daß jede Nation ihren Angehörigen das Verhalten zur See selbst gegen Auswärtige gesetzlich vorzeichnet, und die daraus entste- henden Rechte und Verbindlichkeiten anerkennt;
daß man ebenermaaßen auch Fremde wenigstens den eigenen Staatsgenossen gegenüber nach gleichen Grundsätzen beur- theilt;
daß die meisten Staaten sogar unter Fremden selbst, wenn sie darum angerufen werden, Recht ertheilen;
daß endlich unter den Seerechten der verschiedenen Länder stets eine große Uebereinstimmung von Altersher bestanden hat,
so daß ein Recht der Selbsthilfe, außer dem Fall unabwendbarer Noth, auf offener See von den Staaten nicht mehr anerkannt wird, diejenigen aber, welche sich jedem Gesetz und Recht entziehen, wie z. B. die Piraten, von allen Nationen als rechtlose (outlaws) behandelt werden. 1
Dagegen hat kein Staat außerhalb seiner Eigenthumsgewässer und Polizeigrenze gegen fremde Nationalschiffe ein Recht sie anzu- halten, zu durchsuchen und in Beschlag zu nehmen, wenn dieses auch zu einem an sich erlaubten Zweck geschehen sollte, wofern nicht ausdrücklich und bestimmt ein derartiges Zugeständniß von einer Nation der andern gemacht ist. Aufgetaucht ist diese Frage in Beziehung auf die Unterdrückung des Sclavenhandels, und er- wartet hier ihre fernere Lösung. 2
Ein freies und gleiches See- und Handelsrecht würde erst dann sich entwickeln, wenn die Nationen sich entschließen könnten, von ihren Entscheidungen in streitigen Fällen mit andern Staaten eine Berufung auf des unparteiische Urtheil eines dritten Staates nach dem Vorbild der Alten zuzulassen. 3
1 Davon s. Abschnitt III. dieses Buches, von den internationalen Verbrechen.
2 Die Vertheidigung des an sich unbestreitbaren obigen Satzes s. in Whea- ton Enquiry into the validity of the British claim to a right of visi- tation and search of American vessels. Lond. 1842. Kein Unterschied zwischen droit de visite und droit de perquisition (right of search) kann hier zur Lösung führen. Einen Finger hier geben, heißt die Hand in eine Kette schmieden.
3 Bis jetzt ist das See- und Handelsrecht der civilisirten Völker nur ein einseitiges particulares Recht mit Ausnahme weniger allgemein zugestande-
Erſtes Buch. §. 80.
daß jede Nation ihren Angehörigen das Verhalten zur See ſelbſt gegen Auswärtige geſetzlich vorzeichnet, und die daraus entſte- henden Rechte und Verbindlichkeiten anerkennt;
daß man ebenermaaßen auch Fremde wenigſtens den eigenen Staatsgenoſſen gegenüber nach gleichen Grundſätzen beur- theilt;
daß die meiſten Staaten ſogar unter Fremden ſelbſt, wenn ſie darum angerufen werden, Recht ertheilen;
daß endlich unter den Seerechten der verſchiedenen Länder ſtets eine große Uebereinſtimmung von Altersher beſtanden hat,
ſo daß ein Recht der Selbſthilfe, außer dem Fall unabwendbarer Noth, auf offener See von den Staaten nicht mehr anerkannt wird, diejenigen aber, welche ſich jedem Geſetz und Recht entziehen, wie z. B. die Piraten, von allen Nationen als rechtloſe (outlaws) behandelt werden. 1
Dagegen hat kein Staat außerhalb ſeiner Eigenthumsgewäſſer und Polizeigrenze gegen fremde Nationalſchiffe ein Recht ſie anzu- halten, zu durchſuchen und in Beſchlag zu nehmen, wenn dieſes auch zu einem an ſich erlaubten Zweck geſchehen ſollte, wofern nicht ausdrücklich und beſtimmt ein derartiges Zugeſtändniß von einer Nation der andern gemacht iſt. Aufgetaucht iſt dieſe Frage in Beziehung auf die Unterdrückung des Sclavenhandels, und er- wartet hier ihre fernere Löſung. 2
Ein freies und gleiches See- und Handelsrecht würde erſt dann ſich entwickeln, wenn die Nationen ſich entſchließen könnten, von ihren Entſcheidungen in ſtreitigen Fällen mit andern Staaten eine Berufung auf des unparteiiſche Urtheil eines dritten Staates nach dem Vorbild der Alten zuzulaſſen. 3
1 Davon ſ. Abſchnitt III. dieſes Buches, von den internationalen Verbrechen.
2 Die Vertheidigung des an ſich unbeſtreitbaren obigen Satzes ſ. in Whea- ton Enquiry into the validity of the British claim to a right of visi- tation and search of American vessels. Lond. 1842. Kein Unterſchied zwiſchen droit de visite und droit de perquisition (right of search) kann hier zur Löſung führen. Einen Finger hier geben, heißt die Hand in eine Kette ſchmieden.
3 Bis jetzt iſt das See- und Handelsrecht der civiliſirten Völker nur ein einſeitiges particulares Recht mit Ausnahme weniger allgemein zugeſtande-
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henden Rechte und Verbindlichkeiten anerkennt;
daß man ebenermaaßen auch Fremde wenigſtens den eigenen
Staatsgenoſſen gegenüber nach gleichen Grundſätzen beur-
theilt;
daß die meiſten Staaten ſogar unter Fremden ſelbſt, wenn ſie
darum angerufen werden, Recht ertheilen;
daß endlich unter den Seerechten der verſchiedenen Länder ſtets
eine große Uebereinſtimmung von Altersher beſtanden hat,
ſo daß ein Recht der Selbſthilfe, außer dem Fall unabwendbarer
Noth, auf offener See von den Staaten nicht mehr anerkannt
wird, diejenigen aber, welche ſich jedem Geſetz und Recht entziehen,
wie z. B. die Piraten, von allen Nationen als rechtloſe (outlaws)
behandelt werden. 1
Dagegen hat kein Staat außerhalb ſeiner Eigenthumsgewäſſer
und Polizeigrenze gegen fremde Nationalſchiffe ein Recht ſie anzu-
halten, zu durchſuchen und in Beſchlag zu nehmen, wenn dieſes
auch zu einem an ſich erlaubten Zweck geſchehen ſollte, wofern
nicht ausdrücklich und beſtimmt ein derartiges Zugeſtändniß von
einer Nation der andern gemacht iſt. Aufgetaucht iſt dieſe Frage
in Beziehung auf die Unterdrückung des Sclavenhandels, und er-
wartet hier ihre fernere Löſung. 2
Ein freies und gleiches See- und Handelsrecht würde erſt dann
ſich entwickeln, wenn die Nationen ſich entſchließen könnten, von
ihren Entſcheidungen in ſtreitigen Fällen mit andern Staaten eine
Berufung auf des unparteiiſche Urtheil eines dritten Staates nach
dem Vorbild der Alten zuzulaſſen. 3
1 Davon ſ. Abſchnitt III. dieſes Buches, von den internationalen Verbrechen.
2 Die Vertheidigung des an ſich unbeſtreitbaren obigen Satzes ſ. in Whea-
ton Enquiry into the validity of the British claim to a right of visi-
tation and search of American vessels. Lond. 1842. Kein Unterſchied
zwiſchen droit de visite und droit de perquisition (right of search) kann
hier zur Löſung führen. Einen Finger hier geben, heißt die Hand in eine
Kette ſchmieden.
3 Bis jetzt iſt das See- und Handelsrecht der civiliſirten Völker nur ein
einſeitiges particulares Recht mit Ausnahme weniger allgemein zugeſtande-
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Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/166>, abgerufen am 24.02.2025.
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