a) durch eine nicht vindicirte Abschwemmung, so lange die Zurückbringung noch möglich war (§. 69. II.);
b) durch Dereliction und unvordenklichen Besitzverlust (§. 11.);
c) durch freiwillige, verfassungsmäßig erlaubte, oder im Wege des Krieges herbeigeführte Abtretung des bisherigen Herr- scher- oder Eigenthumsrecht an einen Andern.
Solcher Veränderungen ungeachtet bestehen regelmäßig alle auf dem abgetretenen Staatseigenthum haftenden Verbindlichkeiten un- ter dem neuen Erwerber fort (§. 25.), da Niemand mehr Rechte an einer Sache auf einen Andern zu übertragen vermag, als ihm selbst daran gebühren, und kein wohlerworbenes Recht dritter durch einseitigen Willen aufgehoben werden kann. 1 Erstreckt sich die Veräußerung nur auf einen Theil, so werden die Lasten des Gan- zen in Ermangelung anderer Bestimmungen verhältnißmäßig auf den einzelnen Theilen verbleiben, 2 mit Ausnahme der objectiv un- theilbaren, wozu indeß Hypotheken im diplomatischen Sinn des Wortes nicht gerechnet werden können.
So lange übrigens das Staatseigenthumsrecht nicht verloren ist, kann es gegen jeden, selbst in gutem Glauben befindlichen Besitzer verfolgt werden, ohne daß diesem wiedererstattet zu werden braucht, was er für die Erwerbung der Sache gegeben hat. 3 Dagegen sind ihm die nützlichen Verwendungen, welche nicht aus der Sache selbst genommen sind, zu vergüten und auch die vor der Rückfor- derung bezogenen Früchte zu belassen, wenn es an dem eigentlich Berechtigten gelegen hat, sein Recht an der Sache schon früher zu vindiciren. 4
1L. 31. §. 1. D. de V. S. L. 11. D. de j. fisc. "id enim bonorum cujusque esse intelligitur, quod aeri alieno superest."
2 Vgl. das Austrägalurtheil des OAG. zu Celle wegen der Rheinpfälzer Staatsoblig. in v. Leonhardi Austrägalverf. S. 550. Ferner das Urtheil des OAG. zu Jena ebds. S. 888. 897.
3 Die Publicisten sind rücksichtlich dieser Principien noch nicht einverstanden (vgl. Günther II, 214.); die Praxis hat zu wenig Gelegenheit gehabt, dar- über zu entscheiden. Wir vereinigen uns im Allgem. mit Groot II, 10, 1. Pufendorf IV, 13. Gewiß im Sinn aller rechtlichen Nationen. Recht muß Recht bleiben. Besitz giebt ein solches noch nicht in ausschließender Weise.
4 Denn hier hat das Stillschweigen des Berechtigten den Besitzstand des Andern gut geheißen; er kann die demgemäß vollzogenen Handlungen nicht anfechten.
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§. 72. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
a) durch eine nicht vindicirte Abſchwemmung, ſo lange die Zurückbringung noch möglich war (§. 69. II.);
b) durch Dereliction und unvordenklichen Beſitzverluſt (§. 11.);
c) durch freiwillige, verfaſſungsmäßig erlaubte, oder im Wege des Krieges herbeigeführte Abtretung des bisherigen Herr- ſcher- oder Eigenthumsrecht an einen Andern.
Solcher Veränderungen ungeachtet beſtehen regelmäßig alle auf dem abgetretenen Staatseigenthum haftenden Verbindlichkeiten un- ter dem neuen Erwerber fort (§. 25.), da Niemand mehr Rechte an einer Sache auf einen Andern zu übertragen vermag, als ihm ſelbſt daran gebühren, und kein wohlerworbenes Recht dritter durch einſeitigen Willen aufgehoben werden kann. 1 Erſtreckt ſich die Veräußerung nur auf einen Theil, ſo werden die Laſten des Gan- zen in Ermangelung anderer Beſtimmungen verhältnißmäßig auf den einzelnen Theilen verbleiben, 2 mit Ausnahme der objectiv un- theilbaren, wozu indeß Hypotheken im diplomatiſchen Sinn des Wortes nicht gerechnet werden können.
So lange übrigens das Staatseigenthumsrecht nicht verloren iſt, kann es gegen jeden, ſelbſt in gutem Glauben befindlichen Beſitzer verfolgt werden, ohne daß dieſem wiedererſtattet zu werden braucht, was er für die Erwerbung der Sache gegeben hat. 3 Dagegen ſind ihm die nützlichen Verwendungen, welche nicht aus der Sache ſelbſt genommen ſind, zu vergüten und auch die vor der Rückfor- derung bezogenen Früchte zu belaſſen, wenn es an dem eigentlich Berechtigten gelegen hat, ſein Recht an der Sache ſchon früher zu vindiciren. 4
1L. 31. §. 1. D. de V. S. L. 11. D. de j. fisc. „id enim bonorum cujusque esse intelligitur, quod aeri alieno superest.“
2 Vgl. das Austrägalurtheil des OAG. zu Celle wegen der Rheinpfälzer Staatsoblig. in v. Leonhardi Austrägalverf. S. 550. Ferner das Urtheil des OAG. zu Jena ebdſ. S. 888. 897.
3 Die Publiciſten ſind rückſichtlich dieſer Principien noch nicht einverſtanden (vgl. Günther II, 214.); die Praxis hat zu wenig Gelegenheit gehabt, dar- über zu entſcheiden. Wir vereinigen uns im Allgem. mit Groot II, 10, 1. Pufendorf IV, 13. Gewiß im Sinn aller rechtlichen Nationen. Recht muß Recht bleiben. Beſitz giebt ein ſolches noch nicht in ausſchließender Weiſe.
4 Denn hier hat das Stillſchweigen des Berechtigten den Beſitzſtand des Andern gut geheißen; er kann die demgemäß vollzogenen Handlungen nicht anfechten.
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b) durch Dereliction und unvordenklichen Beſitzverluſt (§. 11.);
c) durch freiwillige, verfaſſungsmäßig erlaubte, oder im Wege
des Krieges herbeigeführte Abtretung des bisherigen Herr-
ſcher- oder Eigenthumsrecht an einen Andern.
Solcher Veränderungen ungeachtet beſtehen regelmäßig alle auf
dem abgetretenen Staatseigenthum haftenden Verbindlichkeiten un-
ter dem neuen Erwerber fort (§. 25.), da Niemand mehr Rechte
an einer Sache auf einen Andern zu übertragen vermag, als ihm
ſelbſt daran gebühren, und kein wohlerworbenes Recht dritter durch
einſeitigen Willen aufgehoben werden kann. 1 Erſtreckt ſich die
Veräußerung nur auf einen Theil, ſo werden die Laſten des Gan-
zen in Ermangelung anderer Beſtimmungen verhältnißmäßig auf
den einzelnen Theilen verbleiben, 2 mit Ausnahme der objectiv un-
theilbaren, wozu indeß Hypotheken im diplomatiſchen Sinn des
Wortes nicht gerechnet werden können.
So lange übrigens das Staatseigenthumsrecht nicht verloren iſt,
kann es gegen jeden, ſelbſt in gutem Glauben befindlichen Beſitzer
verfolgt werden, ohne daß dieſem wiedererſtattet zu werden braucht,
was er für die Erwerbung der Sache gegeben hat. 3 Dagegen
ſind ihm die nützlichen Verwendungen, welche nicht aus der Sache
ſelbſt genommen ſind, zu vergüten und auch die vor der Rückfor-
derung bezogenen Früchte zu belaſſen, wenn es an dem eigentlich
Berechtigten gelegen hat, ſein Recht an der Sache ſchon früher zu
vindiciren. 4
1 L. 31. §. 1. D. de V. S. L. 11. D. de j. fisc. „id enim bonorum
cujusque esse intelligitur, quod aeri alieno superest.“
2 Vgl. das Austrägalurtheil des OAG. zu Celle wegen der Rheinpfälzer
Staatsoblig. in v. Leonhardi Austrägalverf. S. 550. Ferner das Urtheil
des OAG. zu Jena ebdſ. S. 888. 897.
3 Die Publiciſten ſind rückſichtlich dieſer Principien noch nicht einverſtanden
(vgl. Günther II, 214.); die Praxis hat zu wenig Gelegenheit gehabt, dar-
über zu entſcheiden. Wir vereinigen uns im Allgem. mit Groot II, 10,
1. Pufendorf IV, 13. Gewiß im Sinn aller rechtlichen Nationen. Recht
muß Recht bleiben. Beſitz giebt ein ſolches noch nicht in ausſchließender
Weiſe.
4 Denn hier hat das Stillſchweigen des Berechtigten den Beſitzſtand des
Andern gut geheißen; er kann die demgemäß vollzogenen Handlungen nicht
anfechten.
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Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/153>, abgerufen am 24.02.2025.
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