Antinomien aufgestellt werden, als Begriffe aufgestellt werden.
Ferner hat Kant die Antinomie nicht in den Begrif- fen selbst, sondern in der schon concreten Form kosmologischer Bestimmungen aufgefaßt. Um die Anti- nomie rein zu haben und sie in ihrem einfachen Begriffe zu behandeln, mußten die Denkbestimmungen nicht in ih- rer Anwendung und Vermischung mit der Vorstellung der Welt, des Raums, der Zeit, der Materie u. s. f. genommen, sondern ohne diesen concreten Stoff, der keine Kraft noch Gewalt dabey hat, rein für sich be- trachtet werden, indem sie allein das Wesen und der Grund der Antinomien ausmachen.
Kant gibt diesen Begriff von der Antinomie, daß sie "nicht sophistische Künsteleyen seyen, sondern Wider- sprüche, auf welche die Vernunft nothwendig stossen (nach Kantischem Ausdrucke) müsse;" -- was eine wich- tige Ansicht ist. -- "Von dem natürlichen Scheine der Antinomien werde die Vernunft, wenn sie seinen Grund einsieht, zwar nicht mehr hintergegangen, aber immer noch getäuscht." -- Die kritische Auflösung nemlich durch die sogenannte transcendentale Idealität der Welt der Wahrnehmung hat kein anderes Resultat, als daß sie den sogenannten Widerstreit zu etwas subjectivem macht, worin er freylich noch immer derselbe Schein, d. h. so unaufgelöst bleibt als vorher. Ihre wahrhafte Auflö- sung kann nur darin bestehen, daß zwey Bestimmungen, indem sie entgegengesetzt und demselben Begriffe nothwen- dig sind, nicht in ihrer Einseitigkeit, jede für sich, gel- ten kann, sondern daß sie ihre Wahrheit nur in ihrem Aufgehobenseyn haben.
Die Kantischen Antinomien näher betrachtet, ent- halten nichts anders, als die ganz einfache kategorische
Behaup-
Erſtes Buch. II.Abſchnitt.
Antinomien aufgeſtellt werden, als Begriffe aufgeſtellt werden.
Ferner hat Kant die Antinomie nicht in den Begrif- fen ſelbſt, ſondern in der ſchon concreten Form kosmologiſcher Beſtimmungen aufgefaßt. Um die Anti- nomie rein zu haben und ſie in ihrem einfachen Begriffe zu behandeln, mußten die Denkbeſtimmungen nicht in ih- rer Anwendung und Vermiſchung mit der Vorſtellung der Welt, des Raums, der Zeit, der Materie u. ſ. f. genommen, ſondern ohne dieſen concreten Stoff, der keine Kraft noch Gewalt dabey hat, rein fuͤr ſich be- trachtet werden, indem ſie allein das Weſen und der Grund der Antinomien ausmachen.
Kant gibt dieſen Begriff von der Antinomie, daß ſie „nicht ſophiſtiſche Kuͤnſteleyen ſeyen, ſondern Wider- ſpruͤche, auf welche die Vernunft nothwendig ſtoſſen (nach Kantiſchem Ausdrucke) muͤſſe;“ — was eine wich- tige Anſicht iſt. — „Von dem natuͤrlichen Scheine der Antinomien werde die Vernunft, wenn ſie ſeinen Grund einſieht, zwar nicht mehr hintergegangen, aber immer noch getaͤuſcht.“ — Die kritiſche Aufloͤſung nemlich durch die ſogenannte tranſcendentale Idealitaͤt der Welt der Wahrnehmung hat kein anderes Reſultat, als daß ſie den ſogenannten Widerſtreit zu etwas ſubjectivem macht, worin er freylich noch immer derſelbe Schein, d. h. ſo unaufgeloͤst bleibt als vorher. Ihre wahrhafte Aufloͤ- ſung kann nur darin beſtehen, daß zwey Beſtimmungen, indem ſie entgegengeſetzt und demſelben Begriffe nothwen- dig ſind, nicht in ihrer Einſeitigkeit, jede fuͤr ſich, gel- ten kann, ſondern daß ſie ihre Wahrheit nur in ihrem Aufgehobenſeyn haben.
Die Kantiſchen Antinomien naͤher betrachtet, ent- halten nichts anders, als die ganz einfache kategoriſche
Behaup-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><divn="6"><p><pbfacs="#f0188"n="140"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Erſtes Buch</hi>. <hirendition="#aq">II.</hi><hirendition="#g">Abſchnitt</hi>.</fw><lb/>
Antinomien aufgeſtellt werden, als Begriffe aufgeſtellt<lb/>
werden.</p><lb/><p>Ferner hat Kant die Antinomie nicht in den Begrif-<lb/>
fen ſelbſt, ſondern in der ſchon <hirendition="#g">concreten Form</hi><lb/>
kosmologiſcher Beſtimmungen aufgefaßt. Um die Anti-<lb/>
nomie rein zu haben und ſie in ihrem einfachen Begriffe<lb/>
zu behandeln, mußten die Denkbeſtimmungen nicht in ih-<lb/>
rer Anwendung und Vermiſchung mit der Vorſtellung<lb/>
der Welt, des Raums, der Zeit, der Materie u. ſ. f.<lb/>
genommen, ſondern ohne dieſen concreten Stoff, der<lb/>
keine Kraft noch Gewalt dabey hat, rein fuͤr ſich be-<lb/>
trachtet werden, indem ſie allein das Weſen und der<lb/>
Grund der Antinomien ausmachen.</p><lb/><p>Kant gibt dieſen Begriff von der Antinomie, daß<lb/>ſie „nicht ſophiſtiſche Kuͤnſteleyen ſeyen, ſondern Wider-<lb/>ſpruͤche, auf welche die Vernunft nothwendig <hirendition="#g">ſtoſſen</hi><lb/>
(nach Kantiſchem Ausdrucke) muͤſſe;“— was eine wich-<lb/>
tige Anſicht iſt. —„Von dem natuͤrlichen Scheine der<lb/>
Antinomien werde die Vernunft, wenn ſie ſeinen Grund<lb/>
einſieht, zwar nicht mehr hintergegangen, aber immer<lb/>
noch getaͤuſcht.“— Die kritiſche Aufloͤſung nemlich durch<lb/>
die ſogenannte tranſcendentale Idealitaͤt der Welt der<lb/>
Wahrnehmung hat kein anderes Reſultat, als daß ſie<lb/>
den ſogenannten Widerſtreit zu etwas ſubjectivem macht,<lb/>
worin er freylich noch immer derſelbe Schein, d. h. ſo<lb/>
unaufgeloͤst bleibt als vorher. Ihre wahrhafte Aufloͤ-<lb/>ſung kann nur darin beſtehen, daß zwey Beſtimmungen,<lb/>
indem ſie entgegengeſetzt und demſelben Begriffe nothwen-<lb/>
dig ſind, nicht in ihrer Einſeitigkeit, jede fuͤr ſich, gel-<lb/>
ten kann, ſondern daß ſie ihre Wahrheit nur in ihrem<lb/>
Aufgehobenſeyn haben.</p><lb/><p>Die Kantiſchen Antinomien naͤher betrachtet, ent-<lb/>
halten nichts anders, als die ganz einfache kategoriſche<lb/><fwplace="bottom"type="catch">Behaup-</fw><lb/></p></div></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[140/0188]
Erſtes Buch. II. Abſchnitt.
Antinomien aufgeſtellt werden, als Begriffe aufgeſtellt
werden.
Ferner hat Kant die Antinomie nicht in den Begrif-
fen ſelbſt, ſondern in der ſchon concreten Form
kosmologiſcher Beſtimmungen aufgefaßt. Um die Anti-
nomie rein zu haben und ſie in ihrem einfachen Begriffe
zu behandeln, mußten die Denkbeſtimmungen nicht in ih-
rer Anwendung und Vermiſchung mit der Vorſtellung
der Welt, des Raums, der Zeit, der Materie u. ſ. f.
genommen, ſondern ohne dieſen concreten Stoff, der
keine Kraft noch Gewalt dabey hat, rein fuͤr ſich be-
trachtet werden, indem ſie allein das Weſen und der
Grund der Antinomien ausmachen.
Kant gibt dieſen Begriff von der Antinomie, daß
ſie „nicht ſophiſtiſche Kuͤnſteleyen ſeyen, ſondern Wider-
ſpruͤche, auf welche die Vernunft nothwendig ſtoſſen
(nach Kantiſchem Ausdrucke) muͤſſe;“ — was eine wich-
tige Anſicht iſt. — „Von dem natuͤrlichen Scheine der
Antinomien werde die Vernunft, wenn ſie ſeinen Grund
einſieht, zwar nicht mehr hintergegangen, aber immer
noch getaͤuſcht.“ — Die kritiſche Aufloͤſung nemlich durch
die ſogenannte tranſcendentale Idealitaͤt der Welt der
Wahrnehmung hat kein anderes Reſultat, als daß ſie
den ſogenannten Widerſtreit zu etwas ſubjectivem macht,
worin er freylich noch immer derſelbe Schein, d. h. ſo
unaufgeloͤst bleibt als vorher. Ihre wahrhafte Aufloͤ-
ſung kann nur darin beſtehen, daß zwey Beſtimmungen,
indem ſie entgegengeſetzt und demſelben Begriffe nothwen-
dig ſind, nicht in ihrer Einſeitigkeit, jede fuͤr ſich, gel-
ten kann, ſondern daß ſie ihre Wahrheit nur in ihrem
Aufgehobenſeyn haben.
Die Kantiſchen Antinomien naͤher betrachtet, ent-
halten nichts anders, als die ganz einfache kategoriſche
Behaup-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Wissenschaft der Logik. Bd. 1,1. Nürnberg, 1812, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hegel_logik0101_1812/188>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.