßre-
geln hervorgeht, welche die Regierung neuerdings ge-
troffen hat. Bereits vorgeſtern erklärte der Moniteur,
daß die angeordneten Hausſuchungen zur Entdeckung
wichtiger Papiere geführt hätten, aus denen her-
vorginge, daß die Herzogin v. Berri und der vor-
malige Marſchall v. Bourmont ſich wirklich in
der Vendee befänden. Die Regierung hat demnach
Befehl ertheilt, ihre Spuren aufs Nachdrücklichſte
zu verfolgen, und beide nebſt ihren Reiſegefährten
zur Haft zu bringen. Unter den Papieren befindet
ſich eine Note, welche ein Vendeer (wie es ſcheint,
ſchon im vorigen Herbſte) an Madame entworfen
hat; man findet darin die Drohungen, den Haß,
die Anmaßungen der Partei, aber auch merkwürdige
Eingeſtändniſſe ihrer Schwäche. “Die verſchiedenen
Befehle — heißt es darin — welche im Namen von
Madame nach dem Weſten gebracht worden ſind, be-
weiſen, daß J. K. H. durch die Emiſſäre die fal-
ſcheſten Berichte über dieſe Departements erhalten
hat. Es iſt daher nöthig, daß Jemand, auf den
man feſt zählen kann, ſich freimüthig darüber aus-
ſpreche. Die Bewaffnung iſt nicht der Art, daß
man mit Vortheil den Krieg führen könnte; die
Flinten ſtammen noch aus der erſten Revolution
her und taugen nichts mehr; es fehlt an Pulver,
das man ſich nur mit Mühe pfundweiſe hat ver-
ſchaffen können; und auch das iſt zum Theil, weil
es hat verſteckt werden müſſen, verdorben. 1815
konnten wir auf Englands Beiſtand zählen; jeder-
mann ſieht ein, daß wir nichts ausrichten können,
wenn nicht die Armeen Europa’s Philipp zwingen,
ſeine Linientruppen aus der Vendee zurückzuziehen.
Die Royaliſten allein können die Legitimität nicht
herſtellen. Wir werden daher auch jetzt einem un-
zeitigen Befehle gehorchen, und einige mit überna-
türlichem Muthe begabte Menſchen um uns verſam-
meln; aber das ganze Land wird nur aufſtehen,
wenn es durch die Waffen der fremden Mächte un-
terſtützt wird. J. K. H. laſſe ſich nicht hinreißen,
ſonſt exiſtirt binnen einem Monate keine Vendee
mehr, ſonſt werden die Anführer gefangen oder ge-
tödtet, und die letzte Zuflucht der Monarchie iſt ver-
nichtet. Vielleicht wird eine Zeit kommen, wo
man Alles mit Frankreich allein und ohne die Frem-
den thun kann, aber ſie iſt noch nicht da; das
Elend des Volkes iſt groß — beſſer iſt es, Philipp er-
liege unter der Laſt deſſelben und die Reſtauration
komme um einen Winter ſpäter. Dann können die
Royaliſten ſagen, die Revolution ſey Schuld an
Allem, während man jetzt Alles unſern Unruhen zu-
ſchreiben wird. Jeder partielle Verſuch giebt den
Feinden mehr Kraft; jetzt halten wir 50,000 Mann
im Schach, zeigen wir uns aber, ſo verrathen wir
unſre Schwäche. Darum müſſen wir warten, bis
die Fremden an den Gränzen erſcheinen, oder die
Anarchie in Paris Philipp und ſeine Familie ver-
nichtet hat, oder die Republik proclamirt iſt, was
bei der Verzweiflung des Volkes vielleicht ſchon in
dieſem Winter geſchieht.” — Der Courrier theilt,
nachdem er bemerkt, der Bürgerkrieg ſey förmlich
organiſirt, und der Aufſtand für ganz Frankreich auf
den 3 und 4 Juni angeſetzt, eine Reihe wichtiger Do-
cumente mit, über welche der Moniteur noch zu
ſchweigen für gut befunden hat; unter dieſen befinden
ſich folgende Briefe der Herzogin v. Berri: 1) “Jch
kenne, mein lieber Coislin, den Eifer, den Sie
und die Jhrigen für die Sache meines Sohnes zei-
gen, und rechne auf Sie, wie Sie auf meine Dank-
barkeit rechnen können. 14 Dec. 1831.” 2) “Meine
Freunde mögen ſich beruhigen, ich bin in Frankreich,
und bald in der Vendee. Von da werden Sie be-
ſtimmte Befehle erhalten, und zwar noch vor dem
25 d. M. Halten Sie ſich bereit. Jm Süden war
es nur ein Jrrthum, ein Mißgriff. Jch bin mit
ſeiner Stimmung, ſeinen Verſprechungen zufrieden.
Meine treuen Provinzen des Weſtens erfüllen immer
die ihrigen. Jn Kurzem wird Frankreich ſeine alte
Würde, ſein altes Glück wieder erringen. 15 Mai
1832. Unterz.: M. C. R.” 3) “Die Verhältniſſe,
welche Sie mir in Jhrer Note ſchildern, betrüben
mich. Sie erinnern ſich, daß Jhre Depeſchen, und
eine geheiligte Pflicht mich beſtimmt haben, mich
der Loyalität dieſer Provinzen anzuvertrauen. Jch
wollte am 24 d. die Waffen ergreifen, weil ich von
Jhrer Mitwirkung überzeugt war, und die Nachrich-
ten aus dem Süden und von andern Seiten mich be-
ſtimmten. Jch würde meine Sache für immer ver-
loren halten, wenn ich das Land verlaſſen müßte,
und ich müßte es, wenn man nicht ſchnell zu den
Waffen greift. Dann bleibt mir nichts übrig, als
fern von Frankreich darüber zu weinen, daß ich zu
ſehr auf die gerechnet hatte, um deretwillen ich al-
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