präsumirten Conventionen reden, wenn im Völkerverkehr ein Theil nach einer gewissen Regel verfährt, lediglich in der Vor- aussetzung, daß der andere Theil nach derselben Regel oder nach Analogie derselben verfahren werde, letzterer auch die Anwendung der Regel im Bewußtsein von jener Voraussetzung geschehen läßt. Es beruhet hierauf im Allgemeinen das Cerimonialrecht der Staa- ten obligatorisch also auch nur, so lange die Voraussetzung der gegenseitigen gleichartigen Handlungsweise besteht. Das Völker- recht im Ganzen hat man darauf zu gründen keine Ursache, wenn sich jede Nation wie der Einzelne schon an das Gesetz des sittli- chen Willens gebunden hält.
Eine andere Bewandniß hat es mit stillschweigenden Ver- trägen oder Vertragsbestimmungen, welche in einem schon beste- henden Vertragsverhältniß als nothwendige Voraussetzungen oder Folgen mitenthalten sind, wovon weiterhin bei den Wirkungen der Verträge mitzuhandeln ist. 1
Substanzielle Form.
87. Eine bestimmte äußere Form der Willenserklärung ist bei völkerrechtlichen Verträgen nicht wesentlich zur Perfection, vielmehr ist diese als vorhanden anzunehmen, sobald ein Theil eine bestimmte Zusage gemacht hat, mit dem Willen, sich durch die Acceptation des andern gebunden zu halten und sobald diese Acceptation eben so bestimmt erfolgt ist. 2 Vorsicht und Herkommen bringt aller- dings schriftliche Abfassung mit sich; sie ist insbesondere eine na-
1 Man vgl. wegen der gemachten Unterscheidungen Ad. Fr. Reinhard, Samml. jurist. philos. u. crit. Aufs. 1775. I, 5, N. 1. S. 307 f. Klüber dr. d. g. §. 3. auch v. Neumann §. 52.
2 Bemerkenswerth ist schon, was der Römische Jurist Gaius in seinen wie- dergefunden Instit. Comment. III, §. 94. sagt: "dicitur uno casu hoc verbo (Spondesne? Spondeo) peregrinum quoque obligari posse, velut si Imperator noster Principem alicujus peregrini populi de pace ita in- terroget: Pacem futuram spondes? vel ipse eodem modo interrogetur: quod nimium subtiliter dictum est; quia si quid adversus pa- ctionem fiat, non ex stipulatu agitur, sed jure belli vindicatur." Also völlige Freiheit der Form. Ueblich aber waren im Römischen Staatsver- kehr allerdings drei verschiedene Formen; nämlich einfache pactiones, spon- siones und feierliche foedera. Liv. 34, 57. Cic. pro Balbo 12. pro Rabir. 16. Sigon. de ant. jur. Hal. p. 465 s.
Erſtes Buch. §. 87.
präſumirten Conventionen reden, wenn im Völkerverkehr ein Theil nach einer gewiſſen Regel verfährt, lediglich in der Vor- ausſetzung, daß der andere Theil nach derſelben Regel oder nach Analogie derſelben verfahren werde, letzterer auch die Anwendung der Regel im Bewußtſein von jener Vorausſetzung geſchehen läßt. Es beruhet hierauf im Allgemeinen das Cerimonialrecht der Staa- ten obligatoriſch alſo auch nur, ſo lange die Vorausſetzung der gegenſeitigen gleichartigen Handlungsweiſe beſteht. Das Völker- recht im Ganzen hat man darauf zu gründen keine Urſache, wenn ſich jede Nation wie der Einzelne ſchon an das Geſetz des ſittli- chen Willens gebunden hält.
Eine andere Bewandniß hat es mit ſtillſchweigenden Ver- trägen oder Vertragsbeſtimmungen, welche in einem ſchon beſte- henden Vertragsverhältniß als nothwendige Vorausſetzungen oder Folgen mitenthalten ſind, wovon weiterhin bei den Wirkungen der Verträge mitzuhandeln iſt. 1
Subſtanzielle Form.
87. Eine beſtimmte äußere Form der Willenserklärung iſt bei völkerrechtlichen Verträgen nicht weſentlich zur Perfection, vielmehr iſt dieſe als vorhanden anzunehmen, ſobald ein Theil eine beſtimmte Zuſage gemacht hat, mit dem Willen, ſich durch die Acceptation des andern gebunden zu halten und ſobald dieſe Acceptation eben ſo beſtimmt erfolgt iſt. 2 Vorſicht und Herkommen bringt aller- dings ſchriftliche Abfaſſung mit ſich; ſie iſt insbeſondere eine na-
1 Man vgl. wegen der gemachten Unterſcheidungen Ad. Fr. Reinhard, Samml. juriſt. philoſ. u. crit. Aufſ. 1775. I, 5, N. 1. S. 307 f. Klüber dr. d. g. §. 3. auch v. Neumann §. 52.
2 Bemerkenswerth iſt ſchon, was der Römiſche Juriſt Gaius in ſeinen wie- dergefunden Inſtit. Comment. III, §. 94. ſagt: „dicitur uno casu hoc verbo (Spondesne? Spondeo) peregrinum quoque obligari posse, velut si Imperator noster Principem alicujus peregrini populi de pace ita in- terroget: Pacem futuram spondes? vel ipse eodem modo interrogetur: quod nimium subtiliter dictum est; quia si quid adversus pa- ctionem fiat, non ex stipulatu agitur, sed jure belli vindicatur.“ Alſo völlige Freiheit der Form. Ueblich aber waren im Römiſchen Staatsver- kehr allerdings drei verſchiedene Formen; nämlich einfache pactiones, spon- siones und feierliche foedera. Liv. 34, 57. Cic. pro Balbo 12. pro Rabir. 16. Sigon. de ant. jur. Hal. p. 465 s.
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ein Theil nach einer gewiſſen Regel verfährt, lediglich in der Vor-
ausſetzung, daß der andere Theil nach derſelben Regel oder nach
Analogie derſelben verfahren werde, letzterer auch die Anwendung
der Regel im Bewußtſein von jener Vorausſetzung geſchehen läßt.
Es beruhet hierauf im Allgemeinen das Cerimonialrecht der Staa-
ten obligatoriſch alſo auch nur, ſo lange die Vorausſetzung der
gegenſeitigen gleichartigen Handlungsweiſe beſteht. Das Völker-
recht im Ganzen hat man darauf zu gründen keine Urſache, wenn
ſich jede Nation wie der Einzelne ſchon an das Geſetz des ſittli-
chen Willens gebunden hält.
Eine andere Bewandniß hat es mit ſtillſchweigenden Ver-
trägen oder Vertragsbeſtimmungen, welche in einem ſchon beſte-
henden Vertragsverhältniß als nothwendige Vorausſetzungen oder
Folgen mitenthalten ſind, wovon weiterhin bei den Wirkungen der
Verträge mitzuhandeln iſt. 1
Subſtanzielle Form.
87. Eine beſtimmte äußere Form der Willenserklärung iſt bei
völkerrechtlichen Verträgen nicht weſentlich zur Perfection, vielmehr
iſt dieſe als vorhanden anzunehmen, ſobald ein Theil eine beſtimmte
Zuſage gemacht hat, mit dem Willen, ſich durch die Acceptation
des andern gebunden zu halten und ſobald dieſe Acceptation eben
ſo beſtimmt erfolgt iſt. 2 Vorſicht und Herkommen bringt aller-
dings ſchriftliche Abfaſſung mit ſich; ſie iſt insbeſondere eine na-
1 Man vgl. wegen der gemachten Unterſcheidungen Ad. Fr. Reinhard, Samml.
juriſt. philoſ. u. crit. Aufſ. 1775. I, 5, N. 1. S. 307 f. Klüber dr. d.
g. §. 3. auch v. Neumann §. 52.
2 Bemerkenswerth iſt ſchon, was der Römiſche Juriſt Gaius in ſeinen wie-
dergefunden Inſtit. Comment. III, §. 94. ſagt: „dicitur uno casu hoc
verbo (Spondesne? Spondeo) peregrinum quoque obligari posse, velut
si Imperator noster Principem alicujus peregrini populi de pace ita in-
terroget: Pacem futuram spondes? vel ipse eodem modo interrogetur:
quod nimium subtiliter dictum est; quia si quid adversus pa-
ctionem fiat, non ex stipulatu agitur, sed jure belli vindicatur.“ Alſo
völlige Freiheit der Form. Ueblich aber waren im Römiſchen Staatsver-
kehr allerdings drei verſchiedene Formen; nämlich einfache pactiones, spon-
siones und feierliche foedera. Liv. 34, 57. Cic. pro Balbo 12. pro
Rabir. 16. Sigon. de ant. jur. Hal. p. 465 s.
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Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/178>, abgerufen am 24.02.2025.
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