73. Zu den des Privateigenthums unfähigen Sachen gehört anerkanntermaaßen der Luftzug und das frei fließende Wasser, na- mentlich das Meer, indem eine ausschließliche dauernde Besitzergrei- fung wenigstens für Einzelne unter die Unmöglichkeiten zu rechnen ist. Wegen gleichmäßiger Wichtigkeit für alle Menschen schreibt man daher auch allen Individuen ein gleichmäßiges Recht der freien Benutzung daran zu, so daß nur der augenblicklich sie Nutzende für jetzt jeden andern davon ausschließt. 1 Minder ausgemacht ist, ob nicht ein Staateneigenthum an jenen Sachen, vorzüglich am Meere oder an einzelnen Theilen desselben zulässig und wirklich begründet sey. 2 Das Mittelalter schrieb ein solches dem Römischen Kaiser zu. 3 Spanien und Portugal reclamirten ein Eigenthum der von ihnen entdeckten Meere. 4 Großbritannien eignete sich die Sou- veränetät über die vier, die Brittischen Inseln umschließenden Meere (the narrow-seas) an, ohne daß jedoch die Grenzen dieser Prä- tension jemals nach allen Seiten genau bestimmt worden sind. 5 Venedig reclamirte das Adriatische Meer, Genua das Ligurische. Alle diese Ansprüche sind bestritten und in neuerer Zeit nicht mehr
1 Ulpian bemerkte bereits (l. 13. §. 7. D. de iniur.) "et quidem mare commune omnium est et litora sicuti aer. -- Usurpatum tamen et hoc est, tametsi nullo iure, ut quis prohiberi possit ante aedes meas vel praetorium meum piscari; quare si quis prohibeatur, adhuc iniu- riarum agi potest." Gegen Jeden findet eine Injurienklage, d. h. im All- gemeinen wegen Unrechts Statt, der den Andern an einem schon angefan- genen Gebrauch einer solchen res communis hindert. Qui prior venit, potior iure. Vgl. Klüber Dr. d. g. §. 47.
2 Die zahlreichen Schriften hierüber, außer den das Völkerrecht überhaupt betreffenden s. bei v. Ompteda, §. 218 f. v. Kamptz §. 172 f.; vor- züglich v. Cancrin, Abhl. v. dem Wasserrechte. Halle 1789. Die Haupt- puncte finden sich bei Günther II, 25. Klüber §. 130. Wheaton, intern. L. I, 4, §. 10. und histoire des progres p. 99. s.
3 Vermöge des: Ego quidem mundi dominus. in l. 9. D. de lege Rho- dia. Die Römer selbst hatten diese Ansicht schwerlich selbst. Vgl. Fr. Guil. Pestel, de dominio maris mediterr. Rinteln. 1764.
4 Hiergegen war die Schrift von H. Groot, mare liberum (zuerst Leyden 1609) gerichtet, womit die publicistische Erörterung der Frage begann.
5Wheaton, progr. p. 101. Das Hauptwerk über die älteren Prätensionen ist: Jo. Borough, Imperium maris Britannici. London. 1686.
Erſtes Buch. §. 73.
Eigenthumsunfähige Sachen; insbeſondere das Meer.
73. Zu den des Privateigenthums unfähigen Sachen gehört anerkanntermaaßen der Luftzug und das frei fließende Waſſer, na- mentlich das Meer, indem eine ausſchließliche dauernde Beſitzergrei- fung wenigſtens für Einzelne unter die Unmöglichkeiten zu rechnen iſt. Wegen gleichmäßiger Wichtigkeit für alle Menſchen ſchreibt man daher auch allen Individuen ein gleichmäßiges Recht der freien Benutzung daran zu, ſo daß nur der augenblicklich ſie Nutzende für jetzt jeden andern davon ausſchließt. 1 Minder ausgemacht iſt, ob nicht ein Staateneigenthum an jenen Sachen, vorzüglich am Meere oder an einzelnen Theilen deſſelben zuläſſig und wirklich begründet ſey. 2 Das Mittelalter ſchrieb ein ſolches dem Römiſchen Kaiſer zu. 3 Spanien und Portugal reclamirten ein Eigenthum der von ihnen entdeckten Meere. 4 Großbritannien eignete ſich die Sou- veränetät über die vier, die Brittiſchen Inſeln umſchließenden Meere (the narrow-seas) an, ohne daß jedoch die Grenzen dieſer Prä- tenſion jemals nach allen Seiten genau beſtimmt worden ſind. 5 Venedig reclamirte das Adriatiſche Meer, Genua das Liguriſche. Alle dieſe Anſprüche ſind beſtritten und in neuerer Zeit nicht mehr
1 Ulpian bemerkte bereits (l. 13. §. 7. D. de iniur.) „et quidem mare commune omnium est et litora sicuti aer. — Usurpatum tamen et hoc est, tametsi nullo iure, ut quis prohiberi possit ante aedes meas vel praetorium meum piscari; quare si quis prohibeatur, adhuc iniu- riarum agi potest.“ Gegen Jeden findet eine Injurienklage, d. h. im All- gemeinen wegen Unrechts Statt, der den Andern an einem ſchon angefan- genen Gebrauch einer ſolchen res communis hindert. Qui prior venit, potior iure. Vgl. Klüber Dr. d. g. §. 47.
2 Die zahlreichen Schriften hierüber, außer den das Völkerrecht überhaupt betreffenden ſ. bei v. Ompteda, §. 218 f. v. Kamptz §. 172 f.; vor- züglich v. Cancrin, Abhl. v. dem Waſſerrechte. Halle 1789. Die Haupt- puncte finden ſich bei Günther II, 25. Klüber §. 130. Wheaton, intern. L. I, 4, §. 10. und histoire des progrès p. 99. s.
3 Vermöge des: Ego quidem mundi dominus. in l. 9. D. de lege Rho- dia. Die Römer ſelbſt hatten dieſe Anſicht ſchwerlich ſelbſt. Vgl. Fr. Guil. Pestel, de dominio maris mediterr. Rinteln. 1764.
4 Hiergegen war die Schrift von H. Groot, mare liberum (zuerſt Leyden 1609) gerichtet, womit die publiciſtiſche Erörterung der Frage begann.
5Wheaton, progr. p. 101. Das Hauptwerk über die älteren Prätenſionen iſt: Jo. Borough, Imperium maris Britannici. London. 1686.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0154"n="130"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Erſtes Buch</hi>. §. 73.</fw><lb/><divn="3"><head>Eigenthumsunfähige Sachen; insbeſondere das Meer.</head><lb/><p>73. Zu den des Privateigenthums unfähigen Sachen gehört<lb/>
anerkanntermaaßen der Luftzug und das frei fließende Waſſer, na-<lb/>
mentlich das Meer, indem eine ausſchließliche dauernde Beſitzergrei-<lb/>
fung wenigſtens für Einzelne unter die Unmöglichkeiten zu rechnen<lb/>
iſt. Wegen gleichmäßiger Wichtigkeit für alle Menſchen ſchreibt<lb/>
man daher auch allen Individuen ein gleichmäßiges Recht der freien<lb/>
Benutzung daran zu, ſo daß nur der augenblicklich ſie Nutzende für<lb/>
jetzt jeden andern davon ausſchließt. <noteplace="foot"n="1">Ulpian bemerkte bereits <hirendition="#aq">(l. 13. §. 7. D. de iniur.) „et quidem mare<lb/>
commune omnium est et litora sicuti aer. — Usurpatum tamen et hoc<lb/>
est, <hirendition="#g">tametsi nullo iure</hi>, ut quis prohiberi possit ante aedes meas<lb/>
vel praetorium meum piscari; quare si quis prohibeatur, adhuc iniu-<lb/>
riarum agi potest.“</hi> Gegen Jeden findet eine Injurienklage, d. h. im All-<lb/>
gemeinen wegen Unrechts Statt, der den Andern an einem ſchon angefan-<lb/>
genen Gebrauch einer ſolchen <hirendition="#aq">res communis</hi> hindert. <hirendition="#aq">Qui prior venit,<lb/>
potior iure.</hi> Vgl. Klüber <hirendition="#aq">Dr. d. g.</hi> §. 47.</note> Minder ausgemacht iſt, ob<lb/>
nicht ein Staateneigenthum an jenen Sachen, vorzüglich am Meere<lb/>
oder an einzelnen Theilen deſſelben zuläſſig und wirklich begründet<lb/>ſey. <noteplace="foot"n="2">Die zahlreichen Schriften hierüber, außer den das Völkerrecht überhaupt<lb/>
betreffenden ſ. bei v. Ompteda, §. 218 f. v. Kamptz §. 172 f.; vor-<lb/>
züglich v. Cancrin, Abhl. v. dem Waſſerrechte. Halle 1789. Die Haupt-<lb/>
puncte finden ſich bei Günther <hirendition="#aq">II,</hi> 25. Klüber §. 130. <hirendition="#aq">Wheaton, intern.<lb/>
L. I, 4,</hi> §. 10. und <hirendition="#aq">histoire des progrès p. 99. s.</hi></note> Das Mittelalter ſchrieb ein ſolches dem Römiſchen Kaiſer<lb/>
zu. <noteplace="foot"n="3">Vermöge des: <hirendition="#aq">Ego quidem mundi dominus.</hi> in l. 9. <hirendition="#aq">D. de lege Rho-<lb/>
dia.</hi> Die Römer ſelbſt hatten dieſe Anſicht ſchwerlich ſelbſt. Vgl. <hirendition="#aq">Fr. Guil.<lb/>
Pestel, de dominio maris mediterr. Rinteln.</hi> 1764.</note> Spanien und Portugal reclamirten ein Eigenthum der von<lb/>
ihnen entdeckten Meere. <noteplace="foot"n="4">Hiergegen war die Schrift von H. Groot, <hirendition="#aq">mare liberum</hi> (zuerſt Leyden<lb/>
1609) gerichtet, womit die publiciſtiſche Erörterung der Frage begann.</note> Großbritannien eignete ſich die Sou-<lb/>
veränetät über die vier, die Brittiſchen Inſeln umſchließenden Meere<lb/>
(<hirendition="#aq">the narrow-seas</hi>) an, ohne daß jedoch die Grenzen dieſer Prä-<lb/>
tenſion jemals nach allen Seiten genau beſtimmt worden ſind. <noteplace="foot"n="5"><hirendition="#aq">Wheaton, progr. p.</hi> 101. Das Hauptwerk über die älteren Prätenſionen<lb/>
iſt: <hirendition="#aq">Jo. Borough, Imperium maris Britannici. London.</hi> 1686.</note><lb/>
Venedig reclamirte das Adriatiſche Meer, Genua das Liguriſche.<lb/>
Alle dieſe Anſprüche ſind beſtritten und in neuerer Zeit nicht mehr<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[130/0154]
Erſtes Buch. §. 73.
Eigenthumsunfähige Sachen; insbeſondere das Meer.
73. Zu den des Privateigenthums unfähigen Sachen gehört
anerkanntermaaßen der Luftzug und das frei fließende Waſſer, na-
mentlich das Meer, indem eine ausſchließliche dauernde Beſitzergrei-
fung wenigſtens für Einzelne unter die Unmöglichkeiten zu rechnen
iſt. Wegen gleichmäßiger Wichtigkeit für alle Menſchen ſchreibt
man daher auch allen Individuen ein gleichmäßiges Recht der freien
Benutzung daran zu, ſo daß nur der augenblicklich ſie Nutzende für
jetzt jeden andern davon ausſchließt. 1 Minder ausgemacht iſt, ob
nicht ein Staateneigenthum an jenen Sachen, vorzüglich am Meere
oder an einzelnen Theilen deſſelben zuläſſig und wirklich begründet
ſey. 2 Das Mittelalter ſchrieb ein ſolches dem Römiſchen Kaiſer
zu. 3 Spanien und Portugal reclamirten ein Eigenthum der von
ihnen entdeckten Meere. 4 Großbritannien eignete ſich die Sou-
veränetät über die vier, die Brittiſchen Inſeln umſchließenden Meere
(the narrow-seas) an, ohne daß jedoch die Grenzen dieſer Prä-
tenſion jemals nach allen Seiten genau beſtimmt worden ſind. 5
Venedig reclamirte das Adriatiſche Meer, Genua das Liguriſche.
Alle dieſe Anſprüche ſind beſtritten und in neuerer Zeit nicht mehr
1 Ulpian bemerkte bereits (l. 13. §. 7. D. de iniur.) „et quidem mare
commune omnium est et litora sicuti aer. — Usurpatum tamen et hoc
est, tametsi nullo iure, ut quis prohiberi possit ante aedes meas
vel praetorium meum piscari; quare si quis prohibeatur, adhuc iniu-
riarum agi potest.“ Gegen Jeden findet eine Injurienklage, d. h. im All-
gemeinen wegen Unrechts Statt, der den Andern an einem ſchon angefan-
genen Gebrauch einer ſolchen res communis hindert. Qui prior venit,
potior iure. Vgl. Klüber Dr. d. g. §. 47.
2 Die zahlreichen Schriften hierüber, außer den das Völkerrecht überhaupt
betreffenden ſ. bei v. Ompteda, §. 218 f. v. Kamptz §. 172 f.; vor-
züglich v. Cancrin, Abhl. v. dem Waſſerrechte. Halle 1789. Die Haupt-
puncte finden ſich bei Günther II, 25. Klüber §. 130. Wheaton, intern.
L. I, 4, §. 10. und histoire des progrès p. 99. s.
3 Vermöge des: Ego quidem mundi dominus. in l. 9. D. de lege Rho-
dia. Die Römer ſelbſt hatten dieſe Anſicht ſchwerlich ſelbſt. Vgl. Fr. Guil.
Pestel, de dominio maris mediterr. Rinteln. 1764.
4 Hiergegen war die Schrift von H. Groot, mare liberum (zuerſt Leyden
1609) gerichtet, womit die publiciſtiſche Erörterung der Frage begann.
5 Wheaton, progr. p. 101. Das Hauptwerk über die älteren Prätenſionen
iſt: Jo. Borough, Imperium maris Britannici. London. 1686.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/154>, abgerufen am 24.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.