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Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844.

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§. 28. Völkerrecht im Zustand des Friedens.
anderen zu unterwerfen. Indessen sind auch hier theils natürliche,
theils willkührliche Modificationen gegeben.

Zuvörderst nämlich versteht sich das Gesetz der Rechtsgleich-
heit nur von allem demjenigen, was aus der Persönlichkeit und
freien Selbständigkeit eines souveränen Staates von selbst herfließt,
nämlich für einen solchen gehalten zu werden und alle Rechte der
Souveränetät, wie jeder andere Staat, nach eigenem Ermessen in-
nerhalb der allgemeinen völkerrechtlichen Schranken ausüben zu dür-
fen. Keineswegs aber kann ein Staat fordern, daß von dem an-
deren bei Ausübung der einzelnen Souveränetätsrechte das nämliche
System beobachtet werde, welches er selbst in auswärtigen Be-
ziehungen befolgt, dafern kein bestimmter Rechtstitel hierzu erlangt
ist. So ist kein Staat gehindert, seine eigenen Unterthanen mehr
zu begünstigen als die Ausländer, insbesondere jenen in Collisions-
fällen mit letzteren bestimmte Vorzüge einzuräumen. Es liegt darin
keine Illegalität, sondern nur Iniquität, welche zur Retorsion be-
rechtigt (Buch 2.). So ist ferner kein Staat gehindert, nur ge-
wissen Nationen besondere Vortheile und Rechte zu gewähren, ohne
daß dritte sich dadurch verletzt halten können, 1 wiewohl sie auch
hier ein Gleiches thun und Retorsion üben dürfen.

Auf höchst natürlichem Wege endlich bringt politische Macht-
ungleichheit auch eine gewisse Rechtsungleichheit mit sich. Minder
mächtige Staaten können sich meist nur durch Anlehnung an mäch-
tigere behaupten; es fehlt ihnen an Mitteln, sich in allen Stücken
in gleicher Linie mit diesen mächtigeren auf würdige Art zu behaup-
ten. Hieraus entstehen Zugeständnisse und Maximen des Verhal-
tens, die unter anderen im Europäischen Staatensystem ein eigenes
Rangrecht erzeugt haben.

Eigenthümliche Rangverhältnisse der Europäischen Staaten.2

28. Die conventionellen Regeln, welche sich in Betreff des
Ranges der einzelnen Staaten und Staaten-Categorien gebildet ha-
ben, sind in heutiger Zeitlage diese:


1 Günther, Völkerr. I, 316.
2 Abhandlungen dieses in älterer Zeit mit großer Wichtigkeit und ängstlicher
Ueberschätzung betrachteten Gegenstandes s. in v. Ompteda Lit. §. 195 ff.
und v. Kamptz §. 124 ff. Die älteren nur theilweis noch brauchbaren Werke
sind: Zach. Zwanzig, Theatrum praecedentiae. Frkfrt. 1706. 1709. fol.

§. 28. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens.
anderen zu unterwerfen. Indeſſen ſind auch hier theils natürliche,
theils willkührliche Modificationen gegeben.

Zuvörderſt nämlich verſteht ſich das Geſetz der Rechtsgleich-
heit nur von allem demjenigen, was aus der Perſönlichkeit und
freien Selbſtändigkeit eines ſouveränen Staates von ſelbſt herfließt,
nämlich für einen ſolchen gehalten zu werden und alle Rechte der
Souveränetät, wie jeder andere Staat, nach eigenem Ermeſſen in-
nerhalb der allgemeinen völkerrechtlichen Schranken ausüben zu dür-
fen. Keineswegs aber kann ein Staat fordern, daß von dem an-
deren bei Ausübung der einzelnen Souveränetätsrechte das nämliche
Syſtem beobachtet werde, welches er ſelbſt in auswärtigen Be-
ziehungen befolgt, dafern kein beſtimmter Rechtstitel hierzu erlangt
iſt. So iſt kein Staat gehindert, ſeine eigenen Unterthanen mehr
zu begünſtigen als die Ausländer, insbeſondere jenen in Colliſions-
fällen mit letzteren beſtimmte Vorzüge einzuräumen. Es liegt darin
keine Illegalität, ſondern nur Iniquität, welche zur Retorſion be-
rechtigt (Buch 2.). So iſt ferner kein Staat gehindert, nur ge-
wiſſen Nationen beſondere Vortheile und Rechte zu gewähren, ohne
daß dritte ſich dadurch verletzt halten können, 1 wiewohl ſie auch
hier ein Gleiches thun und Retorſion üben dürfen.

Auf höchſt natürlichem Wege endlich bringt politiſche Macht-
ungleichheit auch eine gewiſſe Rechtsungleichheit mit ſich. Minder
mächtige Staaten können ſich meiſt nur durch Anlehnung an mäch-
tigere behaupten; es fehlt ihnen an Mitteln, ſich in allen Stücken
in gleicher Linie mit dieſen mächtigeren auf würdige Art zu behaup-
ten. Hieraus entſtehen Zugeſtändniſſe und Maximen des Verhal-
tens, die unter anderen im Europäiſchen Staatenſyſtem ein eigenes
Rangrecht erzeugt haben.

Eigenthümliche Rangverhältniſſe der Europäiſchen Staaten.2

28. Die conventionellen Regeln, welche ſich in Betreff des
Ranges der einzelnen Staaten und Staaten-Categorien gebildet ha-
ben, ſind in heutiger Zeitlage dieſe:


1 Günther, Völkerr. I, 316.
2 Abhandlungen dieſes in älterer Zeit mit großer Wichtigkeit und ängſtlicher
Ueberſchätzung betrachteten Gegenſtandes ſ. in v. Ompteda Lit. §. 195 ff.
und v. Kamptz §. 124 ff. Die älteren nur theilweis noch brauchbaren Werke
ſind: Zach. Zwanzig, Theatrum praecedentiae. Frkfrt. 1706. 1709. fol.
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[45/0069] §. 28. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Friedens. anderen zu unterwerfen. Indeſſen ſind auch hier theils natürliche, theils willkührliche Modificationen gegeben. Zuvörderſt nämlich verſteht ſich das Geſetz der Rechtsgleich- heit nur von allem demjenigen, was aus der Perſönlichkeit und freien Selbſtändigkeit eines ſouveränen Staates von ſelbſt herfließt, nämlich für einen ſolchen gehalten zu werden und alle Rechte der Souveränetät, wie jeder andere Staat, nach eigenem Ermeſſen in- nerhalb der allgemeinen völkerrechtlichen Schranken ausüben zu dür- fen. Keineswegs aber kann ein Staat fordern, daß von dem an- deren bei Ausübung der einzelnen Souveränetätsrechte das nämliche Syſtem beobachtet werde, welches er ſelbſt in auswärtigen Be- ziehungen befolgt, dafern kein beſtimmter Rechtstitel hierzu erlangt iſt. So iſt kein Staat gehindert, ſeine eigenen Unterthanen mehr zu begünſtigen als die Ausländer, insbeſondere jenen in Colliſions- fällen mit letzteren beſtimmte Vorzüge einzuräumen. Es liegt darin keine Illegalität, ſondern nur Iniquität, welche zur Retorſion be- rechtigt (Buch 2.). So iſt ferner kein Staat gehindert, nur ge- wiſſen Nationen beſondere Vortheile und Rechte zu gewähren, ohne daß dritte ſich dadurch verletzt halten können, 1 wiewohl ſie auch hier ein Gleiches thun und Retorſion üben dürfen. Auf höchſt natürlichem Wege endlich bringt politiſche Macht- ungleichheit auch eine gewiſſe Rechtsungleichheit mit ſich. Minder mächtige Staaten können ſich meiſt nur durch Anlehnung an mäch- tigere behaupten; es fehlt ihnen an Mitteln, ſich in allen Stücken in gleicher Linie mit dieſen mächtigeren auf würdige Art zu behaup- ten. Hieraus entſtehen Zugeſtändniſſe und Maximen des Verhal- tens, die unter anderen im Europäiſchen Staatenſyſtem ein eigenes Rangrecht erzeugt haben. Eigenthümliche Rangverhältniſſe der Europäiſchen Staaten. 2 28. Die conventionellen Regeln, welche ſich in Betreff des Ranges der einzelnen Staaten und Staaten-Categorien gebildet ha- ben, ſind in heutiger Zeitlage dieſe: 1 Günther, Völkerr. I, 316. 2 Abhandlungen dieſes in älterer Zeit mit großer Wichtigkeit und ängſtlicher Ueberſchätzung betrachteten Gegenſtandes ſ. in v. Ompteda Lit. §. 195 ff. und v. Kamptz §. 124 ff. Die älteren nur theilweis noch brauchbaren Werke ſind: Zach. Zwanzig, Theatrum praecedentiae. Frkfrt. 1706. 1709. fol.

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Zitationshilfe: Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/69>, abgerufen am 23.11.2024.