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Heeren, Arnold H. L.: Geschichte des Europäischen Staatensystems und seiner Kolonien. Göttingen, 1809.

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A. Von 1661 bis 1700.

1. Spanien, nach dem Tode Philipp's IV. (+
1665) unter dem minderjährigen und nie mündigen Carl
II. (+ 1700), erscheint, wenn gleich fortdauernd in seinen
Niederlanden das Ziel der Französischen Eroberungen,
doch mehr in einem passiven als activen Zustande. Aber
wenn die Ursachen der Unmacht Spaniens auch zum Theil
in der Schwäche der Regierungen und ihren Fehlgriffen la-
gen (s. oben S. 122.), so lagen sie doch noch viel mehr in
der Verfassung und in den Sitten. In einem Reiche, wo
die hohen Regierungsstellen erkaufte 3 bis 5jährige
Pfründen sind; wo das Landeigenthum fast ganz in den
Händen der Geistlichkeit und des Adels, und dennoch jede
Sorge für Oekonomie unanständig ist; wo man bey dem
Mangel der Circulation keine Capitale belegt, und Sil-
bergeschirr den Reichthum ausmacht -- muß endlich allge-
meine Verarmung mitten im Reichthum entstehen. Wel-
che Stockung vollends, wenn im Kriege die Schätze von
America ausblieben?

Lettres de l'Espagne (par Md. d'Aulnoi) Paris 1682. und
Relation de la Cour d'Espagne. Paris 1687. Unstreitig die
lebendigste Schilderung des elenden Zustandes!

2. England, unter der Regierung des unwürdigen Carl's
II. und (seit Clarendon's Fall 1667) seiner feilen Minister
dem fremden Einflusse Preis gegeben, war ohne bestimmten
politischen Charakter, weil ein fortdauernder Widerspruch
zwischen den Grundsätzen der Stuarts und der Mehrheit
der Nation war, der endlich eine Catastrophe herbeyführen
mußte, wie die der Revolution 1688, welche Jacob
II. vom Thron stürzte, und Wilhelm III. darauf erhob.

3. Die Republik der vereinigten Niederlande,
mächtig zur See, aber um so viel schwächer zu Lande, da
das Interesse der jetzt herrschenden ständischen Partie unter
dem Rathspensionair von Holland, Jean de Wit 1653-
1672, die Schwächung der Landmacht erforderte. Groß
als Staatsmann, so weit man mit Negociationen reichte,

mußte
O 3
A. Von 1661 bis 1700.

1. Spanien, nach dem Tode Philipp's IV. (†
1665) unter dem minderjaͤhrigen und nie muͤndigen Carl
II. († 1700), erſcheint, wenn gleich fortdauernd in ſeinen
Niederlanden das Ziel der Franzoͤſiſchen Eroberungen,
doch mehr in einem paſſiven als activen Zuſtande. Aber
wenn die Urſachen der Unmacht Spaniens auch zum Theil
in der Schwaͤche der Regierungen und ihren Fehlgriffen la-
gen (ſ. oben S. 122.), ſo lagen ſie doch noch viel mehr in
der Verfaſſung und in den Sitten. In einem Reiche, wo
die hohen Regierungsſtellen erkaufte 3 bis 5jaͤhrige
Pfruͤnden ſind; wo das Landeigenthum faſt ganz in den
Haͤnden der Geiſtlichkeit und des Adels, und dennoch jede
Sorge fuͤr Oekonomie unanſtaͤndig iſt; wo man bey dem
Mangel der Circulation keine Capitale belegt, und Sil-
bergeſchirr den Reichthum ausmacht — muß endlich allge-
meine Verarmung mitten im Reichthum entſtehen. Wel-
che Stockung vollends, wenn im Kriege die Schaͤtze von
America ausblieben?

Lettres de l'Eſpagne (par Md. d'Aulnoi) Paris 1682. und
Relation de la Cour d'Eſpagne. Paris 1687. Unſtreitig die
lebendigſte Schilderung des elenden Zuſtandes!

2. England, unter der Regierung des unwuͤrdigen Carl's
II. und (ſeit Clarendon's Fall 1667) ſeiner feilen Miniſter
dem fremden Einfluſſe Preis gegeben, war ohne beſtimmten
politiſchen Charakter, weil ein fortdauernder Widerſpruch
zwiſchen den Grundſaͤtzen der Stuarts und der Mehrheit
der Nation war, der endlich eine Cataſtrophe herbeyfuͤhren
mußte, wie die der Revolution 1688, welche Jacob
II. vom Thron ſtuͤrzte, und Wilhelm III. darauf erhob.

3. Die Republik der vereinigten Niederlande,
maͤchtig zur See, aber um ſo viel ſchwaͤcher zu Lande, da
das Intereſſe der jetzt herrſchenden ſtaͤndiſchen Partie unter
dem Rathspenſionair von Holland, Jean de Wit 1653-
1672, die Schwaͤchung der Landmacht erforderte. Groß
als Staatsmann, ſo weit man mit Negociationen reichte,

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[213/0251] A. Von 1661 bis 1700. 1. Spanien, nach dem Tode Philipp's IV. († 1665) unter dem minderjaͤhrigen und nie muͤndigen Carl II. († 1700), erſcheint, wenn gleich fortdauernd in ſeinen Niederlanden das Ziel der Franzoͤſiſchen Eroberungen, doch mehr in einem paſſiven als activen Zuſtande. Aber wenn die Urſachen der Unmacht Spaniens auch zum Theil in der Schwaͤche der Regierungen und ihren Fehlgriffen la- gen (ſ. oben S. 122.), ſo lagen ſie doch noch viel mehr in der Verfaſſung und in den Sitten. In einem Reiche, wo die hohen Regierungsſtellen erkaufte 3 bis 5jaͤhrige Pfruͤnden ſind; wo das Landeigenthum faſt ganz in den Haͤnden der Geiſtlichkeit und des Adels, und dennoch jede Sorge fuͤr Oekonomie unanſtaͤndig iſt; wo man bey dem Mangel der Circulation keine Capitale belegt, und Sil- bergeſchirr den Reichthum ausmacht — muß endlich allge- meine Verarmung mitten im Reichthum entſtehen. Wel- che Stockung vollends, wenn im Kriege die Schaͤtze von America ausblieben? Lettres de l'Eſpagne (par Md. d'Aulnoi) Paris 1682. und Relation de la Cour d'Eſpagne. Paris 1687. Unſtreitig die lebendigſte Schilderung des elenden Zuſtandes! 2. England, unter der Regierung des unwuͤrdigen Carl's II. und (ſeit Clarendon's Fall 1667) ſeiner feilen Miniſter dem fremden Einfluſſe Preis gegeben, war ohne beſtimmten politiſchen Charakter, weil ein fortdauernder Widerſpruch zwiſchen den Grundſaͤtzen der Stuarts und der Mehrheit der Nation war, der endlich eine Cataſtrophe herbeyfuͤhren mußte, wie die der Revolution 1688, welche Jacob II. vom Thron ſtuͤrzte, und Wilhelm III. darauf erhob. 3. Die Republik der vereinigten Niederlande, maͤchtig zur See, aber um ſo viel ſchwaͤcher zu Lande, da das Intereſſe der jetzt herrſchenden ſtaͤndiſchen Partie unter dem Rathspenſionair von Holland, Jean de Wit 1653- 1672, die Schwaͤchung der Landmacht erforderte. Groß als Staatsmann, ſo weit man mit Negociationen reichte, mußte O 3

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Zitationshilfe: Heeren, Arnold H. L.: Geschichte des Europäischen Staatensystems und seiner Kolonien. Göttingen, 1809, S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heeren_staatensystem_1809/251>, abgerufen am 22.11.2024.