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Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844.

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Erstes Buch. §. 37.
letzteres nicht jeden Conflict beseitigen. Bei der heutigen Abschlie-
ßung der Einzelstaaten und Unterordnung des Privatrechts unter
dieselben entsteht oder vollendet sich wenigstens jedes Rechtsverhält-
niß scheinbar nur relativ für den einen oder anderen, und es kann
dadurch die Ansicht entstehen, als ob jeder Staat die Privat-Rechts-
verhältnisse anderer Staaten, wie bei dem Strafrecht, als ihm völ-
lig fremd behandeln und ignoriren dürfe. Allein dadurch würde
er überhaupt alles Privatrecht außerhalb seines Gebietes negiren,
und somit die Freiheit der menschlichen Person, was kein Staat
als einzelner Träger des Menschengeschlechtes kann. Ein Privat-
recht zu haben ist ein allgemeines Menschenrecht, zu dessen Erhal-
tung und Gewährung jeder Staat beitragen muß; insofern aber
seine nähere Entwickelung von der Sanction der Staatsgewalten
abhängig ist, muß gewiß auch jeder Einzelstaat die Schwesteraucto-
rität des anderen Staates, welchem jene Sanction anheimfällt,
nach dem Princip der Gleichheit und gegenseitigen Achtung aner-
kennen. Die Schwierigkeit liegt allein in der Bestimmung der Zu-
ständigkeit, worauf sich der nachfolgende Versuch bezieht; an sich
aber ist jedes unter Sanction des competenten Staates erwachsene
Rechtsverhältniß eine vollendete Thatsache für Jedermann, jedoch
kann dadurch wiederum keinem Staat die Verbindlichkeit auferlegt
werden, jener Thatsache dieselben Wirkungen beizulegen, wie sie der
andere zuläßt oder bestimmt; jeder kann vielmehr die Wirkungen
der einzelnen Rechtsverhältnisse nach seinem Ermessen gesetzlich be-
stimmen, oder noch von zusätzlichen Bedingungen abhängig ma-
chen; ja er kann ihnen sogar alle Wirksamkeit in seinem Bereich
absprechen. Ist eine derartige gesetzliche Bestimmung von ihm nicht
ertheilt, 1 so muß angenommen werden, daß er dem außerhalb zur
Existenz gekommenen Rechtsverhältniß seine ursprüngliche Kraft und
Wirksamkeit belassen wolle. Niemals kann jedoch einem anderen
Staat ein Rechtsverhältniß aufgedrungen werden, welches er selbst
reprobirt; 2 nie können in ihm Wirkungen reclamirt werden, welche

1 Dies ist eine Frage der Interpretation.
2 So kann kein Muselmann im christlich Europäischen Staat das Gesetz der
Vielweiberei seiner Heimath anrufen, um in eine polygamische Verbin-
dung zu treten. Kein quoad vinculum in seiner Heimath geschiedener Aus-
länder kann in einem Staate, der diese Ehescheidung verwirft, eine neue gil-
tige Ehe schließen.

Erſtes Buch. §. 37.
letzteres nicht jeden Conflict beſeitigen. Bei der heutigen Abſchlie-
ßung der Einzelſtaaten und Unterordnung des Privatrechts unter
dieſelben entſteht oder vollendet ſich wenigſtens jedes Rechtsverhält-
niß ſcheinbar nur relativ für den einen oder anderen, und es kann
dadurch die Anſicht entſtehen, als ob jeder Staat die Privat-Rechts-
verhältniſſe anderer Staaten, wie bei dem Strafrecht, als ihm völ-
lig fremd behandeln und ignoriren dürfe. Allein dadurch würde
er überhaupt alles Privatrecht außerhalb ſeines Gebietes negiren,
und ſomit die Freiheit der menſchlichen Perſon, was kein Staat
als einzelner Träger des Menſchengeſchlechtes kann. Ein Privat-
recht zu haben iſt ein allgemeines Menſchenrecht, zu deſſen Erhal-
tung und Gewährung jeder Staat beitragen muß; inſofern aber
ſeine nähere Entwickelung von der Sanction der Staatsgewalten
abhängig iſt, muß gewiß auch jeder Einzelſtaat die Schweſteraucto-
rität des anderen Staates, welchem jene Sanction anheimfällt,
nach dem Princip der Gleichheit und gegenſeitigen Achtung aner-
kennen. Die Schwierigkeit liegt allein in der Beſtimmung der Zu-
ſtändigkeit, worauf ſich der nachfolgende Verſuch bezieht; an ſich
aber iſt jedes unter Sanction des competenten Staates erwachſene
Rechtsverhältniß eine vollendete Thatſache für Jedermann, jedoch
kann dadurch wiederum keinem Staat die Verbindlichkeit auferlegt
werden, jener Thatſache dieſelben Wirkungen beizulegen, wie ſie der
andere zuläßt oder beſtimmt; jeder kann vielmehr die Wirkungen
der einzelnen Rechtsverhältniſſe nach ſeinem Ermeſſen geſetzlich be-
ſtimmen, oder noch von zuſätzlichen Bedingungen abhängig ma-
chen; ja er kann ihnen ſogar alle Wirkſamkeit in ſeinem Bereich
abſprechen. Iſt eine derartige geſetzliche Beſtimmung von ihm nicht
ertheilt, 1 ſo muß angenommen werden, daß er dem außerhalb zur
Exiſtenz gekommenen Rechtsverhältniß ſeine urſprüngliche Kraft und
Wirkſamkeit belaſſen wolle. Niemals kann jedoch einem anderen
Staat ein Rechtsverhältniß aufgedrungen werden, welches er ſelbſt
reprobirt; 2 nie können in ihm Wirkungen reclamirt werden, welche

1 Dies iſt eine Frage der Interpretation.
2 So kann kein Muſelmann im chriſtlich Europäiſchen Staat das Geſetz der
Vielweiberei ſeiner Heimath anrufen, um in eine polygamiſche Verbin-
dung zu treten. Kein quoad vinculum in ſeiner Heimath geſchiedener Aus-
länder kann in einem Staate, der dieſe Eheſcheidung verwirft, eine neue gil-
tige Ehe ſchließen.
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[66/0090] Erſtes Buch. §. 37. letzteres nicht jeden Conflict beſeitigen. Bei der heutigen Abſchlie- ßung der Einzelſtaaten und Unterordnung des Privatrechts unter dieſelben entſteht oder vollendet ſich wenigſtens jedes Rechtsverhält- niß ſcheinbar nur relativ für den einen oder anderen, und es kann dadurch die Anſicht entſtehen, als ob jeder Staat die Privat-Rechts- verhältniſſe anderer Staaten, wie bei dem Strafrecht, als ihm völ- lig fremd behandeln und ignoriren dürfe. Allein dadurch würde er überhaupt alles Privatrecht außerhalb ſeines Gebietes negiren, und ſomit die Freiheit der menſchlichen Perſon, was kein Staat als einzelner Träger des Menſchengeſchlechtes kann. Ein Privat- recht zu haben iſt ein allgemeines Menſchenrecht, zu deſſen Erhal- tung und Gewährung jeder Staat beitragen muß; inſofern aber ſeine nähere Entwickelung von der Sanction der Staatsgewalten abhängig iſt, muß gewiß auch jeder Einzelſtaat die Schweſteraucto- rität des anderen Staates, welchem jene Sanction anheimfällt, nach dem Princip der Gleichheit und gegenſeitigen Achtung aner- kennen. Die Schwierigkeit liegt allein in der Beſtimmung der Zu- ſtändigkeit, worauf ſich der nachfolgende Verſuch bezieht; an ſich aber iſt jedes unter Sanction des competenten Staates erwachſene Rechtsverhältniß eine vollendete Thatſache für Jedermann, jedoch kann dadurch wiederum keinem Staat die Verbindlichkeit auferlegt werden, jener Thatſache dieſelben Wirkungen beizulegen, wie ſie der andere zuläßt oder beſtimmt; jeder kann vielmehr die Wirkungen der einzelnen Rechtsverhältniſſe nach ſeinem Ermeſſen geſetzlich be- ſtimmen, oder noch von zuſätzlichen Bedingungen abhängig ma- chen; ja er kann ihnen ſogar alle Wirkſamkeit in ſeinem Bereich abſprechen. Iſt eine derartige geſetzliche Beſtimmung von ihm nicht ertheilt, 1 ſo muß angenommen werden, daß er dem außerhalb zur Exiſtenz gekommenen Rechtsverhältniß ſeine urſprüngliche Kraft und Wirkſamkeit belaſſen wolle. Niemals kann jedoch einem anderen Staat ein Rechtsverhältniß aufgedrungen werden, welches er ſelbſt reprobirt; 2 nie können in ihm Wirkungen reclamirt werden, welche 1 Dies iſt eine Frage der Interpretation. 2 So kann kein Muſelmann im chriſtlich Europäiſchen Staat das Geſetz der Vielweiberei ſeiner Heimath anrufen, um in eine polygamiſche Verbin- dung zu treten. Kein quoad vinculum in ſeiner Heimath geſchiedener Aus- länder kann in einem Staate, der dieſe Eheſcheidung verwirft, eine neue gil- tige Ehe ſchließen.

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Zitationshilfe: Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/90>, abgerufen am 23.11.2024.