ähnliche Weise, wie im privatrechtlichen Verkehr, sei es einseitig oder gegenseitig, mit oder ohne entsprechendem Aequivalent bewil- ligt, oder ein schon bestehendes Rechtsverhältniß der Art bestätigt, genauer bestimmt oder aufgelöset wird; vornehmlich Abtretungs- und Verzichtsverträge mittelst Kaufs, Tausches oder schenkungsweise vollzogen; Grenzverträge; Theilungsverträge; Schuldverträge; Bestellung von Staatsdienstbarkeiten; Lehnsverträge, soweit nicht dabei ein ius curiae eingreift; Erbverträge und dergleichen.
Bei allen diesen dürfen im Wesentlichen wohl dieselben Grund- sätze in Anwendung gebracht werden, welche sich, zumeist auf der Grundlage des Römischen Rechts, in dem Rechtssystem aller civi- lisirten christlichen Europäischen Staaten gleichförmig entwickelt und behauptet haben, jedoch freilich mit Absonderung aller der- jenigen Grundsätze, welche dem Privatrecht durch das innere Staats- interesse eingepflanzt sind und z. B. die Formen der Rechtsgeschäfte betreffen, oder wodurch mit Hinsicht auf die Moralität der Indi- viduen gewisse Geschäfte ganz verboten sind. 1 So ist denn ins- besondere bei denjenigen Verträgen, wodurch ein Theil dem andern eine Sache oder ein Recht gegen ein bestimmtes Aequivalent abtritt, auch eine Evictionsverpflichtung gegen Ansprüche Dritter und eine Vertretung der Mängel, deren Abwesenheit bei dem Vertrage Vor- aussetzung war, begründet 2 nicht aber ein Widerruf des Vertrags, wenn höhere Gewalt und Zufall den Verlust oder die Mängel erst nachmals herbeigeführt haben. 3
Eine genauere Erörterung, wie sich in allen solchen Vertrags- verhältnissen das Völkerrecht zum Privatrecht der Einzelstaaten ver-
1 So können z. B. Erbverträge über die Staatsgewalt eines noch lebenden Herrschers schwerlich in die Reihe der verbotenen gestellt werden, weil das Römische Recht und auch noch einige neuere dergleichen als unmoralisch verwerfen.
2 Oft ist sie ausdrücklich versprochen. Vgl. Günther, Völkerr. II, 135.
3 So auch bei Theilungen gemeinschaftlicher Sachen. L. 11. pr. D. de eviction. Am streitigsten sind die Naturrechtslehrer immer wegen der Ge- fahr der veräußerten aber noch nicht übergebenen Sache gewesen. Vergl. z. B. Groot II, 12, 15. Pufendorf V, 5, 3.
§. 90. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
ähnliche Weiſe, wie im privatrechtlichen Verkehr, ſei es einſeitig oder gegenſeitig, mit oder ohne entſprechendem Aequivalent bewil- ligt, oder ein ſchon beſtehendes Rechtsverhältniß der Art beſtätigt, genauer beſtimmt oder aufgelöſet wird; vornehmlich Abtretungs- und Verzichtsverträge mittelſt Kaufs, Tauſches oder ſchenkungsweiſe vollzogen; Grenzverträge; Theilungsverträge; Schuldverträge; Beſtellung von Staatsdienſtbarkeiten; Lehnsverträge, ſoweit nicht dabei ein ius curiae eingreift; Erbverträge und dergleichen.
Bei allen dieſen dürfen im Weſentlichen wohl dieſelben Grund- ſätze in Anwendung gebracht werden, welche ſich, zumeiſt auf der Grundlage des Römiſchen Rechts, in dem Rechtsſyſtem aller civi- liſirten chriſtlichen Europäiſchen Staaten gleichförmig entwickelt und behauptet haben, jedoch freilich mit Abſonderung aller der- jenigen Grundſätze, welche dem Privatrecht durch das innere Staats- intereſſe eingepflanzt ſind und z. B. die Formen der Rechtsgeſchäfte betreffen, oder wodurch mit Hinſicht auf die Moralität der Indi- viduen gewiſſe Geſchäfte ganz verboten ſind. 1 So iſt denn ins- beſondere bei denjenigen Verträgen, wodurch ein Theil dem andern eine Sache oder ein Recht gegen ein beſtimmtes Aequivalent abtritt, auch eine Evictionsverpflichtung gegen Anſprüche Dritter und eine Vertretung der Mängel, deren Abweſenheit bei dem Vertrage Vor- ausſetzung war, begründet 2 nicht aber ein Widerruf des Vertrags, wenn höhere Gewalt und Zufall den Verluſt oder die Mängel erſt nachmals herbeigeführt haben. 3
Eine genauere Erörterung, wie ſich in allen ſolchen Vertrags- verhältniſſen das Völkerrecht zum Privatrecht der Einzelſtaaten ver-
1 So können z. B. Erbverträge über die Staatsgewalt eines noch lebenden Herrſchers ſchwerlich in die Reihe der verbotenen geſtellt werden, weil das Römiſche Recht und auch noch einige neuere dergleichen als unmoraliſch verwerfen.
2 Oft iſt ſie ausdrücklich verſprochen. Vgl. Günther, Völkerr. II, 135.
3 So auch bei Theilungen gemeinſchaftlicher Sachen. L. 11. pr. D. de eviction. Am ſtreitigſten ſind die Naturrechtslehrer immer wegen der Ge- fahr der veräußerten aber noch nicht übergebenen Sache geweſen. Vergl. z. B. Groot II, 12, 15. Pufendorf V, 5, 3.
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§. 90. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
ähnliche Weiſe, wie im privatrechtlichen Verkehr, ſei es einſeitig
oder gegenſeitig, mit oder ohne entſprechendem Aequivalent bewil-
ligt, oder ein ſchon beſtehendes Rechtsverhältniß der Art beſtätigt,
genauer beſtimmt oder aufgelöſet wird; vornehmlich
Abtretungs- und Verzichtsverträge mittelſt Kaufs, Tauſches
oder ſchenkungsweiſe vollzogen;
Grenzverträge;
Theilungsverträge;
Schuldverträge;
Beſtellung von Staatsdienſtbarkeiten;
Lehnsverträge, ſoweit nicht dabei ein ius curiae eingreift;
Erbverträge und dergleichen.
Bei allen dieſen dürfen im Weſentlichen wohl dieſelben Grund-
ſätze in Anwendung gebracht werden, welche ſich, zumeiſt auf der
Grundlage des Römiſchen Rechts, in dem Rechtsſyſtem aller civi-
liſirten chriſtlichen Europäiſchen Staaten gleichförmig entwickelt
und behauptet haben, jedoch freilich mit Abſonderung aller der-
jenigen Grundſätze, welche dem Privatrecht durch das innere Staats-
intereſſe eingepflanzt ſind und z. B. die Formen der Rechtsgeſchäfte
betreffen, oder wodurch mit Hinſicht auf die Moralität der Indi-
viduen gewiſſe Geſchäfte ganz verboten ſind. 1 So iſt denn ins-
beſondere bei denjenigen Verträgen, wodurch ein Theil dem andern eine
Sache oder ein Recht gegen ein beſtimmtes Aequivalent abtritt,
auch eine Evictionsverpflichtung gegen Anſprüche Dritter und eine
Vertretung der Mängel, deren Abweſenheit bei dem Vertrage Vor-
ausſetzung war, begründet 2 nicht aber ein Widerruf des Vertrags,
wenn höhere Gewalt und Zufall den Verluſt oder die Mängel erſt
nachmals herbeigeführt haben. 3
Eine genauere Erörterung, wie ſich in allen ſolchen Vertrags-
verhältniſſen das Völkerrecht zum Privatrecht der Einzelſtaaten ver-
1 So können z. B. Erbverträge über die Staatsgewalt eines noch lebenden
Herrſchers ſchwerlich in die Reihe der verbotenen geſtellt werden, weil das
Römiſche Recht und auch noch einige neuere dergleichen als unmoraliſch
verwerfen.
2 Oft iſt ſie ausdrücklich verſprochen. Vgl. Günther, Völkerr. II, 135.
3 So auch bei Theilungen gemeinſchaftlicher Sachen. L. 11. pr. D. de
eviction. Am ſtreitigſten ſind die Naturrechtslehrer immer wegen der Ge-
fahr der veräußerten aber noch nicht übergebenen Sache geweſen. Vergl.
z. B. Groot II, 12, 15. Pufendorf V, 5, 3.
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Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/183>, abgerufen am 24.02.2025.
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